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Der Rechtsruck in Schweden wird real
Wahlkampfthemen waren Kriminalität und Strafrecht. Das spielte den Rechtsradikalen in die Hände
Bei der Reichstagswahl am Sonntag in Schweden sind die Schwedendemokraten (SD) nach der bisherigen Auszählung tatsächlich wie in den Voruntersuchungen die zweitstärkste Partei geworden. Die stärkste sind immer noch die Sozialdemokraten (S), die drittstärkste die rechts-konservativen Moderaten (M). Damit hat der Block aus Mitte-rechts-Parteien momentan ein Mandat mehr als der linke Block und ein Wechsel von einer sozialdemokratischen zu einer rechtsliberalen Regierung ist nicht unwahrscheinlich. 94 Prozent der Stimmen sind bereits am Sonntag ausgezählt worden. Abzuwarten sind neben den verbleibenden Regionen noch die Stimmen von im Ausland lebenden Wähler*innen. Das endgültige Ergebnis wird erst Ende der Woche vorliegen.
Eine Grafik vom Datenjournalismusportal des öffentlich-rechtlichen Senders Svt zeigt, dass die meisten Wähler*innenstimmen innerhalb der Blöcke zu anderen Parteien gewechselt sind, etwa von den Moderaten (M) und Christdemokraten (KD) zu den Schwedendemokraten. Woher kommt dieser Ruck von Mitte-rechts zum ganz rechten Rand? Laut dem sozialdemokratischen Leitartikelautor Daniel Suhonen haben die Sozialdemokraten, aber auch die liberale Zentrumspartei (C) ihre soziale Basis verloren. »Man kann sagen: Die Arbeiter*innenklasse und die Bauern haben diese Wahl entschieden, aber die Sozialdemokraten und die Mitte haben diese Wahl verloren«, sagte er gegenüber Svt. Die Zahlen geben ihm recht: Unter den Arbeiter*innen wählten 32 Prozent die Sozialdemokraten und 29 Prozent die Schwedendemokraten, während unter den Unternehmer*innen und Bauern, die von der Wahluntersuchung als eine gemeinsame Kategorie aufgezählt werden, 25 Prozent für die Moderaten und 24 Prozent für die Schwedendemokraten gestimmt haben. Die Sozialdemokraten sind hier nur drittstärkste Partei und die Linke bekam gerade einmal drei Prozent.
Anders Lindberg, politischer Kolumnist für die schwedische Zeitung »Aftonbladet«, erklärte den Erfolg der rechten Schwedendemokraten und den Wechsel der traditionell rechts Wählenden zum rechten Rand folgendermaßen: »Die Moderaten haben in diesem Wahlkampf die Schwelle zum radikal rechten Gedankengut gesenkt und damit zu einem radikalen Klima beigetragen.« In diesem Klima hatte Regierungschefin Magdalena Andersson noch in der Woche vor der Wahl in der Schwedendemokraten-Hochburg Dalarna davon gesprochen, kein »Somalitown« in Schweden haben zu wollen. Dafür erntete sie Kritik auch aus den eigenen Reihen. Sie spielte damit auf die Segregation in den Vororten von Schwedens Großstädten an. Genau dort, vor allem in den Vororten von Stockholm, haben die Sozialdemokraten bei dieser Wahl viele Stimmen verloren. Insgesamt wurde in den beiden größten Städten Schwedens, Stockholm und Göteborg, jedoch deutlich linker gewählt als im Rest des Landes. Göteborg hatte bei der gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahl zum Beispiel mit 15,7 Prozent der Wähler*innenstimmen ein nahezu doppelt so hohes Ergebnis für die Linkspartei wie bei der Reichstagswahl.
Aus Göteborg kommentiert Ulf Bjereld, Politikwissenschaftler, Sozialdemokrat und ehemaliger Vorsitzender der sozialdemokratischen Gruppe »Glaube und Solidarität«, regelmäßig das zeitgenössische politische Geschehen in nationalen Zeitungen. Bjereld zeigte sich gegenüber »nd« nicht verwundert über den möglichen Machtwechsel in Stockholm. »Wir waren jetzt acht Jahre lang unerhört links. Dass nach dieser Regierungszeit der Sozialdemokraten ein Wechsel kommt, ist eigentlich nicht ungewöhnlich. Vor allem wenn man bedenkt, welchen Krisen die Regierung ausgesetzt war.« Er bezog sich damit unter anderem auf den Krieg in der Ukraine und die steigenden Energiepreise. »Wirklich unerwartet ist nach meiner Meinung, dass jetzt eine Partei mit ihren Wurzeln in der Neonazi-Szene zweitstärkste Partei geworden ist«, so Bjereld. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Schwedendemokraten in Regierungsverantwortung kommen.
Die Sozialdemokraten haben zwei Prozentpunkte hinzugewonnen, könnten am Ende aber trotzdem mit leeren Händen dastehen. Das liegt laut Bjereld vor allem daran, dass der Fokus im Wahlkampf nur auf den Themen Verbrechen und Strafe lag. »Damit haben die Sozialdemokraten nicht den Wahlkampf bekommen, den sie eigentlich gebraucht hätten. Die Schwedendemokraten haben hingegen mit dem Fokus auf die Gang-Kriminalität genau das Klima für den Wahlkampf bekommen, das sie wollten.« Die Moderaten hätten zudem in den vergangenen Jahren eine ungewöhnlich liberale Migrationspolitik verfolgt. Auch deswegen sind Wähler*innen zu den Schwedendemokraten gewechselt. Die Sozialdemokraten hätten sich nach seiner Meinung mehr auf ihre klassischen Themen sozialer Wohlfahrtsstaat, Steuerpolitik und Krankenpflege konzentrieren sollen. »Ein ganz praktisches Beispiel wäre zum Beispiel eine staatliche Zahnarztversicherung gewesen, die in die normale Krankenversicherung eingeht. Mit so einer Reform hätten sie bei ihren Wähler*innen punkten können.« Diesen Punkt hatten zum Beispiel die Schwedendemokraten auf ihrer Agenda. Letztlich, so Bjerelds Einschätzung, hatte Magdalena Andersson auf das starke Vertrauen der Wähler*innen gebaut. Vor der Wahl kam sie auf eine Zustimmung von 56 Prozent. »Aber diese Rechnung wurde ohne das schwedische Volk gemacht. Schwed*innen wählen Parteien, keine Persönlichkeiten«, konstatierte Bjereld.
Am Wahlabend zeigte sich die linke Partei Vänster (V) nüchtern. Ihre führende Vorsitzende im Reichstag, Karin Rågsjö, sagte: »Sieben oder acht Prozent sind eigentlich okay. Unsere Hauptfragen waren in dieser Wahlkampfdebatte nicht so wichtig.« Am Montag nach der Wahl war die Reichstagslinke zu keinem Interview oder Kommentar bereit. Die Parteivorsitzende Nooshi Dadgostar sagte in der Nacht vom Sonntag zum Montag, erst dann eine Erklärung abzugeben, wenn ein endgültiges Wahlergebnis vorliege.
Eine Möglichkeit, die auch Politikwissenschaftler Ulf Bjereld als realistisch einschätzt, könnte eine Regierung aus Sozialdemokraten und Moderaten sein. Nach der bisherigen Auszählung führt Ulf Kristersson von den Moderaten mit einem Mandat gegenüber Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten – aber noch ist nichts endgültig entschieden. Am Montag begaben sich die Parteien in die Verhandlungen, um die Voraussetzungen für eine Regierungsbildung auszuloten. Das kann eine Weile dauern. Die Schwedendemokraten haben gegenüber verschiedenen schwedischen Medien gesagt, dass sie erstmals Ministerposten anstreben. Ob sie diese bekommen werden, ist noch unklar.
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