Krankenschwestern für sechs Schulen

Lichtenberg reagiert nun auch mit drei Schulgesundheitsfachkräften auf die Kinderarmut im Bezirk

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Anna Romberg hat Kinderkrankenschwester gelernt und anschließend Sozial- und Gesundheitsmanagement studiert. Sie hat an der Berliner Universitätsklinik Charité gearbeitet und war beteiligt an der Überprüfung der Pilotprojekte mit Schulgesundheitsfachkräften in Hessen und Brandenburg. Nun ist sie selbst eine solche Schulkrankenschwester – an der Grundschule am Wilhelmsberg in Berlin-Lichtenberg und an der Gutenberg-Oberschule direkt daneben.

Es kommt vor, dass sich ein Mädchen oder ein Junge mit Kopfschmerzen oder Bauchweh auf einer Liege ausruhen muss. Dann kümmert sich die Sekretärin der Grundschule am Wilhelmsberg um die Kleinen. „Wir Lehrer, wir haben gar nicht die Zeit, denn wir haben noch 25 andere Kinder», bedauert die stellvertretende Schulleiterin Martina Melster. Die fachkundige Unterstützung durch Schulkrankenschwester Anna Romberg ist also sehr willkommen. Auch Sebastian Neugebauer freut sich über die neue Kollegin. Er ist Sozialarbeiter an der Gutenberg-Oberschule. „Da gibt es viel, viel zu tun», sagt er.

Am Donnerstag stellen Bezirksbürgermeister Michael Grunst und Gesundheitsstadträtin Camilla Schuler (beide Linke) im Rathaus an der Möllendorffstraße die drei Schulgesundheitsfachkräfte vor, die jetzt in einem Pilotprojekt für mindestens ein Jahr an sechs Schulen in Lichtenberg eingesetzt werden. Damit ist der Bezirk Vorreiter in der Hauptstadt. 350 000 Euro lässt er sich das kosten. „Es war nicht leicht, die Finanzer davon zu überzeugen, dass wir selbst in Vorleistung gehen. Aber ich habe es geschafft», berichtet Bezirksbürgermeister Grunst. Er versichert, dass in einem Jahr nicht schon wieder Schluss sein werde. Man wolle das Projekt unbedingt fortsetzen, noch ausweiten und mit dem Senat diskutieren, damit dieser bei der Finanzierung mit einsteigt. Denn 350 000 Euro, das sei für den Bezirk keine geringe Summe.

Aber nach Ansicht von Michael Grunst darf hier nicht an der falschen Stelle gespart werden. Die Schulgesundheitsfachkräfte gehören für ihn untrennbar zur 2019 gestarteten Strategie, auf die hohe Kinderarmut in Lichtenberg zu reagieren. Jedes dritte Kind ist hier betroffen, in einzelnen Quartieren sogar jedes zweite. „Nach Möglichkeit soll kein Kind Armut spüren, denn das ist sehr bitter», sagt der Politiker.

Bereits 2019 war eine Lichtenberger Delegation nach Trebbin in Brandenburg gefahren, wo es an einer Grundschule bis heute eine Schulgesundheitsfachkraft gibt, und hatte sich mit dem dortigen Projektträger, der Arbeiterwohlfahrt (AWO), ausgetauscht. „Die Gesundheitsfachkräfte entlasten die Lehrer», wirbt Gesundheitsstadträtin Schuler für das Projekt. „Es ist auch eine praktische Antwort auf die Frage, wie wir Kindern den Schulalltag erleichtern können.» Es sei ein Schritt in Richtung Chancengleichheit. Denn es werden Kinder mit ganz unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen eingeschult.

Ob sich die Eltern den Eintritt für den Tierpark oder das Kino leisten können, spielt eine Rolle. Der Zusammenhang von Einkommen und Gesundheit liegt auf der Hand. Kinder aus armen Familien werden oft schlecht ernährt. Die Folge: Sie haben dann schlechte Zähne oder sind übergewichtig. Davon berichtet Martina Müller, zuständig für die fachliche Steuerung der Schulgesundheitsfachkräfte. „Armut in Berlin hat oft ein Kindergesicht», so Müller. Kinder sollen aber unabhängig von ihrer sozialen Lage gut und gesund aufwachsen dürfen.

Hier können Anna Romberg und ihre Kolleginnen Mandy Kubisch und Anne-Kathrin Kootz durch Aufklärung und Behandlung helfen. Als Krankenschwester hat Kubisch in der Intensivmedizin gearbeitet und gerade ein Studium der Gesundheitswissenschaften abgeschlossen. Sie ist nun an der Matibi-Grundschule und der Fritz-Reuter-Oberschule eingesetzt. Kootz ist Kinderkrankenschwester und kümmert sich um die Grundschule am Roederplatz und die Hans-Rosenthal-Grundschule.

„Ziel ist es – und ich bin von dem Erfolg wirklich überzeugt –, das Projekt flächendeckend einzuführen», erklärt Stadträtin Schuler. Für die rund 50 Schulen in Lichtenberg würde man am besten 50 Stellen, wenigstens aber 25 Stellen benötigen, rechnet Bezirksbürgermeister Grunst vor. Das würde die finanziellen Möglichkeiten von Lichtenberg übersteigen. Darum hofft er, dass der Senat mitzieht. Dafür gibt es im Moment noch keine Anzeichen. Aber Grunst erinnert an die Schulsozialarbeiter. Die Idee, dass jede Bildungsstätte mindestens einen braucht, habe sich auch durchgesetzt, obwohl das zunächst unwahrscheinlich schien.

In Brandenburg sind im laufenden Schuljahr noch 16 Schulgesundheitsfachkräfte mit Wochenarbeitszeiten zwischen 20 und 40 Stunden eingesetzt. Sie verteilen sich auf 14 Grundschulen, fünf Oberschulen und ein Oberstufenzentrum. In Cottbus sind schon drei Schulen mit dabei, und es sollen ab Januar 2023 noch zwei weitere hinzukommen. Auch Brandenburg/Havel macht jetzt wieder mit. Nachdem das Land Brandenburg zu Beginn des Jahres 2022 aus der Finanzierung ausgestiegen ist, haben die Städte Beelitz, Perleberg, Neuruppin, Trebbin und Cottbus, der Landkreis Barnim sowie der AWO-Bezirksverband Potsdam übernommen.

Die Landtagsabgeordnete Kathrin Dannenberg (Linke) ist den Kommunen und der AWO dankbar, dass die dieses „wunderbare Modell» gerettet haben. 2021 hatte das Land Brandenburg noch 546 000 Euro für 18 Frauen aufgebracht, die an insgesamt 27 Schulen eingesetzt waren. 14 Frauen hatten eine volle Stelle, acht Frauen waren in Teilzeit beschäftigt. Für das Jahr 2022 hatte die oppositionelle Linksfraktion in den Haushaltsberatungen 702 000 Euro für 18 volle Stellen von Schulgesundheitsfachkräften beantragt. „Aber es ist alles abgelehnt worden», beklagt Dannenberg, die deswegen schwer enttäuscht ist. Man hätte ja darüber reden können, wie man sich die Finanzierung mit den Kommunen teilt, meint die Abgeordnete, die von Beruf Lehrerin für Sport und Geschichte ist. Sich als Land aber ganz herauszuziehen, sei „verantwortungslos». Die Linke wolle aber nicht lockerlassen und wieder und wieder Mittel beantragen, kündigt Dannenberg an.

Die nächste Gelegenheit ergibt sich jetzt in den Beratungen zum Doppelhaushalt 2023/2024. „Das Geld ist da», versichert Dannenberg. Das Bildungsministerium könne ja mangels Bewerbern nicht alle freien Lehrerstellen besetzen, und die Schulgesundheitsfachkräfte wären eine Unterstützung für die Pädagogen.

In Berlin-Lichtenberg sollen die drei ersten Schulkrankenschwestern der Stadt, die seit Wochenbeginn im Dienst sind, an ihrer weiß-blauen Kleidung als Fachkräfte zu erkennen sein. Es sind für sie Räume eingerichtet, in denen sie Sprechstunde halten können. Wenn sie zu einem akuten Fall gerufen werden und gerade an der anderen ihrer beiden Schulen sind, „dann ist ja der Weg nicht weit», wie Mandy Kubisch sagt. Bei ihr sind es nur 110 Meter von der Matibi-Grundschule zur Fritz-Reuter-Oberschule, die sich beide an der Prendener Straße befinden. Seite 9

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