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Ebbe bei der Windenergie

Der weltweite Aufschwung der Branche geht an Deutschland vorbei

  • Hermannus Pfeiffer, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck baut schon einmal vor, falls es schiefgehen sollte. In Hamburg forderte er am Dienstag die Bundesländer zu deutlich mehr Engagement und Tempo beim Ausbau der Windenergie auf. Die Länder könnten nicht so weitermachen wie bisher, sagte der Grünen-Politiker. Um die ehrgeizigen Ausbauziele zu erreichen, gebe es nur noch ein kleines Zeitfenster von wenigen Monaten.

Während Habeck die Leitmesse »Wind Energy« in Hamburg mit über 1400 Ausstellern aus 37 Ländern launig eröffnete, strotzen die Branchenvertreter vor Optimismus. »Wir haben 2021 und 2022 die beiden besten Jahre für Installationen erlebt«, freute sich Ben Backwell, Chef des internationalen Windenergieverbands GWEC. Die Branche habe sich in der Pandemie weltweit als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Und künftig gehe es nicht allein um Klimaschutz und Nachhaltigkeit, sondern zudem um Energiesicherheit und Preise. Windstrom gilt heute als eine günstige Alternative zur konventionellen Stromerzeugung. So laufen moderne Anlagen selbst ohne staatliche Subventionen profitabel.

Zur Freude der Wirtschaft sind nicht allein in Deutschland die Vorgaben aus der Politik überaus ehrgeizig. Wie ein im Mai von der Europäischen Kommission verabschiedeter Aktionsplan vorsieht, soll bis 2030 an Land die Leistung von 173 auf 374 Gigawatt (GW) ausgebaut werden, auf See von 16 auf 79 GW. Während in China und den USA rekordverdächtig viele neue Anlagen entstehen, herrscht indes hierzulande Flaute. Weltweit ist Deutschland hinter beiden Ländern noch die Nummer drei bei der bereits installierten Leistung.

Björn Spiegel, Vizepräsident des Bundesverbands Windenergie, brachte Herausforderungen und Chancen für seine Branche auf den Punkt: »In den letzten fünf Jahren haben wir durchschnittlich 2,4 GW Wind onshore und 1,4 GW Wind offshore gebaut. Was wir jetzt brauchen, sind jedes Jahr 10 GW onshore und 2,8 GW offshore.« Das bedeute eine jährliche Vervierfachung der Windkraft an Land und eine Verdoppelung im Offshore-Bereich, damit die Ziele der Bundesregierung in acht Jahren noch erreicht werden könnten.

Doch die international stürmische Entwicklung scheint an der deutschen Windindustrie vorbeizuziehen. Das Unternehmen Nordex schloss in Rostock das letzte Rotorblattwerk. Rotorblätter mit einer Länge bis zu 135 Metern werden zukünftig nicht mehr in Deutschland produziert und müssen aus anderen Ländern importiert werden.

Auch offshore, der Hoffnungsträger der deutschen Industrie, herrscht Ebbe: Seit Anfang 2021 wurde keine Windkraftanlage mehr in Betrieb genommen. Dabei finden sich auch hier spannende Entwicklungen wie »Floating Offshore Wind«. Schwimmende Windturbinen könnten zusätzliche Tiefwassergebiete für die Stromerzeugung erschließen, die dafür geeigneten, windreichen Meeresgebiete sind mindestens viermal so groß wie die, in denen man Anlagen mit festen Fundamenten errichten kann. Umweltschützer beklagen aber, dass der Lebensraum für Tiere immer kleiner werde.

»Alle Zeichen stehen auf Go – und kaum etwas passiert«, meint Thorsten Ludwig. Der Forschungsleiter der Agentur für Struktur- und Personalentwicklung in Bremen hat für die IG Metall Betriebsräte von 28 Unternehmen mit etwa 25 000 Beschäftigten aus dem gesamten Bundesgebiet befragt. Sie decken nach schweren Jahren mit Werksschließungen, Verlagerungen nach Portugal, China und Indien sowie Personalabbau – Ludwig schätzt diesen auf jede zehnte Stelle – immer noch fast die gesamte Wertschöpfungskette innerhalb Deutschlands ab: von der Turbine über die Kabelverbindung bis zum Service.

»Das grüne Jobwunder kommt nicht von allein«, rief der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich, vor den Messehallen den Vestas-Beschäftigten zu, die dort für einen Tarifvertrag demonstrierten. Die Zeit der Sonntagsreden von Politikern und der ehrgeizigen Gesetzesvorhaben sei vorbei, nun müsse endlich eine »tatsächliche Energiewende« umgesetzt werden. Übrigens sei die Branche nicht unschuldig an ihren Problemen, so Friedrich. So bilde die Windindustrie nur halb so viele junge Leute aus wie vergleichbare Branchen.

Um den Ausbau zu beschleunigen, müssten Regierungen dringend die Planung und die Genehmigungsverfahren straffen und die Netzinfrastruktur verbessern, fordern vier Verbände in einer »Hamburger Erklärung«. Erneuerbare Energien müssten »im Zentrum der politischen Entscheidungen stehen«. Nationale und regionale Industriepolitik müsse die Windenergie als »strategisch wichtige Branche« anerkennen. Turbinenhersteller und die zugehörige Belieferungskette müssten »vollen, uneingeschränkten Zugang« zu benötigten Komponenten haben.

Rückenwind verschafft solchen Forderungen Minister Habeck. Die Regierung habe ihre Hausaufgaben gemacht. Der Vizekanzler erhielt dafür bei der bis Freitag laufenden Messe viel Applaus. Der schwarze Peter gehört auch aus Sicht der Windkraftlobby den Bundesländern.

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