- Berlin
- Sozialproteste
Rechte bei linken Protestaktionen – was tun?
Sozialisten begegnen dem Phänomen mit mehr Ordnern und eindeutiger Distanzierung
»Ich möchte nicht, dass die AfD nach diesem Winter in Ostdeutschland bei 30 Prozent steht«, sagt Heinz Hillebrand, Linksfraktionschef in Wildau (Dahme-Spreewald). »Aber genau das wird passieren, wenn wir ihr den Protest auf der Straße überlassen.«
Brandenburgs Polizei zählte am Montag 35 Versammlungen im Bundesland mit einem Bezug zur Corona- und Energiepolitik sowie zum Krieg in der Ukraine. Insgesamt rund 10 500 Menschen beteiligten sich. Allein 2000 Teilnehmer zählte die Polizei in Cottbus.
»Die Rechten werden versuchen, unsere Proteste zu kapern«, befürchtet Niels-Olaf Lüders, Linke-Kreisvorsitzender in Dahme-Spreewald. Der Fall ist schon eingetreten. Linke erleben jetzt immer wieder, dass die AfD oder andere Rechte ihre Protestaktionen aufsuchen, sich in Friedensdemonstrationen einreihen oder in eine Versammlung richtiggehend hineindrängen. Dazu kam es in den vergangenen Wochen in Spremberg, Brandenburg/Havel und Rathenow.
Die Frage ist nun, wie Linke damit umgehen sollen. Als der Linke-Bundesvorsitzende Martin Schirdewan am Samstag bei einer Kundgebung in Schwedt von »rechten Rattenfängern« sprach und betonte, es brauche keine »Energiepreis-Pegida«, buhten ein, zwei Zuhörer, drei oder vier verließen den Platz.
AfD-Mitglieder kommen wieder
Am 17. September liefen der Landtagsabgeordnete Lars Hünich und andere AfD-Mitglieder bei einer Friedensdemonstration in Brandenburg/Havel mit, zu der ein linkes Bündnis aufgerufen hatte, das maßgeblich von der Ortsgruppe der Sammlungsbewegung Aufstehen getragen wird. Es ist dort obendrein mindestens ein Ordner gesehen worden, der aus der rechten Szene bekannt ist, zudem ein Pappschild mit der Aufschrift »Stoppt die Zuwanderung von Sozialschmarotzern«.
Bernd Lachmann, Anmelder der Demonstration und Mitglied des Linke-Kreisvorstands Potsdam-Mittelmark, bedauerte das hinterher. Er werde nächstes Mal dafür sorgen, dass genug Ordner vor Ort sind, die ihm persönlich bekannt sind, sodass er nicht kurz vor der Versammlung wieder wahllos Leute ansprechen müsse und dabei an die falschen Leute gerate. Diese Lehre habe er aus dem Vorfall gezogen.
Jetzt soll an diesem Samstag, dem 8. Oktober, die nächste Friedensdemonstration auf dem Neustädtischen Markt von Brandenburg/Havel starten. Bei der Polizei meldete Lachmann die Versammlung für 1000 Personen an; er hat 15 Ordner auf seiner Liste, für die er persönlich die Hand ins Feuer legen kann. Zur Eröffnung möchte Lachmann eindeutig betonen, dass er jede Form von Rassismus, Nationalismus und Menschenfeindlichkeit ablehnt. Wenn sich davon Neonazis nicht abschrecken lassen, könne er diese aber leider nicht von der Demonstration ausschließen, solange sie friedlich bleiben, sagt Lachmann. In einem Ratgeber des brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit hat er gelesen, dass er nicht einmal bei vereinzelten Sprechchören von Faschisten eine Handhabe hätte, sondern erst bei einer massiven Störung der Demonstration.
Bei der Gründung eines Karl-Liebknecht-Kreises brandenburgischer Linker in Erkner hieß es am Montag, man müsse Lachmann helfen und sich als Ordner zur Verfügung stellen. Laut Lachmann wäre eine solche Hilfe ihm bekannter Genossen willkommen. Es könne nicht schaden, wenn er mehr als 15 Ordner hätte. Wer Interesse habe, solle aber nicht erst um 13 Uhr auf dem Neustädtischen Markt erscheinen, sondern bereits um 12 Uhr zur Einweisung.
GEW nicht bei Montagsspaziergängen
Dass auch andere Organisationen mit dem Thema ihre liebe Not haben, schildert Wildaus Linksfraktionschef Hillebrand. In Königs Wusterhausen gibt es problematische Montagsspaziergänge von Gegnern der Corona-Maßnahmen, für die der Lautsprecherwagen von der AfD gestellt wird. Jetzt wenden sich diese Spaziergänge dem Krieg in der Ukraine und der daraus folgenden Preisexplosion zu. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Landkreis Dahme-Spreewald halte Abstand zu diesen Spaziergängen, doch einzelne Gewerkschaftsmitglieder ließen sich davon nicht abhalten und sind mitgelaufen, berichtet Hillebrand.
In dieser Hinsicht ist der Linksfraktionschef der Stadt südlich von Berlin in der nd-Dienstagausgabe falsch wiedergegeben worden. Da hörte es sich so an, als ob sich eine Gliederung der GEW an den Spaziergängen beteiligt hätte und Hillebrand das als Vorbild für Die Linke sehen würde. Das sei nicht der Fall, stellt Hillebrand richtig.
Um die linke Protestkundgebung »Heizung, Brot und Frieden« in Berlin zu unterstützen, beschränkte sich das Gründungstreffen des Brandenburger Karl-Liebknecht-Kreises am Montag auf den Vormittag, um an dieser Kundgebung noch teilnehmen zu können. Außerdem wurde bei dem Gründungstreffen Geld für die Tafel der Gesellschaft für Arbeit und Soziales gesammelt, die für einen kleinen Obolus gespendete Lebensmittel und andere Dinge an Bedürftige abgibt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.