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»Schafft wenigstens Klarheit!«
Gedanken von Moskauern zur Mobilisierung für den Krieg in der Ukraine
Russland mobilisiert für den Krieg in der Ukraine. Seit Donnerstag werden im ganzen Land Männer zusammengesammelt, um an die Front geschickt zu werden. Ob es wirklich bei den von Verteidigungsminister Sergej Schoigu angekündigten 300 000 bleibt oder es doch eine Million wird, wie die »Nowaja Gaseta« schreibt, weiß momentan niemand. »nd.Die Woche« hat mit drei Moskauern darüber gesprochen, was sie von der Mobilisierung halten.
Leitender Spezialist für Fluggeräte in einem Rüstungsunternehmen, 36, möchte anonym bleiben
Mir ist überhaupt nicht nach Arbeit. Ich versuche, irgendetwas zu machen und zu begreifen, damit meine Gedanken ganz woanders sind. Ich denke nicht darüber nach, das Land zu verlassen. Es gibt solche, die gerne in Mietwohnungen leben, in verschiedene Viertel ziehen und viel reisen. So bin ich nicht, ich bin schwer vom Platz zu bekommen. Ich beneide manchmal diejenigen, die so mobil sind, aber ich kann dagegen nichts tun.
Es gibt zwei Sachen, die mich in der aktuellen Situation stören. Ungeachtet der Liebe zu meinem Land regt mich das ständige Lügen auf. Ich habe eine Statistik gelesen, laut der uns in letzter Zeit 15 Mal gesagt wurde, dass es keine Mobilisierung gibt. Dann hieß es, es werden nur die mobilisiert, die in der Armee gedient und Kampferfahrung haben. Aber auch das stimmt nicht. Ein Kollege hat mich heute gefragt, was er tun soll. Er wurde ausgemustert und war deshalb nie in der Armee. Letzte Nacht haben sie ihm den Einberufungsbescheid an die Tür gehängt. Eigentlich muss dieser persönlich überreicht werden.
Ich muss mich bei der Arbeit neben meiner eigentlichen Tätigkeit noch mit der Wehrerfassung beschäftigen. Den ganzen Tag habe ich versucht, irgendein Wehramt zu erreichen und herauszufinden, ob der Einberufungsbescheid gültig ist und warum ein Ausgemusterter ihn bekommt. Aber nirgendwo nimmt jemand den Hörer ab.
Die zweite Sache ist, dass es nirgendwo Informationen gibt, wer jetzt eingezogen wird. Es kann auch niemand sagen. Im Präsidentenerlass steht, dass Mitarbeiter des Rüstungsbereichs befreit sind. Die Regierung muss aber noch definieren, um welche Unternehmen es geht. Und dieses Dokument gibt es immer noch nicht! Was, wenn ich morgen den Einberufungsbescheid bekomme? Wie erkläre ich im Wehramt, dass ich in der Rüstung arbeite, aber keine Befreiung von der Regierung habe? Wen interessiert es, wo und was ich arbeite? Noch ist unklar, ob ich in andere Städte fahren kann. Ab Montag habe ich Urlaub und will nach Sotschi. Niemand kann mir sagen, ob ich fahren darf.
Wenn ihr so unbedingt die Mobilisierung braucht, schafft wenigstens Klarheit und lügt nicht! Alle meine Freunde sind still geworden. Manche sagen, es sei ihnen egal, was mit ihnen passiere, andere warten auf die Liste mit den Unternehmen. Von Ausreise redet niemand. Aber wir sind alle in der Rüstungsindustrie. Wer in anderen Bereichen arbeitet, hat natürlich mehr Angst.
Michail Jurasow, 24, IT-Spezialist
Im Internet gibt es viele widersprüchliche Angaben und verschiedene Mobilisierungslisten. Auf der einen Liste bin ich drauf, auf der anderen nicht. Auf den Listen mit Alter, Armeeerfahrung und Tauglichkeit gehöre ich zu jenen, die mobilisiert werden sollen. Auf den Listen mit benötigten Berufen tauche ich als Fernsprechmechaniker nicht auf.
Seit Mittwoch bin ich nur noch in meinem Viertel unterwegs. Ich habe gehört, dass die Einberufungsbescheide an öffentlichen Orten verteilt werden, glaube aber nicht, dass das effektiv ist. Von meinem Wehrdienst weiß ich, dass sie für den Bescheid deine persönlichen Daten brauchen. Sie können nicht einfach so den Namen draufschreiben. Wie wollen sie dich also identifizieren, wenn du keinen Ausweis dabei hast?
Ich habe keine Angst, denn ich glaube nicht, dass mit mir etwas Schlimmes geschieht. Vielleicht, weil ich noch keinen Bescheid erhalten habe. Dann würde ich Muffensausen bekommen. Ich glaube nicht, dass diejenigen, die eingezogen werden, mit leeren Händen an die Front geschickt werden. Niemand braucht sinnlose Opfer. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie alle zur Schlachtbank geschickt werden.
Ich verstehe die Gespräche nicht, dass man ausreisen muss. Man kann doch nicht alles hinschmeißen und für eine unbestimmte Zeit irgendwo hinfahren. Hier hat man Wohnung, Arbeit und Kontakte. Es ist schwer, alles fallen zu lassen aus Angst, man könnte eingezogen werden.
Ich glaube nicht, dass das ganze Land mobilisiert wird. Der Staat hat schlicht nicht das Geld, um jedem ein Maschinengewehr in die Hand zu drücken. Wenn ich unter denjenigen sein sollte, die an die Front kommen, dann will es das Schicksal so.
Seit Mittwoch haben mir mehr Leute geschrieben als im ganzen letzten Monat. Und alle haben mir Anleitungen geschickt, wie man der Einberufung entgeht. Panik scheint mir nicht der richtige Weg. Wir müssen warten, bis es vernünftige Informationen gibt.
Pawel Murawjow, 36, Wissenschaftler an einem Energieforschungsinstitut
Ich habe meinen Wehrpass als Wissenschaftler bekommen. Ich habe in geschützten Betrieben gearbeitet und mit 27 habe ich dann den Wehrpass bekommen, der meinen Wehrdienst ausweist. Ich habe keine Militärlaufbahn, deshalb kann ich theoretisch als Roder oder Schütze dienen.
Die Nachricht über die Teilmobilmachung hat mich emotional kaum berührt. Nicht, weil ich als Wissenschaftler und alleinerziehender Vater davon nicht betroffen wäre. Kommt die allgemeine Mobilmachung, bin auch ich betroffen. Meine Ruhe kommt daher, dass ich gleich verstanden habe, dass das alles mit der Mobilisierung endet, anders geht es nicht. Man kann nicht siegen, wenn man eine Sonderoperation durchführt und Krieg gegen einen geführt wird.
Ich habe mit Freunden gesprochen und versucht, ihre Stimmung herauszubekommen. Einer hat es sehr bedauert, nicht in den Urlaub nach Vietnam gefahren zu sein. Ich habe ihm vorgeschlagen, jetzt zu fahren. Er hat nur gelacht und meinte, er kümmere sich lieber darum, die Gasleitung in seinem Dorf zu verlegen.
Ich möchte nirgendwohin ausreisen. Ich will kein Schicksal als Geflüchteter, weder für mich noch für mein Kind. Meine Zukunft ist in meinem Land.
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