Zug um Zug nach Mecklenburg

Prignitzer Regionalbahnen 73 und 74 durch Kooperation mit dem Nachbarland vorerst gerettet

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Aussicht wird immer schöner. Wiese und Wald, durch einen leichten Nebelschleier romantisch verklärt. Man kann nicht sagen, dass die Landschaft am Fenster vorbeifliegt, denn der Zug ist eine sogenannte Ferkeltaxe und rumpelt gemächlich über die Schienen. Aber je schöner es wird, umso beschwerlicher. Von Neustadt (Dosse) nach Pritzwalk, nach Kyritz und nach Meyenburg geht es nacheinander in drei verschiedenen Triebwagen, die in immer größeren Abständen verkehren – und dann geht es gar nicht mehr weiter oder höchstens in einer Sonderfahrt. Denn Schienen liegen ja auf dem weiteren Weg nach Norden. Sie werden bloß schon seit vielen Jahren nicht mehr regelmäßig befahren. Eine Sünde an der Natur und den Menschen angesichts von Klimakrise und hohen Benzinpreisen.

Im Sommer 2021 zeigte der Abgeordnete Christian Görke (Linke) – er saß damals noch im Landtag, schaffte aber wenige Monate später den Sprung in den Bundestag – welches Potenzial hier ungenutzt vor sich hindämmert. Schließlich wäre eine Verbindung nach Mecklenburg drin, über Karow, wo die Fenster des gottverlassenen Bahnhofs mit Holzplatten verschlossen waren und auf dem Bahnsteig eine Rohranlage rostete, über die einst Dampflokomotiven mit Wasser befüllt wurden. Aber die Strecke ließe sich reaktivieren. Doch während sich Christian Görke dafür einsetzte, schwante ihm schon, dass das genaue Gegenteil eintreten könnte: Keine Verlängerung, sondern eine Verkürzung der Verbindung. Tatsächlich drohte eine Stilllegung der Regionalbahnlinien RB 73 und RB 74 in der Prignitz.

Politiker aus der Region, wie Heiligengrabes Bürgermeister Holger Kippenhahn und der Landtagsabgeordnete Thomas Domres (beide Linke), protestierten dagegen. Die Mühe machten sie nicht vergeblich. Vor Kurzem zeigte sich Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU) zuversichtlich, dass gemeinsam mit dem Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern eine Lösung gefunden werde. Am Mittwochmorgen wurde dann die frohe Botschaft verkündet.

Die beiden Bundesländer haben sich demnach darauf verständigt, eine Kosten-Nutzen-Untersuchung zu den beiden Linien in der Prignitz und zu den angrenzenden Streckenabschnitten in Mecklenburg Richtung Güstrow durchzuführen. Einstweilen »können die bisherigen Verkehrsleistungen auf den Strecken zwischen Neustadt (Dosse) und Meyenburg für drei Jahre verlängert werden«, teilt das Infrastrukturministerium mit.

Die anliegenden Kommunen sollen allerdings weiterhin Geld zuschießen. Die übrigen Mittel stellt das Land Brandenburg aus seinem Haushalt zur Verfügung. Es entscheidet sich letztlich alles bei einer Ausschreibung, denn es muss sich auch eine Eisenbahn bewerben und den Zuschlag erhalten. Es gibt also quasi eine Galgenfrist für den von Stilllegung bedrohten Abschnitt mit der Chance auf eine Wiedergeburt des schon stillgelegten Teils. Im Moment bedient die Hanseatische Eisenbahn GmbH die Strecken.

»Wir wollen für die Menschen in ganz Brandenburg attraktive Mobilitätsangebote im Öffentlichen Personennahverkehr schaffen«, erklärte Minister Beermann. »Deshalb freue ich mich, dass wir nach intensiven Gesprächen der letzten Wochen und Monate zur Zukunft der Regionalbahnlinien 73 und 74 wesentliche Schritte vorangekommen sind.« Langfristig tragfähig ist ein Schienenpersonenverkehr dort nach Überzeugung des CDU-Politikers »nur mit einem Ausbau der Infrastruktur und einem grenzüberschreitenden Gesamtkonzept«.

Mecklenburg-Vorpommerns Infrastrukturminster Reinhard Meyer (SPD) ergänzt, in seinem Bundesland sei der Saisonverkehr in der Tourismusregion in Plau am See bis 2027 gesichert. »Für eine Zukunft der Strecken rund um das Karower Kreuz begrüße ich die Verabredung mit meinem Brandenburger Amtskollegen.« Es sollen bei der geplanten Untersuchung nicht nur Kosten und Nutzen des Personenverkehrs unter die Lupe genommen werden, sondern auch die Chancen für den Güterverkehr.

Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann ist zuversichtlich. Hohe Fahrgastzahlen seien immer dann möglich, wenn es attraktive Verbindungen gibt. Bisher habe die Strecke weit hinter ihrem Potenzial zurückgelegen. Eine direkte Verbindung von Berlin zu den touristischen Zielen der Mecklenburgischen Seenplatte verspreche eine große Nachfrage, glaubt Redmann. Von Verkehrswende reden, aber Strecken abbestellen, das sei »bizarr« gewesen, reagiert der Bundestagsabgeordnete Görke auf die Nachricht. »Die aktuelle Rolle rückwärts der Landesregierung ist also das Mindeste!«

»Die vorläufige Rettung der kleinen Regionalbahnlinien ist eine gute Nachricht für die Prignitz«, meint der Landtagsabgeordnete Thomas Domres (Linke). »Sie zeigt, dass gemeinsamer Druck der Menschen vor Ort, der betroffenen Kommunen und der Opposition im Landtag erfolgreich sein kann.« Domres teilt allerdings nicht die Einschätzung, diese Bahnstrecke tauge nur als Durchgangstrasse. Dass die große Lösung von Berlin nach Güstrow und Rostock in Angriff genommen wird, sei zwar sinnvoll. Bis dahin kann und sollte aber von Neustadt (Dosse) nach Meyenburg im Stundentakt gefahren werden. »Den unattraktiven Ist-Zustand vier Jahre fortzusetzen und ständig bangen zu müssen, wie es danach weitergeht, bringt uns in der Region keine Punkte«, findet Domres.

Sein Linksfraktionskollege Andreas Büttner ergänzt: »Die Zukunft der RB 73/74 darf doch nicht davon abhängen, ob prominente Abgeordnete der heutigen Regierungsparteien 2024 in ihren Wahlkreisen wiedergewählt werden.« Das ist gemünzt auf CDU-Fraktionschef Jan Redmann und Finanzministerin Katrin Lange (SPD), die in Wittstock beziehungsweise in Pritzwalk leben. Wenn die rot-schwarz-grüne Koalition wirklich in ganz Brandenburg attraktive Mobilitätslösungen garantieren wolle, erwarte er auch eine Perspektive für die RB 63 zwischen Joachimsthal und Templin, sagt Büttner. Neben RB 73 und 74 stand auch die RB 63 mit dem Entwurf des neuen Nahverkehrsplans zur Disposition – und ihre Zukunft ist weiterhin unklar. Büttner wohnt in Templin, Thomas Domres stammt aus Perleberg in der Prignitz.

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