Holt das Vorkaufsrecht zurück!

Grüne und Mieterverbände fordern, dass der Bund bald ein neues Gesetz beschließt

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Canan Bayram (Grüne) beginnt den Abend im Kreuzberger Veranstaltungsraum Aquarium mit einer Würdigung ihres vor einer Woche verstorbenen Parteikollegen Christian Ströbele. Vor ihr war er viele Jahre lang direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für Friedrichshain-Kreuzberg. »Gerade das Mietrecht lag ihm sehr am Herzen. Er war der Erste, der die Mietpreisbremse in den Bundestag eingebracht hat«, erinnert sie. Und um Mietrecht soll es an diesem Mittwochabend gehen, genauer: um die Zukunft des Vorkaufsrechts. Im November 2021 wurde das letzte verbliebene Instrument der Bezirke, durch das sie gewährleisten konnten, dass Wohnraum in Milieuschutzgebieten nur in gemeinwohlorientierte Hände verkauft wird, vom Leipziger Bundesverwaltungsgericht (BVG) gekippt.

Laut Bundesbauministerium sollte es »zeitnah« ein überarbeitetes, rechtssicheres Vorkaufsrecht geben, doch passiert ist bislang nichts. Woran es hängt und welche Perspektiven es gibt, diskutierte Canan Bayram nun mit anderen Grünen-Politiker*innen und Mietervertreter*innen. Was genau es mit dem BVG-Urteil auf sich hat, erklärte Rainer Tietzsch vom Berliner Mieterverein. Das Gericht entschied, dass Vorkäufe nicht aufgrund der Annahme ausgeübt werden dürfen, »dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde«. »Der Gesetzestext steht nur im Präsenz, obwohl eigentlich klar ist, dass für den Milieuschutz nur die zukünftige Nutzung von Belang ist«, sagt Tietzsch.

Damit zerstörte das Urteil die Hoffnungen vieler Mieter*innen, unter anderem jener aus der Naunynstraße in Kreuzberg, deren Zuhause vor knapp einem Jahr verkauft wurde. Einer von ihnen, Johannes, berichtet von den Briefen, die kamen, von Mieterversammlungen, die organisiert wurden, von Recherchen nach dem Käufer. Hinter dem steckte eine Firma in Hongkong. Daraufhin hätten die Bewohner*innen in einer Nachtschicht Hunderte Wohnungsgenossenschaften angeschrieben und sie gefragt, ob sie das Haus vorkaufen wollen. »Es lief gut, einige zeigten Interesse – und dann kam das Urteil. Damit hatten wir keine Chance mehr«, erzählt er.

Aber nicht nur Berlin ist betroffen, auch in anderen deutschen Städten war das Vorkaufsrecht gängige Praxis, zum Beispiel in München. Von dort ist Sibylle Stöhr angereist, die für Wohnungspolitik zuständige Grünen-Abgeordnete im Münchner Stadtrat. Sie sieht den 9. November, den Tag des BVG-Urteils »als rabenschwarzen Tag für den Milieuschutz.« Erst kurz vorher seien die Abwendungsvereinbarungen, mit denen Käufer*innen sich unter anderem dazu verpflichten, keine Luxussanierungen oder Umwandlungen in Eigentum vorzunehmen, in der bayerischen Landeshauptstadt auf unbestimmte Zeit verlängert worden. Nun könnten praktisch nur noch Häuser vorgekauft werden, die »halb leer oder zerfallen sind, also wenn die Privatwirtschaft nicht mehr daran verdient«, kritisiert Stöhr.

Julian Schwarze, Sprecher für Stadtentwicklung der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, will den Vorwurf entkräften, dass Berlin »schuld« an dem Urteil war, weil die Bezirke es hier »zu wild getrieben« hätten. »Eigentlich ist es ja die Immobilienbranche, die es zu wild treibt«, findet er. Deshalb müsse das Vorkaufsrecht dringend zurückkommen. Das Bundesbauministerium hat bereits einen Referentenentwurf für ein neues Gesetz geschrieben, den Rainer Tietzsch vom Mieterverein allerdings für unzureichend hält, da er »einen Ausschluss des Ausschlusses« vorsehe. »Der Ausschluss soll nicht kommen, wenn es sich um ein soziales Erhaltungsgebiet handelt«, erklärt er. Er findet, dass ausdrücklich und positiv formuliert werden müsse, wofür das Vorkaufsrecht gut sein soll. Das sei natürlich »schwierig, wenn der Gesetzgeber teilweise aus Fraktionen besteht, die das nicht wollen, und die FDP wollte das noch nie«, so Tietzsch.

Auch Florian Schmidt, Grünen-Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hält Veränderungen am Paragraphen für »Rumdokterei«. Letztendlich werde die Auslegung von Gesetzen ohnehin in vielen Fällen vor Gericht entschieden. »Eigentlich müssen wir den Spieß umdrehen und ein ganz anderes Vorkaufsrecht fordern, nach dem Motto von Deutsche Wohnen und Co enteignen«, so sein Vorschlag. Er appelliert an die Mieterverbände und Bewegungen, sich zu vernetzen, »dann kriegt das eine Kraft«, sagt er kämpferisch.

Aus dem Publikum kommt die Frage, ob die Kommunen sich Vorkäufe, so ein neues Gesetz denn kommt, überhaupt werden leisten können. Reiner Tietzsch erklärt, dass sich der Kaufpreis an dem orientieren sollte, was bei einer gemeinwohlorientierten Bewirtschaftung erzielt werden kann und nicht daran – wie Investor*innen es täten –, »was Mieter in den Ruin treibt«.

Für die jetzt schon gebeutelten Mieter*innen ist der unermüdliche Kampf für ihre Rechte leichter gesagt als getan. »Wir haben das Gefühl, wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Wenn jemand eine Eigenbedarfskündigung kriegt, kann man sich keine neue Wohnung mehr leisten. Man wird ein bisschen zynisch bei der Sache«, erklärt Johannes aus der Naunynstraße den Politiker*innen. Eine Mieterin aus dem Publikum bringt es noch konkreter auf den Punkt: Es sei Aufgabe der Politik, Gesetze zu machen, die Mieter*innen schützen. »Eine Regierungspartei könnte da doch wirklich was tun«, sagt sie in Richtung der Grünen.

Tatsächlich hätten die Bundesgrünen das Mietrecht schon in den Sondierungsverhandlungen gegenüber der FDP komplett aufgegeben, gibt Canan Bayram zu. Nun gebe es zwar theoretisch ein neues Gesetz, aber es werde vom Justizminister zurückgehalten. »Ich werde mich weiter mit allem Nachdruck dafür einsetzen, dass es endlich dem Parlament vorgelegt wird«, verspricht sie. Wann es soweit ist, bleibt unklar.

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