Neue Kriege durch Russlands Schwäche?

In mehreren Ex-Sowjetrepubliken flammen alte Konflikte wieder auf

  • Roland Bathon
  • Lesedauer: 4 Min.

Als die Sowjetunion vor gut 30 Jahren zerfiel, war der vereinigte Vielvölkerstaat Geschichte und in zahlreichen früheren Teilrepubliken flammten nationale Kriege auf. Bei vielen Feindseligkeiten, die vorher unterdrückt wurden, spielte nun eine Rolle, zu welchem Staat dieses oder jenes Territorium gehörte.

Russland fühlte sich in den Kriegen um Bergkarabach, Transnistrien oder die abtrünnigen Provinzen Georgiens weiter als Ordnungsmacht und betrachtete von Anfang an den postsowjetischen Raum als Einflussgebiet. An kriegerischen Konflikten dort hatte man in Moskau kein Interesse, und wo immer es die Chance gab, wurden sie mit russischer Hilfe eingefroren. So kam es auch, dass etwa in Südossetien oder Transnistrien russische Truppen stationiert wurden.

Wirklich gelöst wurden all diese Konflikte nicht und auch Russland war oft nicht wirklich neutral. Vor allem, wenn sich ein Staat wie Georgien stärker nach Westen orientierte, unterstützte Moskau unverhohlen die Gegenseite und konnte so keinen echten Vermittler darstellen. Dennoch herrschte in vielen dieser Konflikte jahrelang eine brüchige, angespannte Ruhe, auch weil sich potenzielle Aggressoren nicht mit der militärisch scheinbar mächtigen Ordnungsmacht im Kreml anlegen wollten.

Der russische Überfall auf die Ukraine und vor allem dessen immer größeres Scheitern haben die Karten neu gemischt. Die russische Armee versagt offenbar bei der Eroberung eines wesentlich kleineren Nachbarlandes. Sie ist weiter stark durch militärische Aktionen vor Ort gebunden, sodass ein Engagement an einer zweiten Front unmöglich erscheint. Die Stellung Moskaus im postsowjetischen Raum ist dadurch erheblich geschwächt.

Aserbaidschan war nun im September der erste Staat, der sich auch gegen den Willen Moskaus anschickte, den eingefrorenen Konflikt mit Armenien offen in einen militärischen Triumph zu verwandeln. Militärisch ist man den Armeniern, anders als in den 1990er Jahren, überlegen. Jahrzehntelang konnten üppige Einnahmen aus dem Rohstoffhandel in das eigene Militär gesteckt werden. Die Türkei hält daneben als befreundete Macht, die ihren Einfluss in der Region ausbauen will, den Rücken frei. Wie die armenische Presse berichtet, schreckten die Truppen der Aserbaidschaner nicht davor zurück, russische Friedenstruppen mit schwerem Artilleriefeuer anzugreifen.

Der Konflikt zwischen Baku und Jerewan ist jedoch nicht der einzige, der in Osteuropa und Mittelasien, gefrostet durch den Einsatz Moskaus, aber weiter ungelöst vor einer erneuten Explosion steht. So würden die Georgier gerne die von Russland unterstützten abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien wieder unter die eigene Kontrolle bringen. Der letzte militärische Versuch hierzu scheiterte 2008 am massiven Eingreifen des russischen Militärs.

Der ukrainische Politiker Fedir Wenislawskyj empfahl Georgien in der letzten Woche, einen neuen Versuch zur »Befreiung« der beiden Provinzen zu unternehmen, eine offene Aufforderung zur Eröffnung einer zweiten, militärischen Front gegen die geschwächten Russen. Die georgische Regierung nahm dies zum Anlass, ein landesweites Referendum über die Frage zu organisieren, ob man diesen militärischen Weg gehen will, der einen neuen Kriegsausbruch im Kaukasus bedeuten würde.

Ein weiteres Pulverfass ist die moldauische Provinz Transnistrien, die de facto unabhängig von einer prorussischen Regierung regiert wird und überwiegend russischsprachig ist. Die Verhandlungen zwischen der Zentral- und der Provinzregierung für eine dauerhafte Lösung sind schon länger ins Stocken geraten. Die Unabhängigkeit der Transnistrier wird unter anderem von seit 1992 anwesenden russischen Friedenstruppen garantiert, die Moldau aus dem Land haben will. Gegenüber der Nachrichtenagentur TASS meint der frühere moldauische Präsident Igor Dodon, dass die aktuelle Regierung gerade darauf wartet, ob der Westen dem Land signalisiert, dass man den Konflikt gegen Russland nutzen will. Das würde ebenfalls eine Eskalation bedeuten.

Nicht immer geht es bei eingefrorenen Konflikten um abtrünnige Gebiete. Zwischen Tadschikistan und Kirgisistan bestehen schon seit Jahrzehnten Grenzstreitigkeiten, die nun im September zu offenen Kämpfen geführt haben. Auch bei dieser Eskalation ist beiden Seiten bewusst, dass Kämpfe überhaupt nicht im Sinne Moskaus sind. Russlands Präsident Wladimir Putin war gerade mit seinen Kollegen aus beiden Staaten beim Gipfel der Shanghai-Organisation, die der Kreml zu einem einigen, asiatischen Gegengewicht gegen den mit Russland verfeindeten Westen ausbauen möchte. Dass Russland Einigkeit wünscht, spielt angesichts seiner nun bekannten Schwäche jedoch eine zunehmend geringere Rolle, und so ist es wohl kein Zufall, dass der Grenzstreit ausgerechnet jetzt offen aufflammt.

So ist die scheinbare Schwäche Moskaus für die geschundene Ukraine ein großes Glück. Sie kann jedoch in ganz anderen Gebieten auch zu neuen Kämpfen und sogar Kriegen führen, wo Russland ein nun geschwächter Garant für den Status quo war.

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