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Pflegebedürftige in Gefahr

Steigende Kosten bringen existenzielle Risiken für ambulante und stationäre Versorgung mit sich

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich bin privilegiert, ich bin seit Januar in Rente und habe mehr Zeit. Ich gehöre zu den Menschen, die in der Lage sind, sich Informationen zu beschaffen«, erklärt Sonja Kemnitz am Montag im Gesundheitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses (AGH). Kemnitz ist eingeladen, als Expertin in einer Anhörung über die Lage der pflegenden Angehörigen in der Hauptstadt zu sprechen. Sonja Kemnitz ist eine von ihnen. Sie engagiert sich überdies bei »Wir pflegen«, einer Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation von Berliner*innen, die in ihrem Haushalt Menschen mitversorgen, die sich nicht selbstständig durch das Leben bewegen können. Kemnitz hat vor dem Ruhestand zuletzt als Referentin die Linke-Bundestagsfraktion zum Thema beraten, ist also in vielerlei Hinsicht versiert, einen Blick auf die Situation einer sehr großen Gruppe von Menschen zu werfen, die angesichts der aktuellen Preissteigerungen vor massiven Sorgen und Problemen stehen. Sie kenne Angehörige, die von einer »zweiten Miete« sprächen, um zu verdeutlichen, wie sehr sie aktuell finanziell belastet seien, sagt sie. Das erklärt sich aus der Sache an sich: Pflegebedürftige brauchen es wärmer, wenn es kalt ist, kühler, wenn es warm ist, viele sind neben Medikamenten häufig auch auf besondere Ernährung oder auf Hilfe in Form technischer Geräte angewiesen. Man könnte auch sagen: Viele pflegende Angehörige waren schon vor Inflation und Energiepreiserhöhung häufig am finanziellen Limit, nun wird die Lage allerdings prekär.

Dazu kommen die Preissteigerungen bei den ambulanten Pflegediensten, von denen viele Familien unterstützt werden. Deren erhöhte Preise gehen auch auf die lang erwarteten Lohnerhöhungen für Pflegekräfte zurück. Viele Angehörige müssten sich nun aber fragen, ob sie auch bei diesen Leistungen sparen könnten, sagt Kemnitz. Bei Kostensteigerungen bis zu 40 Prozent müssten manche von bis zu 1000 Euro Mehrbelastung ausgehen. »Ich kann mir dann überlegen, worauf ich verzichten kann: Kommt der Dienst nur zur Morgenhygiene und vielleicht zusätzlich abends, dann können wir mittags improvisieren und ich koche selbst. Ich übernehme also die Leistungen und spare die somit ein«, erklärt Kemnitz die Situation, vor der viele nun stünden. »Was soll die Familie sonst tun? Mehr arbeiten?« Natürlich könne man »an einzelnen Punkten drehen«, aber dies sei ja nicht im Sinne der Versorgungsqualität. »Es schadet auch den Pflegediensten, denn die müssen die Leistungen dann anderswo einholen«, nimmt die Pflegeexpertin auch die andere Seite in den Blick. Denn tatsächlich ist zu erwarten, dass Pflegedienste genau deshalb finanziell unter Druck geraten, wenn nicht sogar schließen müssen. Auch ein Großteil der Pflegeeinrichtungen muss mit Preissteigerungen bis zu 25 Prozent umgehen. Viele befürchten, dass diese Kosten wie die Lohnsteigerungen ebenfalls am Ende die zu Pflegenden tragen müssen.

Kemnitz wünscht sich Verfahrenssicherheit für alle Betroffenen. »Wir sind der Meinung, dass ambulante und stationäre Pflegeleistungen ins Entlastungspaket gehören.« Das Land Berlin müsse einen Härtefallfond einrichten und die Bezirke müssten unbürokratische Soforthilfe leisten. Beratungsangebote sollten »aus einer Hand« kommen statt von verschiedenen Stellen. Es gebe zwar zahlreiche sogenannte Pflegestützpunkte, die aber für viele nicht wohnortnah und im Kiez zu erreichen seien. Kemnitz sagt, sie gehöre mit ihrem Wissen, wo und wie sie sich Hilfe in ihrer Situation holen könne, zu einer Minderheit unter den pflegenden Menschen. Das dürfte in der aktuellen Lage das größte Problem darstellen.

Das sieht Thomas Meißner, Vorstand des Anbieterverbands qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG), ähnlich. Wer es schaffe, Hilfe zur Pflege im Rahmen bezirklicher Sozialhilfe zu beantragen, sehe sich nicht nur mit einem enormen Bearbeitungsstau konfrontiert, sondern zuweilen mit Bearbeitungszeiträumen bis zu sechs Monaten.

Der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft zeigt sich wie viele andere Abgeordnete auch bestürzt. Er habe in den letzten sechs Jahren, in denen er Mitglied des Gremiums sei, noch nie eine Anhörung erlebt, die eine so dramatische Situation geschildert habe. Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) erklärt, langfristig könne nur eine Reform der Pflegeversicherung die richtige Lösung sein. Dafür kämpfe sie im Bund. Auch die Pflegekassen seien nicht so kooperativ wie nötig und das Problem der schlecht besetzten Bezirksämter sei kein Problem der ausgeschriebenen Stellen, sondern der fehlenden Bewerber*innen.

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