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Geschickte Gestaltenwandlerin
Was ist ein »Mädchen«? In der Erzählung von Teresa Präauer will es auf keinen Fall »Wendy« lesen - es rollt auf einem Skateboard durch den Text
Der Mensch, der sich zur Ruhe legt, bleibt trotzdem in Bewegung. Das meinte zumindest der französische Philosoph Gaston Bachelard: »Sobald wir unbeweglich sind, befinden wir uns anderswo; wir träumen in einer unermesslichen Welt.« Dieses »Anderswo« fühlt vielleicht auch das Ich in Teresa Präauers Erzählung »Mädchen«: Es ist im Kinderzimmer eines Jungen kurz eingenickt und stellt dann beim Aufwachen fest, dass es – wie Gulliver auf seiner »Reise nach Liliput« – an den Füßen gefesselt wurde. Und dass seine Kniescheibe einem Spielzeug-Piraten aus Plastik als Aussichtsturm dient.
Das Kinderzimmer beziehungsweise das Spielen darin ist der Ausgangspunkt des Erzählprozesses. Dieser entfaltet sich so als intermediärer Raum, in dem die Grenze zwischen Realem und Imaginärem verschwimmt. Es gibt das titelgebende Mädchen als »Thema, Figur, Wort, Projektionsfläche, Trope, Symbol« und früheres Selbst. Und es gibt den Jungen als Begleiter, Gegenfigur und Störenfried.
Jungen beziehungsweise »Buben« kamen auch schon in früheren Texten Präauers vor, wenn auch eher in Form eines Kostüms, das sich die Erzählinstanz als Gestaltenwandlerin zeitweilig übergeworfen hat. Denn wie Präauer selbst betont, geht es in ihren Texten insgesamt stark ums Verkleiden und Rollen-Einnehmen. Das steht der Festlegung auf eine bestimmte Identität entgegen. Das Mädchensein war bislang eine Leerstelle in Präauers Texten. Kein Wunder, erinnert es doch an eine Situation, die nicht selbst gewählt wurde und die nach wie vor eine einschränkende ist. Und damit gibt sich »das Mädchen« offenbar nicht zufrieden.
Präauer versucht, es aus der Leerstelle hervortreten zu lassen. Über persönliche Erinnerungen an das Aufwachsen in einem österreichischen Alpendorf in den Achtzigerjahren, über Betrachtungen von Mädchenfigurationen in Literatur, bildender Kunst, Fotografie und sozialen Medien. Das ist keine systematische kunst- oder literaturgeschichtliche Erörterung, stattdessen gibt es spielerische Momente im Erzählen, Assoziationen umkreisen einander und geben sich immer wieder auch als Tarnungen einer poetologischen Reflexion zu erkennen.
Dabei wird deutlich, wie gängige, klischeehafte und in sich selbst widersprüchliche Vorstellungen von »Mädchen« in der Kunst immer wieder (re-)produziert, aber auch ironisch überzeichnet, produktiv nutzbar gemacht oder über den Haufen geworfen wurden. Es gibt blumig-naturhafte, künstlich-glänzende, freche, ungeschickte und so weiter. Dem Erstarren der Mädchen zu blassen Kitschfiguren in den Bildern Gottfried Helnweins zum Beispiel werden die vielen Musikvideos aus den letzten Jahren entgegengesetzt, in denen Mädchen sich aus ihrer Erstarrung zu lösen und zu tanzen beginnen.
Zu Wort kommen außerdem Wunschvorstellungen von Mädchenfiguren aus den Büchern junger Autorinnen, die sich einerseits selbst aus Klischees speisen, diese aber andererseits immer auch subversiv und anarchisch übersteigen, so etwa der Wunsch von Irmgard Keuns »kunstseidenem Mädchen«, ein »Glanz« zu werden. Dass das »Mädchenhafte« alles andere als naiv oder ungeschickt ist, zeigt Präauer etwa, wenn sie auf die »Search Engine Art« von Gretchen Andrews verweist, in der rosafarbene Glitzercollagen die Internetrecherche aufstören.
Das Mädchen-(gewesen-)Sein wird als von Fremdzuschreibungen eingeschränktes in den Blick genommen, aber auch auf das in ihm steckende Vermögen hin befragt: »Wo ist dieser andere Freiraum zu finden, auch gerade derjenige, der im Kontrast zu den Buben steht?« Ohnmachtserfahrungen (Nicht-Neinsagen-Können) und das verkrampfte Mädchen im blassrosa Dirndl, gefilmt beim Aufsagen eines Gedichts, kommen dabei ebenso zur Sprache wie die Versuche der Selbstdefinition »zwischen Rollenspiel, Identitätssuche und Experimentierfreude«. Bei Präuaer wünscht sich das Mädchen schwarze Lackschuhe. Es will auf keinen Fall »Wendy« lesen und rollt auf einem Skateboard durch den Text.
Präauer verzichtet auf die Einschätzung des Erzählten aus einer umfassenden gesellschaftspolitischen Perspektive. Dafür regt der Erzählprozess die Lesenden dazu an, sich selbst als »Störenfried« mit eigenen Kindheitserinnerungen, Einfällen und Einwänden einzumischen und die Erzählung weiterzuführen.
»Wer über Mädchen nachdenkt, denkt über Anfänge nach« – das ist der Refrain dieses Textes. Dabei geht es auch um eine Suche nach den Anfängen der eigenen künstlerischen Produktion, die unter anderem zur Erinnerung an kindliche Leseerfahrungen hinführt. Der Erinnerungsprozess ist selbstreflexiv, von gelbstichigen Fotos ausgehend, sich selbst anzweifelnd und Vergessenes mit Erfindungen ausschmückend. Damit bewahrt die Erzählung auch eine Distanz zu ihrem Thema, die es erlaubt, sich ihm in seinem Facettenreichtum anzunähern und es in seinem – auch uneingelösten – Vermögen beweglich sein zu lassen.
Das »Mädchen« wird dadurch bei Präauer selbst zur geschickten Gestaltenwandlerin und lässt sich nicht so einfach in ein Bild bannen (wie es denn auch auf dem von Präauer gestalteten Cover des Buches nur ausschnitthaft zu sehen ist). Es bewegt sich an den Rändern dessen, was man von ihm zu wissen meint und beansprucht dabei selbst die Unermesslichkeit als Prinzip der Bewegung für sich. Ebenso bewegt sich die Erzählung als Störenfried tänzelnd an den Rändern eines von Sprüchen und Parolen geprägten Diskurses und macht dabei ein »Anderswo« vorstellbar.
Teresa Präauer: Mädchen. Wallstein, 78 S., geb., 16 €.
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