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Eskalation nicht ausgeschlossen
Was die Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland bedeutet. Fragen und Antworten
Freitag Mittag will Russlands Präsident Wladimir Putin im Kreml die Abkommen mit den vier ukrainischen Regionen, in denen die Scheinreferenden stattfanden, über die Aufnahme in die Russische Föderation unterzeichnen. Sind diese damit annektiert?
Noch nicht. Zwar wird Wladimir Putin nach der Unterzeichnung beim Jubelkonzert auf dem Roten Platz eine »umfassende Rede« halten und verkünden, dass man russische Gebiete »zurückgeholt« habe. Aus juristischer Sicht sind die Abkommen mit den Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja lediglich der erste Schritt. Anschließend müssen beide Parlamentskammern – die Duma und der Sicherheitsrat – die Dokumente ratifizieren. Theoretisch müsste Moskau die Gebiete Cherson und Saporischschja zuvor als unabhängig anerkennen.
Der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin preschte zunächst vor und verkündete eine Sondersitzung für den 30. September. Die wird es aber nicht geben. Stattdessen werden beide Kammern am 4. Oktober auf ihren planmäßigen Sitzungen die Dokumente und damit die Annexion ratifizieren. Aus der Präsidialverwaltung hieß es, der Kreml wolle angesichts der Mobilmachung die Annexion nicht überstürzen. Zudem muss die russische Verfassung für die Aufnahme neuer Gebiete geändert werden. Konkret geht es um Artikel 65, der die Subjekte der Russischen Föderation auflistet.
Die Annexion ist auch dahingehend ungewöhnlich, da Russland sich Gebiete einverleibt, die es gar nicht vollständig kontrolliert, erklärt die Politologin Jekaterina Schulman.
Am Donnerstagabend erklärte der erste stellvertretende Leiter der Präsidentenverwaltung, Sergej Kirijenko, dass Russland 3,3 Milliarden Rubel (58,4 Millionen Euro) zur Unterstützung der Gebiete zur Verfügung stellt.
Welche Auswirkungen hat die Annexion auf Russland und die Ukraine?
Offiziell hat eine überwältigende Mehrheit in den besetzten Gebieten für den Anschluss an Russland gestimmt. Russische Medien jubeln bereits teilweise und freuen sich, ähnlich wie bei der Krimannexion 2014, über den symbolischen Effekt. Handelt es sich doch um Gebiete, die Zarin Katharina die Große im 18. Jahrhundert erobert hatte. Zudem hat Russland damit einen Bevölkerungszuwachs von fünf bis sechs Millionen Einwohnern. Dass die wirklich alle freiwillig zu Russland wollen, ist zu bezweifeln. In den Regionen Cherson und Saporischschja wollten in den vergangenen Monaten nur wenige einen russischen Pass bekommen. Zudem haben viele Menschen nach dem russischen Einmarsch die Gebiete verlassen, in Cherson ist mehr als jeder zweite geflohen, so Schätzungen.
Möglicherweise, so der Politologe Andrej Kolesnikow, wisse man in Moskau selbst nicht so genau, was nun nach der Annexion geschehen soll. Möglicherweise habe Putin gezielt eskaliert, um die Ukraine zu Verhandlungen zu zwingen. In Kiew nannte Präsident Wolodymyr Selenskyj die Abstimmungen eine Farce und schloss Gespräche mit Putin aus.
Eskaliert durch die Annexion der Krieg der Ukraine?
Diese Vermutung wird von vielen Seiten geäußert. Allein die Verkündung der Referenden ist eine Reaktion auf die militärischen Erfolge der Ukraine. Am Mittwoch sprach der Donezker Separatistenführer Denis Puschilin davon, dass der Krieg nach den Referenden eine »neue Etappe« erreichen wird. Dmitri Medwedew, Ex-Präsident und heutiger stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates, schrieb auf Telegram, Russland habe das Recht, Atomwaffen einzusetzen, wenn es sein muss.
Der Militärexperte Oleg Ignatow von der International Crisis Group nennt die Referenden eine »sehr ernsthafte Eskalation«. Durch die Annexion kann Moskau jeden ukrainischen Fortschritt bei der Rückeroberung als Angriff auf sein Territorium werten. Hinzu kommt: Der Kreml betrachtet die Gebiete unter Kontrolle Kiews seinerseits als »ukrainisch besetzt« und sieht sich dadurch im Recht, diese zu »befreien«. Die »rote Linie«, also der Angriff auf russisches Territorium und damit ein möglicher Atomwaffeneinsatz, hat sich damit verschoben und ist dünner geworden. Allerdings sind die Aussagen der russischen Regierung diesbezüglich äußerst ambivalent, sodass das Risiko einer atomaren Eskalation nicht einzuschätzen ist.
Werden jetzt Männer aus diesen Gebieten zum Krieg gegen die Ukraine einberufen?
Da Männer aus den Gebieten Cherson und Saporischschja nach der Annexion als russische Staatsbürger gelten, unterliegen auch sie der Teilmobilmachung. Anatolij Stelmach, Vizeminister für Reintegration der temporär besetzten Gebiete, schätzt, dass Russland mindestens 80 000 Männer in den beiden Gebieten einberuft, um die eigenen Verluste auszugleichen.
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