Trennung nach 50 Jahren

Der ostdeutsche Gashändler VNG verliert seine Russland-Verbindung und braucht staatliche Hilfe

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Staat soll eingreifen: Der ostdeutsche Gasimporteur VNG hat am Freitag Hilfe beim Bundeswirtschaftsministerium beantragt, die über die Gasumlage hinausgeht. Dies soll helfen, den drittgrößten Gasversorger im Land zu stabilisieren, der, wie es in einer Erklärung heißt, durch die Folgen des Ukraine-Krieges in eine »zunehmend kritischere Finanzsituation« geraten sei.

Bis Februar war VNG nach eigenen Angaben ein »kerngesundes« Unternehmen – und hätte wohl im Mai 2023 groß gefeiert. 50 Jahre wird es dann her sein, dass die Sowjetunion erstmals Gas in den Osten Deutschlands lieferte. Am 1. Februar 1973 wurde im »Anlandepunkt« im erzgebirgischen Sayda der Hahn aufgedreht. Das 40. Jubiläum im Jahr 2013 wurde per Festakt im Rathaus Leipzig gewürdigt: mit dem russischen Botschafter, dem Bundeswirtschaftsminister und der Führungsriege des Unternehmens VNG, Kurzform für Verbundnetz Gas AG. Dieses war aus dem DDR-Betrieb Technische Leitung Ferngas hervorgegangen und konnte sich trotz vieler Veränderungen auf eine Konstante verlassen: Erdgas aus Russland. Noch am 4. Februar dieses Jahres lobte Vorstandschef Ulf Heitmüller die Russen als »verlässliche Vertragspartner«. Dass Gaslieferungen eingestellt würden, halte er für »nahezu unvorstellbar«.

Drei Wochen später überfiel Russland die Ukraine, und sieben Monate später hat der russische Lieferant Gazprom die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 faktisch eingestellt. Zu den Unternehmen, die das in große Probleme stürzt, gehört VNG. Der in Leipzig ansässige Konzern, der mit 1462 Beschäftigten und einem Umsatz von zuletzt 18,5 Milliarden Euro zu den größten Unternehmen in Ostdeutschland zählt, muss seinen wichtigsten Lieferanten ersetzen und sich von einem auch über das rein Geschäftliche hinaus engen Partner abnabeln.

Wie innig die Verbindung war, zeigte sich daran, dass Bilanzpressekonferenzen lange simultan ins Russische übersetzt wurden. Bis 2015 war Gazprom mit 10,52 Prozent direkt an VNG beteiligt. Auch danach gab es gemeinsame Aktivitäten, etwa beim Betrieb eines Erdgasspeichers in Sachsen-Anhalt oder bei Forschungsprojekten im Bereich Wasserstoff. Auch Lobbyarbeit betrieb man gemeinsam: VNG und Gazprom initiierten das 2006 erstmals abgehaltene Deutsch-Russische Rohstoffforum, das stets hochkarätige Gäste aus der Politik anzog und zu dessen Schirmherren Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) gehörte. Ab Februar wurde all das auf Eis gelegt, was auch emotional nicht leicht zu verdauen war: Bei der Vorstellung der Bilanz im April sprach Heitmüller von einem »Schock«.

Fortgesetzt wurde allerdings zunächst der Bezug von russischem Erdgas. Bis Kriegsausbruch hatte VNG 20 Prozent seines Gases direkt aus Russland bezogen. Zudem kam auch gut die Hälfte des Gases, das an Spotmärkten gekauft wurde, aus Russland. Im April hatte Heitmüller zwar anvisiert, stärker auf andere Lieferanten setzen zu wollen. Vor einem damals diskutierten Embargo für Gas aus Russland warnte er aber eindringlich, weil es in naher Zukunft nicht zu ersetzen sei. Nun aber hat die russische Seite den Hahn zugedreht. Um Kunden weiterhin versorgen zu können, müsse man am Markt Gas zu massiv gestiegenen Preisen nachkaufen, was bisher einen hohen dreistelligen Millionenbetrag gekostet habe, teilte VNG auf Anfrage des »nd« mit: »Kein Unternehmen kann einen solchen Kapitalabfluss auf Dauer durchhalten.«

Betroffen ist laut VNG zum einen ein direkter Vertrag mit Gazprom über 35 Terawattstunden. Ihn zu ersetzen, verursache Mehrkosten von einer Milliarde Euro. Diese hätte man unter Zuhilfenahme der Gasumlage »aus eigener Kraft tragen können«, heißt es. Der »Leipziger Volkszeitung« (LVZ) hatte Heitmüller unlängst gesagt, man hoffe aus diesem Topf auf einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag. Zudem wird nach Angaben des Unternehmens aber auch ein weiterer, über einen deutschen Zwischenhändler abgewickelter Vertrag über 65 Terawattsunden nicht mehr bedient. Die absehbaren Mehrkosten wären für VNG »nicht tragbar«, erklärte es.

Sachsens Landespolitik drängt auf Bundeshilfen für das Unternehmen. Dieses sei »strukturrelevant nicht nur für Sachsen, sondern für ganz Ostdeutschland«, sagte Energieminister Wolfram Günther (Grüne). Allerdings regt sich auch Kritik, dass das Loch nicht durch Anteilseigner gestopft wird. Zu ihnen gehört der im Besitz des Landes Baden-Württemberg und dortiger Kommunen befindliche Energiekonzern EnBW, der 74 Prozent der VNG-Anteile hält und wegen der explodierten Strompreise derzeit hohe Gewinne erzielt. Der LVZ hatte Heitmüllers dazu erklärt, ein solcher Zuschuss wäre nur in Form einer Kapitalerhöhung möglich, zu der dann auch die restlichen VNG-Anteilseigner beitragen müssten, allen voran die acht Ost-Kommunen Leipzig, Dresden, Chemnitz, Wittenberg, Rostock, Hoyerswerda, Neubrandenburg und Annaberg-Buchholz, die über eine Beteiligungsgesellschaft knapp 22 Prozent halten und in den vergangenen Jahren anteilig von den guten Gewinnen der VNG profitierten. Diese müssten dann »ebenfalls eine Menge Geld in die Hand nehmen, wenn der Anteil Ostdeutschlands an der VNG nicht verwässert werden soll«, sagte Heitmüller.

Ob die Argumentation beim Bund Gehör findet und VNG Staatshilfen sowie Geld aus der von allen Gaskunden zu finanzierenden Umlage erhält, die ab 1. Oktober greift, ist offen. Das Unternehmen beeilt sich immerhin zu versichern, dass die Umlage »keine Gewinne ermöglicht, sondern Verluste mindert«.

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