Saubermann steht unter Anklage

Migranten werfen dem republikanischen Gouverneur DeSantis politischen Missbrauch vor

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Lockangebote hatten es in sich: Freiflug auf die exklusive Urlaubsinsel Marthas Vineyard in Massachusetts und danach erstklassige Betreuung. Für die Migranten aus Venezuela, die schon lange außerhalb ihres Heimatlandes auf der Suche nach Perspektiven waren, kam die Offerte gelegen. Von DeSantis Helfern bekamen sie Essensmarken für McDonald’s sowie offiziell aussehende Broschüren über Massachussets als »Sanctuary State« (Zufluchtsstaat). Aber als sie vergangene Woche auf der Insel ankamen, waren die Bewohner nicht vorab informiert worden. Die Migranten wurden herzlich, aber provisorisch empfangen. Unmittelbar nach der Ankunft wurde der Notstand deklariert, die Nationalgarde herbeigerufen. So schnell wie möglich waren die Migranten wieder weg, auf einer Militärbasis auf dem Festland auf Cape Cod, rund 60 Kilometer entfernt. Sprecher der Insel behaupteten, dass die Antragstellung auf Asyl auf ihrer Insel technisch unmöglich sei.

Der 44-jährige DeSantis gab am Tag nach der Ankunft offen zu, dass er die Aktion veranlasst hatte. Der Staat Florida soll rund 600 000 Dollar für diese Flüge zwischen Texas und Massachusetts bezahlt haben. In diesem Frühjahr hat DeSantis schon zwölf Millionen Dollar für Migrantentransporte eingeplant. Mit dem Zielort Martha‹s Vineyard hat DeSantis – selbst in einfachen Verhältnissen aufgewachsen – die bisherigen Taktiken der Verfrachtung von Migranten, die vom texanischen Gouverneur Greg Abbott eingeführt wurden, erheblich politisch verschärft. Abbott schickte Busse mit Tausenden Migranten in die Städte Washington D. C. und New York. Diese kamen müde und ausgehungert in den schäbigsten Busbahnhöfen des Landes an. Die Ärmsten strandeten in den Orten der Armen; afroamerikanische Bürgermeister in beiden Städten mussten mit der zusätzlichen Belastung klarkommen.

DeSantis organisierte nun etwas Neues: Martha’s Vineyard ist nicht irgendeine Insel, sondern der begehrteste Sommerort der liberalen Elite Amerikas. Barack Obama hat dort ein Haus, die Clintons sind auch gerne dort. Das Durchschnittshaus kostet eine Million Dollar, was viele auf der Insel Arbeitende zum Pendeln zwingt. DeSantis machte eine Kampfansage an diese Machtelite. »Sie waren obdachlos, sie waren hungrig«, sagte sein Sprecher Taryn Fenske, »sie waren verlassen, und keiner von den Aktivisten, die jetzt mitklagen, hat denen in Texas geholfen.« DeSantis wirft Biden seine offene Grenzpolitik vor. 2022 durften mehr als zwei Millionen Migranten ins Land einreisen.

Die 50 venezolanischen Migranten und die für die Rechte von Einwanderern kämpfende Organisation Alianza Americas werfen DeSantis und anderen Vertretern Floridas vor, sie mit falschen Versprechungen von Jobs und Wohnungen von Texas in andere Bundesstaaten gelockt zu haben. Der Sheriff von San Antonio hat ebenfalls eine Untersuchung eingeleitet.

In den vergangenen Tagen hielt DeSantis eine lange Rede, die durchaus als Werbung für die republikanische Präsidentschaftkandidatur verstanden werden kann, wenngleich nicht als offene Kampfansage an Ex-Präsident Donald Trump. Er stellte sich als als Antiglobalist dar; die Biden-Regierung bezeichnete er als »das Regime«, also die geballten Kräfte der US-amerikanischen Elite in der Politik, Finanzwelt, Medien und Kultur; ein Krake, gegen den einfache US-Amerikaner ohne Hilfe keine Chance haben.

DeSantis gibt sich als aufstrebender Saubermann: keine Beleidigungen gegen Mexikaner oder Frauen. DeSantis gibt sich kapitalkritisch, zumindest was Monopole und Großfirmen wie Facebook, Amazon und Disney anbelangt. Er beschwört die USA des freien Unternehmertums, des kleinen Kapitalisten. Am Ende der Rede machte der Gouverneur eine schroffe Unterscheidung: Wer sucht nur Gewinne in den USA? Wer ermöglicht sich ein schönes, opulentes Leben? Und wer kämpft für die USA, notfalls bis zum Tod? Die wahren Helden in Washington sind für den Harvard-Rechtsanwalt und Ex-Offizier DeSantis die Soldaten auf dem Arlington-Militärfriedhof. Selbst Mitglied der Machtelite geworden, vergleicht sich DeSantis mit den gefallenen US-Soldaten. Ob er damit Trump das Wasser abgraben kann, ist offen.

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