Bolsonaro schlägt moderate Töne an

Brasiliens Präsident ändert auf den letzten Metern seine Wahlkampftaktik

  • Niklas Franzen, São Paulo
  • Lesedauer: 4 Min.

Mitte September hatten mehrere evangelikale Podcaster einen prominenten Gast in ihrem Studio: Jair Bolsonaro. Brasiliens Präsident erklärte auf Nachfrage, einige provokante Aussagen über die Corona-Pandemie zu bereuen. Doch vor allem ein Ausschnitt des mehr als vierstündigen Interviews machte in sozialen Medien die Runde: Dort sagte Bolsonaro, dass er die Präsidentenschärpe weiterreichen werde, sollte er nicht wiedergewählt werden.

Es waren ungewohnte Töne für den Rechtsradikalen. Seit Monaten attackiert Bolsonaro die demokratischen Institutionen und verbreitet Lügen über das elektronische Wahlsystem. Mehrfach hatte er angekündigt, die Wahlergebnisse nur zu akzeptieren, wenn er gewählt wird. »Nur Gott« könne ihm die Präsidentschaft entziehen. Es ist relativ klar, dass Bolsonaro nicht plötzlich zu einem Sinneswandel gekommen ist. Die moderateren Töne dürften vor allem Wahlkampftaktik sein.

Bolsonaro liegt in allen Umfragen für die am 2. Oktober stattfindende Wahl klar hinter seinem großen Herausforderer Luiz Inácio »Lula« da Silva. Wenn Bolsonaro die Wahl noch irgendwie gewinnen will, ist er auf die Stimmen der politischen Mitte angewiesen und muss die große Ablehnung in der Gesellschaft überwinden. Das klappt nicht mit allzu schrillen Auftritten und radikalen Ansichten.

Eigentlich hatte Bolsonaro gehofft, dass ihm Massenproteste Aufschwung geben könnten. Am 7. September, dem Nationalfeiertag, gingen Hunderttausende Rechte für »ihren Präsidenten« auf die Straße. Doch der gewünschte »Effekt der Straße« trat nicht ein, im Gegenteil: In den Umfragen war Bolsonaro zuletzt sogar noch weiter gefallen. Auch sozialpolitische Maßnahmen der Regierung zeigten kaum Wirkung. Der Kongress hob unlängst die Obergrenze für Staatsausgaben auf. Bolsonaro kann dadurch in den nächsten drei Monaten mehr Geld für Sozialleistungen zur Verfügung stellen. Das sollte dem angeschlagenen Präsidenten eigentlich wichtige Stimmen bringen – bisher jedoch ohne großen Erfolg. Was Bolsonaro zudem ungelegen kommt: Zwei Journalist*innen des Online-Mediums UOL deckten auf, dass die Bolsonaro-Familie 51 ihrer 107 Immobilien mit Bargeld gezahlt haben soll. Gegen den Präsidenten, der sich gerne als Kämpfer gegen Korruption und Vetternwirtschaft inszeniert, steht nun der Vorwurf der Geldwäsche im Raum.

Der Sozialdemokrat Lula hofft derweil auf die »voto útil«, die nützliche Stimme. Das heißt, er hofft darauf, dass einige Brasilianer*innen, die eigentlich vorhaben, für andere Kandidat*innen zu stimmen, ihn wählen, um ihre Stimme nicht »zu verschwenden«. In seinen jüngsten Reden betonte der Ex-Gewerkschafter selbstbewusst, einen Wahlsieg in der ersten Runde anzustreben. Kommt kein*e Kandidat*in in der ersten Runde auf über 50 Prozent, gibt es am 30. Oktober eine Stichwahl.

Lula, der mit dem konservativen Ex-Gouverneur von São Paulo Geraldo Alckmin als Vizepräsidentschaftskandidat ins Rennen zieht, konnte sich kürzlich weitere prominente Unterstützung sichern. Die ehemalige Umweltministerin Marina Silva erklärte auf einer Pressekonferenz ihren Schulterschluss mit Lula. Sie wird auch als mögliche Ministerin gehandelt und dürfte sich im Fall einer Nominierung für eine sozial-ökologische Transformation starkmachen.

Während Brasilien auf die »wichtigste Wahl seiner Geschichte« zusteuert, rechnen viele mit weiterer Gewalt. Unlängst zeigte eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Datafolha, dass 67,5 Prozent der Brasilianer*innen Aggressionen wegen ihrer politischen Entscheidungen fürchten. In den vergangenen Wochen gab es mehrere Attacken, vor allem auf Linke. Im Bundesstaat Mato Grosso tötete am 7. September ein Bolsonaro-Fan einen Anhänger von Ex-Präsident Lula nach einer politischen Diskussion. Laut Polizeiangaben soll der Täter versucht haben, sein Opfer zu enthaupten.

Auch hochrangige Politiker*innen berichten von Drohungen. Sowohl der linke Politiker Guilherme Boulos als auch Ciro Gomes, Präsidentschaftskandidat der Mitte-Links-Partei PDT, wurden bei Wahlkampfveranstaltungen von bewaffneten Männern bedroht. Besonders die Sicherheit von Lula bereitet Mitarbeiter*innen der PT große Sorgen. Nach Störungen am Rand von Wahlkampfveranstaltungen hat er begonnen, eine kugelsichere Weste zu tragen. Außerdem musste Lula aus Sicherheitsgründen umziehen. Für den Volkstribun kommt es allerdings nicht infrage, sich nicht mehr öffentlich zu zeigen. Am 17. September ließ er sich von Zehntausenden in der eigentlich stramm konservativen Stadt Curitiba feiern und versprach, den »Respekt für die Menschen« in Brasilien zurückzuerkämpfen, sollte er gewählt werden.

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