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Die Geheimnisse der Energiekonzerne

Die sogenannten Übergewinne von Unternehmen steigen womöglich noch. Sie rechtssicher abzuschöpfen, ist nicht trivial

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf den ersten Blick ist eigentlich alles klar: Lässt sich ein Produkt zum zehnfachen Preis verkaufen, steigen dessen Kosten aber nur wenig, macht irgendjemand einen großen Reibach. Bei Strom, wie er an der Börse gehandelt wird, gibt es diesen Anstieg um das Zehnfache. Kostete dort letztes Jahr die Kilowattstunde noch um die 5 Cent, sind es jetzt 50 Cent. Auf die Haushalte schlägt das nicht sofort durch. Deren Strom wird meist nicht tagesaktuell von der Börse gekauft, sondern es gelten längerfristige Lieferverträge zu »alten« Preisen.

Ein Ende der Preisrallye an der Börse ist aber nicht in Sicht. Prognosen sehen die Kilowattstunde noch dieses Jahr bei einem Preis von 70 und mehr Cent. Man stelle sich einmal rein rechnerisch vor, der Strompreis steige wirklich weiter in schwindelerregende Höhe. In Deutschland wurden 2021 von Industrie, Gewerbe und Haushalten rund 500 Terawattstunden Strom verbraucht. Gelänge es der Strombranche, für diese Strommenge 2022 einen Preisaufschlag von »nur« 10 Cent je Kilowattstunde bei den Abnehmern durchzusetzen, wären das Mehreinnahmen von 50 Milliarden Euro, bei 20 Cent wären es schon 100 Milliarden Euro. In diesen Größenordnungen liegen schon jetzt ernst zunehmende Schätzungen von Branchenexperten.

Die Dimensionen der »Windfall-Profits« haben auch die Politik aufgeschreckt. Der Frage der Zusatzgewinne widmete sich denn auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), als er letzten Sonntag das 65-Milliarden-Entlastungspaket vorstellte. Auf dem Strommarkt, sagte der Kanzler, gebe es nicht nur Probleme durch den Erdgasmangel, sondern auch welche durch Spekulation, Zufalls- und Übergewinne. Diese würden von Produzenten erzielt, die die »Situation einfach nutzen können, weil das sehr teure Erdgas den Strommarkt bestimmt«.

Die Regierung wolle, so Scholz, dafür sorgen, dass Zufallsgewinne nicht mehr anfallen oder abgeschöpft werden. Dazu brachte er eine Preisobergrenze für diejenigen Energieunternehmen am Strommarkt ins Spiel, die nicht die hohen Gaspreise zu bezahlen haben. Konkret nannte der Kanzler hier Wind- und Solarenergie, Biomasse und Kohle.

Dazu muss man zunächst wissen, wie groß die Übergewinne real sind. Für das Wirtschaftsministerium sollen inzwischen schon ganze Institute über entsprechende Studien brüten. Einer der größten Gewinner wird bei der Braunkohle vermutet. So hätten nach Abschätzungen von Branchenexperten die Betreiber der Braunkohlekraftwerke von Januar bis Juni 2022 für jede verkaufte Kilowattstunde 14 Cent mehr einnehmen können als im selben Zeitraum 2021.

Davon abzuziehen sind steigende Kosten, die die Braunkohle selbst treffen. Schließlich brauchen Kraftwerke auch Strom. Was der Brennstoff, die Braunkohle, selbst kostet – das ist ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis der beiden Energiekonzerne RWE und Leag. Die sind Kohleförderer und Verbrenner in einem. Marktbeobachter schätzen, dass von den 14 Cent Mehrerlös im ersten Halbjahr 2022, die höheren Kosten abgezogen, um die 9 Cent pro Kilowattstunde übrig blieben. Wäre zudem der gesamte, im ersten Halbjahr 2022 erzeugte Braunkohlestrom zum aktuellen Strompreis an der Börse verkauft worden, ergäben sich rechnerisch Mehrerlöse von nahezu fünf Milliarden Euro.

Ob das so ist, wissen nur die beiden Betreiber selbst. Denn Braunkohlestrom wird meistenteils oft auf Jahre im Voraus verkauft – und vor nicht langer Zeit bekam man für solchen Strom eben nur die 5 Cent. Einen Fingerzeig, wie hoch die »Windfall-Profits« der Braunkohle sein könnten, gibt es derzeit nur indirekt: Laut Statistischem Bundesamt nahm die Einspeisung von Kohlestrom im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zu 2021 um rund 17 Prozent zu. Dieser neue Strom könnte auch zu »neuen« Preisen an der Börse verkauft worden sein und »Windfall-Profits« generieren. Welchen Anteil »alte« und »neue« Preise beim Braunkohlestrom hat, wissen auch nur die Betreiber selbst.

Das Beispiel zeigt: Zum einen stehen wir erst am Anfang einer Welle von Zusatzgewinnen. Schon in diesem Herbst könnte diese sich zu einer Gewinnflut aufbauen. Zum anderen ist die Übung, Stromversorgern Übergewinne rechtssicher nachweisen und abknöpfen zu können, keineswegs trivial. »Die Strompreisbremse wird erst in vielen Monaten, wenn überhaupt, umgesetzt werden können«, meint denn auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Zur Umsetzung einer Strompreisbremse brachten Scholz und Finanzminister Christian Lindner deswegen noch einen anderen Umverteilungsmechanismus ins Spiel, die EEG-Umlage »mit umgekehrtem Vorzeichen«, wie sie es nennen. Hintergrund ist, dass bei Strompreisen, die über den gesetzlichen EEG-Zuschüssen liegen, an viele EEG-Anlagen keine Förderung mehr fließt – die Anlagen besorgen sich ihr Geld durch den Stromverkauf an der Börse. Das EEG-Konto spart also Ausgaben. Zudem erhält das EEG-Konto bei so hohen Strompreisen auch Gutschriften. Netzbetreiber müssen, das ist gesetzlich vorgeschrieben, EEG-geförderten Strom an der Strombörse und da auch noch am hochpreisigen Kurzfrist-Markt verkaufen. Die Mehrerlöse dürfen sie aber nicht behalten, sondern müssen diese aufs EEG-Konto einspeisen. Allein im August spülte diese Vermarktung von EEG-Strom rund zwei Milliarden Euro in die Kasse. Das Guthaben auf dem EEG-Konto wuchs in dem Monat um mehr als eine halbe Milliarde auf 17,4 Milliarden Euro – der Effekt der »umgekehrten EEG-Umlage«.

Diesen Effekt könnte die Regierung weiter verstärken – zugleich könnte sie den Netzbetreibern, die das EEG-Konto verwalten, auch erlauben, sich daraus zu bedienen, zum Beispiel um die Netzentgelte zu senken. Davon würden alle etwas haben – Haushalte, Gewerbe und Industrie. Die Gelder vom EEG-Konto könnten auch genutzt werden, um drohende Stromsperren abzuwenden, Haushalten in Not also direkt zu helfen.

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