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Sackgassen der Verkehrswende
Die Technologien des kalifornischen Silicon Valley kommen innovativ daher, bieten aber keine Lösungen für die Mobilität der Zukunft
In einer kurzen Notiz mit dem Titel »Eine Tirade über ›Technologie‹« (»A Rant About ›Technology‹«) aus dem Jahr 2004 rechnet die US-amerikanische Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin mit Kritikern ab, die ihr unterstellen, aufgrund mangelnder ingenieurwissenschaftlicher Kenntnis keine Hightech-Utopien in ihren Büchern zu entwickeln. Sie kritisiert die implizite Gleichsetzung von Technologie mit Hightech-Industrie scharf und argumentiert, dass unaufhörlicher technologischer Fortschritt ältere technische Errungenschaften nicht automatisch zu ›Lowtech‹ mache. Ihre seit den 1970er Jahren populären Sozialutopien bieten gute Beispiele dafür, dass sich bessere Zukünfte jenseits der kapitalistischen Verwertungs- und Wachstumslogik nicht am neusten Stand technologischer Entwicklung bemessen müssen. Für diesen neuesten Stand steht heute wohl unangefochten der Sillicon Valley im US-Bundesstaat Kalifornien.
Automobiler Kapitalismus
In dem jüngst im anglo-amerikanischen Verso Verlag erschienenen Buch »Der Weg ins Nirgendwo. Was das Silicon Valley über die Zukunft des Verkehrs falsch versteht« (»Road to Nowhere. What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation«) zeigt der US-Geograph und Big Tech-Kritiker Paris Marx, warum es in Hinblick auf die Verkehrsmobilität unabdingbar ist, den Zukunftsversprechen der Hightech-Entwickler zu misstrauen. Seitdem im Lauf der letzten zehn Jahre die Gegenwart der Klimakrise verstärkt ins Bewusstsein gerückt ist, werden auch in Bezug auf den Verkehrssektor – der beispielsweise in Deutschland mit 20 Prozent im Jahr 2019 einen unvermindert hohen Anteil an den Treibhausgasemissionen hat – Rufe nach grundlegender Veränderung lauter. Es ist wenig überraschend, dass große Konzerne wie Google, Tesla oder Uber hier die Chance sehen, mit digitalen Technologien und Strategien der Automatisierung in noch weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und der sozialen Infrastrukturen vorzudringen. Dabei entwerfen sie Zukunftsvisionen für den urbanen Personentransport, die nach wie vor um das Auto zentriert sind. Die zahlreichen Probleme des autoorientierten Verkehrssystems drohen dabei allerdings nicht gelöst, sondern eher noch verschärft zu werden.
Zu Beginn seines Buches, das den Fokus auf die USA legt, widmet sich der Autor daher zunächst der Geschichte der Automobilität seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Was der Automobilkonzern General Motors auf der Weltausstellung 1939/40 als Zukunftsvision ausgab, nämlich der durch Schnellstraßen zum suburbanen Eigenheim verwirklichte Traum individueller Konsumfreiheit, sollte für die weiße Mittelklasse bald Realität werden. Der Umbau US-amerikanischer Städte im Sinne dieser Vision war eine durch Kapitalinteressen vorangetriebene, staatlich orchestrierte Transformation, die – wie Paris Marx anschaulich zeigt – vielfach gegen öffentliche Interessen und Einwände durchgesetzt wurde. Abgesehen von der hohen Zahl von Verkehrstoten, die anfangs noch für Skandale sorgte, der fehlenden Grünflächen und Infrastruktur für Fußgänger sowie der entstandenen Abhängigkeit der Bevölkerung von der Autoindustrie habe der Highway-Boom nach dem Zweiten Weltkrieg zudem dazu geführt, arme und Schwarze Minderheiten systematisch von städtischen Infrastrukturen abzuschneiden.
Elektromobilität für Aktionäre
Die Tendenz, Ausschlüsse und soziale Ungleichheit zu reproduzieren, setze sich in den Mobilitätsvisionen der Technologie- und Industrieunternehmen fort, die von der neoliberalen Ideologie des kalifornischen Silicon Valley geprägt sind. In den folgenden Kapiteln beschreibt Paris Marx an zahlreichen Beispielen, dass diese aktuell lediglich Lösungen anbieten, die Aktionärsinteressen und den Lebensgewohnheiten der Mittel- und Oberschichten dienen. Die politisch vielfach beschworene Umstellung auf das Elektroauto, wie es etwa das Unternehmen Tesla produziert, würde zwar den Verbrennungsmotor obsolet machen. Durch den zur Herstellung der Batterien notwendigen Abbau natürlicher Ressourcen würden im globalen Süden neokoloniale Verhältnisse und Umweltzerstörung befördert.
Auch der ökologische Nutzen für Städte wäre weniger eindeutig, als die rosigen Versprechen emissionsfreien Fahrens nahelegen. Sollten sich die Zukunftsfantasien des Tesla-Firmenchefs Elon Musk realisieren, wäre das allerdings auch gar nicht mehr relevant. Einem Entwurf aus dem Jahr 2019 zufolge schwebe ihm ein unterirdisches Tunnelsystem vor, durch das sich die Superreichen mit einem panzerähnlichen »Cybertruck« zwischen bewachten Wohnquartieren, Arbeitsstelle und Einkaufszentren bewegen. Das nicht weniger verheißungsvoll angepriesene selbstfahrende Auto, an dessen Entwicklung neben Uber auch Unternehmen wie Google interessiert sind, würde nicht nur gängigen Sicherheitsanforderungen nicht gerecht. Autonome Verkehrsmittel benötigten eine umfassend angepasste physische und digitale Infrastruktur, die nicht zuletzt die verstärkte Verwertung von Daten zum Mobilitätsverhalten ermöglichen würde. Abgesehen von diesen Aspekten sind, wie Paris Marx mehrfach betont, Unternehmen wie Tesla und Uber hinlänglich dafür bekannt, systematisch Arbeitsrechte und Formen gewerkschaftlicher Organisierung zu untergraben.
Was tun?
Die Antwort auf die Frage, wie die zukünftige Mobilität einer sozial- und klimagerechten Stadt aussehen sollte, liegt also weit jenseits der von der Auto- und Softwareindustrie vorgegebenen Pfade. Sie käme sogar ohne technologische Innovationen aus: Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, Vergesellschaftung der Verkehrsbetriebe und bezahlbarer oder besser noch kostenloser öffentlicher Transport für alle. Dass allerdings die politischen Widerstände gegen derlei Maßnahmen groß sind, haben die jüngsten Debatten um die Verstetigung des 9-Euro-Tickets deutlich gezeigt.
Wie bereits der Publizist Evgeny Morozov in seinen Arbeiten zu den politischen und sozialen Implikationen von Technologie festgestellt hat, bieten Tech-Unternehmen technologische »Lösungen« für Probleme an, die eigentlich gesellschaftlich und politisch gelöst werden sollten. Mehr noch: Sie lassen Verwerfungen und Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung als technologisch lösbar erscheinen und tragen faktisch eher zu ihrer Verschärfung bei. Diese aus der Kritik am sogenannten »Solutionismus« inspirierte Kernthese wird in »Road to Nowhere« häufig wiederholt. Was eigentlich auf der Hand liegt, nämlich, dass die um das Automobil zentrierte Industrie wohl kaum den Weg in eine bessere Zukunft weist, illustriert der Autor aber in historischer Tiefenschärfe und anhand zahlreicher Anekdoten und Beispiele. Wer ergänzend zur Lektüre des Buches an Einblicken in andere technologische Bereiche interessiert ist, dem sei der von Paris Marx produzierte Podcast »Die Technik wird uns nicht retten« (Tech won’t save us) empfohlen. Die Hörer*innen werden hier – weitreichender als im vorliegenden Buch – ermutigt, über die Grenzen der kapitalistischen Tech-Industrie hinaus zu denken und nach der Gestaltbarkeit von Technologie im Sinne eines gemeinwohlorientierten, vergesellschafteten Guts zu fragen.
Paris Marx: Road to Nowhere. What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation. Verso, 272 S., geb., 29 €.
»A Rant About ›Technology‹« von Ursula K.
LeGuin unter: www.ursulakleguinarchive.com/
Note-Technology.html; der Podcast »Tech won’t save us« unter: techwontsave.us
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