- Berlin
- Comic über Streetwork
Bilder von der Straße
Ein Comic erzählt von der Arbeit des Berliner Vereins Gangway
Was ist Straßensozialarbeit oder Streetwork? Dass Sozialarbeiter*innen Menschen direkt auf der Straße ansprechen, um Unterstützung anzubieten, ist inzwischen als etabliertes Konzept in der Großstadt bekannt. Aber viel weiter reicht das Allgemeinwissen oft nicht. »Straßenfunde«, eine Graphic Novel der Comic-Zeichnerin und Illustratorin Anne Zimmermann, die der Streetwork-Verein Gangway anlässlich seines 30. Geburtstags veröffentlicht hat, gibt nun Einblicke in den Arbeitsalltag von Straßensozialarbeiter*innen in Berlin. »Die Form der Graphic Novel ist durch die vielen Bilder etwas zugänglicher als so eine große Wand aus Text«, sagt Zimmermann. Eine Mischung aus kleinen Geschichten aus dem Streetwork-Alltag und Erklärungen zu den wichtigsten Begriffen der Arbeit macht den Einstieg leicht.
Bei der Vorstellung des Comics erzählen einige Sozialarbeiter*innen aus ihrem Berufsalltag. »Das Vertrauen der Jugendlichen muss man sich erkämpfen«, sagt Taner Avci. Er weiß das gut, weil er selbst als Jugendlicher in den 1990er Jahren die andere Seite von Straßensozialarbeit kennengelernt hat. »Wir dachten, die würden mit der Polizei zusammenarbeiten. Ich habe denen auch laut ›Verräter‹ zugerufen«, erzählt er. Die Erfahrungen von Avci und vielen weiteren Streetworker*innen werden im Comic geschildert. So hält eine Gruppe Jugendlicher Sozialarbeiter*innen in einer Geschichte für Zivilpolizist*innen.
Im Focus der Arbeit von Gangway stehen vorwiegend Jugendliche, die von den üblichen Hilfesystemen nicht erreicht werden. Egal ob Jobcenter, Jugendamt, Integrationsbehörden oder Soziale Wohnungshilfe – die Zugänge zu den Anlaufstellen, die für Unterstützungsleistungen verantwortlich sind, sind oft voller Hürden. Um diese zu überwinden und zwischen den Behörden und den Jugendlichen zu vermitteln, suchen Straßensozialarbeiter*innen die Orte im öffentlichen Raum in der Stadt auf, wo sich Jugendliche oft aufhalten, und versuchen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
Teresa Fischer ist Streetworkerin im Bereich Tiergarten und in Moabit. Sie erzählt, es könne ein bis zwei Jahre dauern, bis eine Gruppe von Jugendlichen das notwendige Vertrauen gefasst habe, um die Unterstützung ihres Teams in Anspruch zu nehmen. Dann aber verbreite sich der Ruf schnell, und die Sozialarbeiter*innen würden aus dem gesamten Umfeld der Jugendlichen angerufen, wenn es Probleme gebe. »Sie machen ihre Scheiße natürlich trotzdem«, resümiert Fischer. Den Erfolg ihrer Arbeit misst sie deshalb daran, ob die Jugendlichen die Unterstützung ihres Teams annehmen, wenn es »hart auf hart« kommt.
Gangway arbeitet aber nicht nur mit Jugendlichen, sondern auch mit Erwachsenen. »Die Arbeit mit Erwachsenen ist anders, gerade wenn es um obdachlose und wohnungslose Menschen geht. Da ist es wichtig, zuerst zu schauen, ob es einen Krankenwagen braucht, ob die Person was essen muss oder friert oder überhaupt noch atmet«, sagt Zuza Maczynska. Vor allem sei die Lage oft weniger hoffnungsvoll als bei Jugendlichen. »Das sind Menschen, die schon durch alle Hilfesysteme durchgefallen sind, die keine Leistungsansprüche haben oder mit starken psychischen Erkrankungen nirgendwo unterkommen«, sagt Maczynska.
Zimmermann versucht in ihrer Graphic Novel, die verschiedenen Perspektiven auf Straßensozialarbeit abzubilden. »Der rote Faden ist, dass viele Menschen in dem System, in dem wir leben, nicht aufgefangen werden und gar nicht gesehen werden. Das ist das Schöne an Streetwork, dass es niemanden gibt, der nicht gesehen wird«, sagt die Zeichnerin. Gleichzeitig erklärt sie viele Begriffe und Konzepte der Straßensozialarbeit, die ihr in ihren zahlreichen Gesprächen mit den Gangway-Streetworker*innen häufig begegnet sind, beispielsweise »Niedrigschwelligkeit«, »Nähe-Distanz-Verhältnis« und »Kontinuität«, aber auch strukturelle Faktoren wie »Gentrifizierung« und »Kapitalismus« werden eingeordnet – alles bildlich dargestellt mit kleinen Zeichnungen und Sprechblasen. Die wiedergegebenen Geschichten seien »von realen Begebenheiten inspiriert«, sagt Zimmermann. Es sei ihr dabei wichtig gewesen, genug zu verallgemeinern, dass sich keine der Jugendlichen oder Erwachsenen persönlich wiederfinden würden, von denen die Sozialarbeiter*innen ihr erzählt haben. »Es sind keine reißerischen Geschichten«, so die Autorin. Es gehe nicht darum, dramatische Einzelschicksale oder Elend abzubilden, sondern allen Interessierten einen umfassenden Einblick in die Straßensozialarbeit zu vermitteln.
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