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Prekäre Pride
Die Europride in Belgrad fand statt – unter massivem Polizeischutz und Angriffen durch rechte Hooligans
Es blieb bis zur letzten Sekunde unklar, ob die Europride in Belgrad stattfinden kann. Letztlich konnten am vergangenen Samstag einige tausend Menschen, die Polizei spricht von 5000, die Organisator*innen von 7000, auf einer stark verkürzten Route für die Rechte von LGBTIQ-Personen in der serbischen Hauptstadt demonstrieren. »Die Stimmung war teilweise beklemmend«, erzählt Daniel Bache, Bundessprecher von Die Linke.queer, dem »nd«. Er war wie zahlreiche andere europäische Politiker*innen nach Belgrad gereist, um Solidarität auszudrücken, nachdem die Polizei am Dienstag aufgrund von »Sicherheitsbedenken« die Parade abgesagt hatte. Die neue Demoroute zwischen dem Verfassungsrat und einem nahe gelegenen Park war bis zum Samstagmorgen von der Polizei weder bestätigt noch verboten worden. Erst die Ansage der Premierministerin Ana Brnabić am Morgen, dass die Polizei die Parade schützen werde, brachte Klarheit. Brnabić ist die erste lesbische Regierungschefin Serbiens und gehört der von Präsident Aleksandar Vučić geführten rechtspopulistischen Serbischen Fortschrittspartei an. Sie hatte sich im Vorfeld nicht für den Pride eingesetzt.
Die einwöchigen Europride-Veranstaltungen werden seit 1992 jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt abgehalten. Auch Berlin, Köln und Hamburg waren schon Schauplätze. Belgrad war die erste osteuropäische Stadt und die erste nach Zürich 2009 außerhalb der EU, in der eine Europride stattgefunden hat. Viele Politiker*innen der EU hatten die Absage Vučićs im Vorfeld kritisiert. In einem gemeinsamen Brief appellierten 145 Europaabgeordnete an Belgrad, den Marsch wie geplant stattfinden zu lassen. Auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne) war vor Ort und rief die serbische Regierung dazu auf, die Parade zu schützen. Gleichgeschlechtliche Ehen sind in Serbien rechtlich nicht anerkannt, Queerfeindlichkeit ist in dem Land nach wie vor weit verbreitet.
Auf der Parade waren Vertreter*innen von etwa 50 serbischen Pride-Organisationen anwesend. Aus diesem Umfeld wird geschätzt, dass etwa die Hälfte der anwesenden Personen aus dem Ausland kam. »Der Umzug konnte etwa 300 Meter laufen und ging nicht wie geplant durch die ganze Innenstadt, sondern zu großen Teilen durch einen Park«, erzählt Bache. Schon an den Sammelpunkten zu Beginn hätten Rechte und ultra-klerikale Gegendemonstrant*innen die Parade gestört. Diese hielt die Polizei aber größtenteils von der Parade fern. Zwar hatte das Innenministerium im Vorfeld auch alle Gegenveranstaltungen verboten, doch einige rechte Gruppen hatten angekündigt, sich nicht daran zu halten. Eine Gruppe Hooligans schleuderte demnach Rauchbomben gegen die Einsatzkräfte, Polizist*innen drängten am Rande des Marschs immer wieder kleinere Gruppen von Kreuze schwenkenden Gegendemonstrierenden zurück. Regierungschefin Ana Brnabic berichtete später von 64 Festnahmen. Zudem seien zehn Polizisten verletzt worden. Sie sei trotzdem »stolz« darauf, dass der Tag ohne »größere Zwischenfälle« zu Ende gegangen sei, sagte die offen lesbische Politikerin.
Das ist allerdings fragwürdig. Zwar kam es nicht zu solch massiven Angriffen auf LGBTIQ wie etwa 2001 und 2010, als organisierte Gewalt und Riots den Pride störten. Jedoch wurden im Kontext des Pride einige Teilnehmende angegriffen. So wurde eine Gruppe von Aktivist*innen aus Albanien von Rechtsextremen überfallen. Zwei aus der Gruppe mussten mit ihren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Auch »Tagesspiegel«-Redakteurin Nadine Lange wurde mit einer Freundin auf dem Rückweg von der Demonstration niedergeschlagen. »Wir hatten Glück, wir haben nur kleinere Verletzungen – aber es ist sehr verstörend. Wir können wieder wegfahren, aber die Leute in Belgrad können das nicht. Das ist sehr traurig«, sagte Lange dem »Tagesspiegel«. Die Journalistin hatte die Parade privat besucht. Bache und seinen Begleiter*innen sei nichts Derartiges widerfahren. »Zum Glück. Doch überall wurden wir davor gewarnt, uns offen mit Regenbogensymbolen in der Stadt zu zeigen und uns vom Konzert am Ende der Veranstaltung zu entfernen«, sagt Bache. Auf dem Konzert sei aber »ausgelassen gefeiert« worden.
»Die Situation der Europride war total prekär. Dass sie überhaupt stattfinden konnte, ist ein wichtiger und empowernder Erfolg für die Community«, sagt Bache. Einige queere Menschen seien aber auch ferngeblieben aus Angst vor anti-queerer Gewalt. Innenminister Aleksandar Vulin betonte am Samstag, dass das Verbot durchgesetzt worden sei. Die Menschen seien lediglich »zu einem Konzert eskortiert« worden. »Die Regierung in Belgrad sitzt zwischen allen Stühlen und konnte sich nicht leisten, dass die Stimmung eskaliert«, sagt Bache. Serbien gilt traditionell als engster Verbündeter Russlands in Europa. Zugleich ist das Land ein EU-Beitrittskandidat.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine steht Serbien hier mehr unter Druck: Zwar hat Präsident Aleksandar Vučić sich der Resolution der UN-Generalversammlung angeschlossen, in der die russische Aggression aufs Schärfste verurteilt und der Kreml aufgefordert wird, die Gewalt gegen die Ukraine sofort zu beenden. Sanktionen hat das Land aber keine verhängt und bezeichnet sich als »neutral«. Zunächst hatte der russische Angriffskrieg jedoch auch in Serbien für Kritik gesorgt, da Putin sich in seiner Rechtfertigung für die Annektion der Krim auf den Kosovo bezog. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Landes bis heute nicht an. Erst Ende August gab es einen Streit mit der EU, da der Kosovo Zusatzdokumente für einreisende Serben einführen wollte. Der Präsident begründete das mit der Nichtanerkennung kosovarischer Dokumente durch die serbische Regierung. Nach dem Eingreifen der EU verzichten nun beide Seiten auf die Zusatzdokumente. Die EU versucht seit langem, die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo zu normalisieren und sieht das als Voraussetzung für einen Beitritt zum Staatenverbund. Dass Vučić in dem Streit eingelenkt hat und nun auf die Zusatzdokumente verzichtet, könnte also auch als eine Annäherung an die EU gelesen werden – das Verbot der Pride-Parade wiederum als Ausgleich in Vučićs Drahtseilakt zwischen EU und Russland.
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