Truss zieht die Spendierhosen an

Großbritanniens Premierministerin stellt großes Hilfspaket in Aussicht

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Weniger als 48 Stunden nachdem sie in der Downing Street das Ruder übernommen hatte, trat Liz Truss ans Rednerpult im Unterhaus und hielt eine Ansprache, die wohl die ersten Monate ihrer Regierungszeit prägen wird. Die Premierministerin kündigte ein umfassendes Hilfspaket an, um die Krise der exorbitanten Energiepreise einzudämmen: Demnach soll der Energiepreisdeckel am 1. Oktober nicht mehr auf 3500 Pfund pro Jahr ansteigen, sondern bloß auf 2500 Pfund. Wie viel die Unterstützung kosten wird, darüber sagte Truss überraschenderweise nichts. Laut Schätzungen dürften es weit über 100 Milliarden Pfund sein.

Truss stellte zudem eine starke Förderung der heimischen Energieproduktion in Aussicht. Auf diese Weise sollen in Zukunft solche Krisen verhindert werden. Das heißt unter anderem: Aus der Nordsee sollen mehr Öl und Gas gepumpt werden, zudem will Truss einen neuen Anlauf starten, in Großbritannien Fracking zu betreiben.

»Anfang der Woche habe ich versprochen, dass ich mich um die explodierenden Energiepreise kümmern werde«, begann Truss ihre Rede. »Heute halte ich dieses Versprechen.« Der Energiepreisdeckel für einen durchschnittlichen Haushalt, der jeweils von der Energieaufsichtsbehörde Ofgem festgelegt wird, wäre ab 1. Oktober von derzeit 1971 Pfund auf über 3500 Pfund erhöht worden – ein Anstieg von 80 Prozent. Mit der am Donnerstag angekündigten Obergrenze von 2500 Pfund wird ein Haushalt also 1000 Pfund sparen. Dieser Preisdeckel soll mindestens zwei Jahre beibehalten werden.

Auch für Unternehmen wird die Regierung Hilfe in Form einer Energiepreisdeckelung bereitstellen, allerdings wird diese vorerst nur für die kommenden sechs Monate gelten. Für manche Sektoren wie die Gastronomie soll danach weitere Unterstützung folgen. Dieses Hilfspaket werde allen Haushalten und Betrieben die »nötige Sicherheit geben«, um durch den Winter zu kommen, sagte die Premierministerin.

Dass Truss überhaupt ein staatliches Rettungspaket geschnürt hat, ist ein großer Gewinn für die Kampagnen und Politiker, die dies gefordert hatten. Während des Wahlkampfs ums höchste Amt hatte Truss ihre Abneigung gegen staatliche Unterstützung in Form von »Almosen« zum Ausdruck gebracht. Als libertär gesinnte Politikerin ist sie zudem wenig begeistert von Interventionen in den freien Markt – vielleicht spricht die Regierung deshalb von einer »Energiepreisgarantie« anstatt von einem Deckel.

Truss war wohl nichts anderes übriggeblieben, als eine solche Kehrtwende zu vollziehen. Ökonomen hatten in den vergangenen Wochen mit zunehmender Dringlichkeit gewarnt, das katastrophale Verhältnisse drohten, wenn die astronomischen Gas- und Stromrechnungen nicht begrenzt würden. Selbst nüchterne Beobachter warnten vor sozialen Unruhen.

An den Plänen der Regierung wurde bereits Kritik laut. Viele Details fehlen, vor allem die Finanzierung, die Truss in ihrer Ankündigung komplett ausließ. Sie verlor kein Wort darüber, wie viel das alles kosten und wer letztendlich dafür bezahlen wird. Für eine Maßnahme in diesem Umfang ist dies doch eher ungewöhnlich. »Ich kann nicht recht glauben, dass wir nichts über die Kosten gehört haben«, sagte Paul Johnson, Vorsitzender des Thinktanks Institute for Fiscal Studies. Die Premierministerin verwies lediglich auf eine Ankündigung ihres Finanzministers, die in einigen Wochen folgen werde.

Truss bekräftigte jedoch, dass sie auf keinen Fall eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne einführen werde. Die Opposition und manche ökonomische Thinktanks empfehlen dies als einen einfachen Weg, die Kosten zu bewältigen. Britische Energiekonzerne könnten laut einer Schätzung des Finanzministeriums in den kommenden zwei Jahren Zufallsgewinne von rund 170 Milliarden Pfund verzeichnen. Aber Truss sagte: »Eine Zufallsgewinnsteuer würde dem nationalen Interesse entgegenlaufen, weil sie [die Energiefirmen] von genau jenen Investitionen abschrecken würde, die wir für unsere heimischen Energievorräte brauchen.«

Damit hängt auch die zweite Kritik zusammen, die an den Regierungsplänen erhoben wird. Truss hat in Aussicht gestellt, nebst neuen Investitionen in Nuklear- und erneuerbare Energien bis zu 100 neue Lizenzen für die Förderung von Öl und Gas in der Nordsee auszugeben. Zudem soll Schiefergas durch Fracking gewonnen werden. Die Methode ist jedoch in Großbritannien so umstritten, dass die Regierung 2019 ein Moratorium verhängte. Zwar wolle sie am Ziel festhalten, bis 2050 die CO2-Emissionen auf Null herunterzufahren, sagte Truss. Aber Kritiker fragen sich, wie dies mit der massiven Förderung von fossilen Brennstoffen zusammenpasst.

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