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Erdrutschsieg für Regierungspartei
Kommunalwahlen in Russland von Desinteresse und Fälschungsvorwürfen geprägt
Am Rande des Östlichen Wirtschaftsforums in Wladiwostok sorgte Michail Degtjarjow vergangenen Donnerstag für einen Aufreger. Er würde selbst »mit Freude« in den Donbass fahren, um dort zu kämpfen, sagte der Gouverneur der Region Chabarowsk. Allein sein Amt hindere ihn daran. Als Reaktion auf die kriegstolle Aussage wurde eine Petition gestartet, deren Unterzeichner Degtjarjow dazu zwingen wollen, seinen Gouverneursposten ruhen zu lassen und in den sinnlosen Krieg in die Ukraine zu ziehen. Trotz bereits 22 000 Unterschriften wird es dazu wohl nicht kommen. Und auch vor einer Abwahl muss sich Degtjarjow nicht fürchten, schließlich wird in Chabarowsk erst in vier Jahren ein neuer Gouverneur bestimmt.
In 14 Regionen Russlands hingegen waren die Menschen am vergangenen Wochenende aufgerufen, ein neues Oberhaupt zu wählen. Hinzu kamen sechs Regionalparlamente und viele Lokalabstimmungen – insgesamt 4700 Wahlen fanden zwischen dem 9. und 11. September in 82 Regionen statt. In der Vergangenheit waren solche Superwahltage stets ein Großereignis, das von staatlicher Seite wie ein Fest begangen wurde. Konzerte, bunt geschmückte Wahllokale und kostenloses Essen sollten die Russ*innen wie zu Sowjetzeiten animieren, ihre Stimme abzugeben.
In diesem Jahr war der »einheitliche Wahltag«, so der offizielle Name, zumindest in seinem Ablauf von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine geprägt. Politische Debatten fanden nicht statt, fast alle Parteien stellten sich hinter den Einmarsch in das Nachbarland. Stattdessen sprachen die Kandidat*innen davon, wie wichtig es sei, Präsident Wladimir Putin und seinen Kurs zu unterstützen. Wer doch Kritik übte, wurde entweder wegen angeblichen Extremismus oder Diskreditierung der Armee angeklagt und damit automatisch von der Wahl ausgeschlossen. Viele haben Russland anschließend verlassen oder sitzen auf der Anklagebank, wie der Moskauer Kommunalpolitiker Ilja Jaschin.
In vielen Regionen war die Wahl in den Lokalmedien kein wirkliches Thema. Auch die Kandidat*innen unternahmen kaum Anstrengungen, um wahrgenommen zu werden. Die Vertreter*innen von Einiges Russland waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie Kampagnen als nicht nötig ansahen. Und Gegenkandidat*innen konnten sich in Staatsmedien nicht präsentieren.
Den Russ*innen selbst war die Wahl letztendlich ziemlich egal. Am Telefon erzählt eine Moskauerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, sie habe nicht gewählt, obwohl sie sogar online die Möglichkeit gehabt hätte. Ihre Eltern seien jedoch traditionell am Sonntag ins Wahllokal gegangen und hätten sich vorher beim »schlauen Wählen« informiert, wie man einen Sieg der Kandidat*innen von Einiges Russland verhindern könne. Mit dem »schlauen Wählen« versucht die Opposition, die aussichtsreichsten Gegenkandidaten zu unterstützen. In den vergangenen Jahren kamen sie oft von der KPRF. Dieses Mal konnten die Kommunisten nicht profitieren. Einiges Russland errang am Sonntag einen Erdrutschsieg und entschied jede Abstimmung für sich. In Moskau errangen die Kandidat*innen der Regierungspartei und des Ablegers Mein Viertel 91 Prozent der Sitze und stellen künftig 1294 Abgeordnete in den Stadtteilparlamenten, die zweitplazierten Kommunisten kommen auf gerade einmal 42 Mandate, das sind drei Prozent der Wähler*innenstimmen. Landesweit sehen die Ergebnisse ähnlich aus.
Beobachter*innen machen neben einer niedrigen Wahlbeteiligung insbesondere Wahlfälschungen für das Ergebnis verantwortlich. Landesweit gab es Berichte über den massenhaften Einwurf von Wahlzetteln, markierten Wahlzetteln und Behinderungen von Journalist*innen und Beobachter*innen. In St. Petersburg soll es auch zu gewaltsamen Übergriffen gekommen sein. Vor allem die Wahl im eigenen Zuhause und die digitale Abstimmung stehen in der Kritik. Bei letzterer hätten viele Wähler*innen vergessen, ihre Stimme zu verifizieren, und diese so leicht manipulierbar gemacht, warnte ein Informatiker.
Am Tag nach der Wahl sendeten Abgeordnete aus Moskau, St. Petersburg und Kolpino ein Lebenszeichen der Demokratie. Sie forderten Putin auf, zurückzutreten, weil er dem Land schade.
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