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Lecks und Risse in Atomkraftwerken

Habecks Plan, zwei Kernkraftwerke als Notreserve vorzuhalten, steht vor dem Scheitern

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 5 Min.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) droht nicht nur bei seiner Gasumlage ein Rückschlag. Auch sein Vorschlag, die beiden Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg wegen möglicherweise bevorstehender Energiepässe über den Jahreswechsel hinaus als »Notreserve« vorzuhalten, erweist sich immer mehr als unsinniges, technisch kaum machbares und überdies höchst gefährliches Ansinnen.

Wie im geltenden Atomgesetz vorgesehen, müssen die beiden genannten AKW ebenso wie das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen spätestens zum 31. Dezember ihre Strom- und Atommüllproduktion einstellen. Zumindest was die Kraftwerke betrifft, wäre der Atomausstieg damit vollzogen. Die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau und die Brennelementeschmiede im niedersächsischen Lingen sind vom Ausstieg ausgenommen und haben unbefristete Betriebsgenehmigungen.

Seit einigen Monaten nehmen vor allem Politiker*innen von CDU/CSU sowie auch der bei dem Thema gewissermaßen als Oppositionspartei auftretenden FDP die Energiepreiskrise zum Anlass, um Laufzeitverlängerungen für die drei AKW zu verlangen. Und nicht nur das: Längst werden Forderungen laut, auch bereits stillgelegte Reaktoren wieder ans Stromnetz anzuschließen oder sogar neue Atomkraftwerke zu bauen. Freidemokraten haben dafür die Formel »3+3+3« ersonnen: Laufzeitverlängerung für Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland, die Wiederinbetriebnahme von drei abgeschalteten Meilern und der Neubau von drei weiteren – bei einer Bauzeit von bestenfalls 15 Jahren ist insbesondere die Errichtung neuer Kraftwerke ein geradezu grotesker Vorschlag zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise.

Weil es auch in der SPD mit der Atomgegnerschaft nicht sehr weit her ist und zudem viele Medien, angeführt von »FAZ« und »Welt«, kräftig für Laufzeitverlängerungen und Wiederinbetriebnahmen von AKW trommeln, sah sich Habeck in der Defensive: Sein »Kompromissangebot« sollte etwas Druck aus dem Kessel nehmen und gleichzeitig die Basis der Grünen mitnehmen. Dabei wäre ein wie behutsam auch immer gestaltetes Abrücken vom Ausstiegstermin 31. Dezember wohl ein Türöffner für ein atompolitisches Comeback.

Mit Blick auf Isar 2 hatte zunächst der Betreiber Preussen Elektra, eine Eon-Tochter, Habecks Notreservepläne für technisch nicht machbar und deshalb ungeeignet erklärt. Einmal komplett heruntergefahren, sei ein flexibles Anheben oder Drosseln der Leistung nicht mehr möglich. Tatsächlich eignen sich die schwerfälligen Atomkraftwerke nur für den Grundlastbetrieb. Ein schnelles Aufheizen und Herunterkühlen der Meiler wie etwa bei einem Toaster ist nicht möglich.

Am Montag dieser Woche wurde bekannt, dass ein Druckventil im Kühlkreislauf von Isar 2 derart verschlissen ist, dass es für einen möglichen Betrieb über den Jahreswechsel hinaus ausgetauscht werden muss. Die Reparatur müsste Preussen Elektra zufolge noch im Oktober erfolgen, da der Meiler ansonsten mangels Energie nicht wieder hochgefahren werden könnte. Bisher hieß es immer, Isar 2 könne bis zum Jahresende unter Volllast laufen.

Nach Angaben der Antiatomorganisation Ausgestrahlt ist das Ventilleck nicht das erste. Bereits im Januar sei in der Anlage eine solche Leckage aufgetreten, der Betreiber habe das Kraftwerk damals vom Netz genommen. Aus Sicht von Ausgestrahlt-Sprecher Armin Simon wirft der neue Vorfall deshalb Fragen auf: »Um welche Ventile handelt es sich oder ist sogar dasselbe Bauteil betroffen? Wann wurde das aktuelle Leck entdeckt? Kann ein systematischer Fehler und ein Versagen des Alterungsmanagements ausgeschlossen werden?«

Inzwischen beklagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), von der Staatsregierung in Bayern nicht frühzeitig über das Ventilleck informiert worden zu sein. Sie verwies darauf, dass sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und CDU-Chef Friedrich Merz vor einigen Wochen öffentlichkeitswirksam den Reaktor angeschaut und mit dem Betreiber gesprochen hätten. Kritik äußerte die Grünen-Politikerin auch am bayrischen Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler): »Es stellt sich auch die Frage, warum Minister Glauber, immerhin Chef der bayerischen Atomaufsicht, nicht auf das Problem hingewiesen hat. Das ist einfach unseriös.« Nach Angaben des Bundesumweltministeriums hat Lemke in der vergangenen Woche von der Leckage erfahren. Seit wann Preussen Elektra von dem Problem weiß, ist unklar.

Auch beim AKW Neckarwestheim 2 stehen die geplante »Einsatzreserve« und ein eventuelles Weiterlaufen auf der Kippe. Denn der Verwaltungsgerichtshof Mannheim verhandelt am 14. Dezember über die Betriebsgenehmigung. Hintergrund sind mehr als 300 Risse in meist dünnwandigen Rohren, die sich aufgrund von Spannung und Korrosion in den vergangenen Jahren gebildet haben. »Würde auch nur eines der rund 16 000 Rohre aufgrund eines solchen Risses bersten, abreißen oder brechen, wäre dies bereits ein nur schwer zu beherrschender Kühlmittelverluststörfall, der bis zur Kernschmelze führen kann«, befürchtet Armin Simon. Sicherheitsnachweise, die einen solchen Abriss von Rohren sicher ausschließen, hat der Betreiber EnBW bis heute nicht beigebracht. Dennoch ließ die baden-württembergische, dem von den Grünen geführten Umweltministerium unterstellte Atomaufsicht den Reaktor immer wieder ans Netz. Dagegen hatten Ende 2020 zwei Anwohner des AKW geklagt.

Habe die Klage Erfolg, müsse das Umweltministerium in Stuttgart den weiteren Betrieb des Rissreaktors unterbinden, heißt es bei den örtlichen Bürgerinitiativen. Eine verlässliche Planung eines wie auch immer gearteten Betriebs des AKW Neckarwestheim 2 in diesem Winter sei damit nicht möglich.

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