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Kolossaler Balanceakt
Im japanischen Sport Sumo spielen Frauen nur als Zuschauerinnen eine Rolle. Das muss sich ändern, finden immer mehr Fans und Athletinnen
Wenn sich Mayu Yanagihara für ihr Training umzieht, legt sie traditionsgemäß den breiten Stoffgürtel namens Mawashi um ihre Hüften. Wie der typische Sumoringer sieht sie trotzdem nicht aus. Einerseits ist sie mit 14 Jahren noch etwas jung und auch zu schmächtig – kaum 60 Kilo bringt sie auf die Waage. Außerdem hat Mayu formal betrachtet ein Defizit, das sich weder auswachsen wird noch wegtrainieren lässt: Sie ist weiblich.
Zu etwas Bekanntheit hat es die Heranwachsende in ihrem Heimatland Japan aber dennoch gebracht – oder gerade deshalb. Mehrere japanische Medien haben in den vergangenen Monaten über die ehrgeizige Nachwuchsringerin berichtet, die schon nationale Turniere gewonnen hat, in der Schule auch mit Jungs trainiert und als großes Talent gilt. Und sie fordert den Sumosport auf ganz grundsätzliche Weise heraus: Mayu Yanagihara träumt laut von einer Profikarriere als Frau.
»Ein Teil von mir hat dies schon aufgegeben«, sagte das pubertierende Mädchen zuletzt nach einem Turnier gegenüber der Nachrichtenagentur Kyodo. »Aber eines Tages will ich auf der großen Bühne kämpfen.« Wenn es um den japanischen Traditionssport geht, ist so ein Satz aus dem Mund einer weiblichen Person etwas Unerhörtes. Denn zu den über Generationen und Epochen übermittelten Grundsätzen dieses von Ritualen geprägten Sports gehört auch der strikte Ausschluss von Frauen.
Frauen dürfen nicht in den Ring
Kaum eine athletische Disziplin der Welt ist älter – und kaum eine sexistischer – als Sumo. Entstanden vor fast zwei Jahrtausenden als Ritual der Urreligion Shinto, durch das sich Menschen mit den Göttern maßen, wurde Sumo früh zum Zeremoniell an den kaiserlichen Höfen. Als die meisten heutigen Sportarten im 19. oder 20. Jahrhundert entstanden, repräsentierten die ringenden Kolosse aus Japan auch schon seit Generationen einen Profisport: Die Athleten verdienten sich mit ihren Kämpfen den Lebensunterhalt.
Allerdings können die kräftigen Ringer immer nur männlich sein – und dies quasi per Definition. Denn dieser religiöse Sport, bei dem vor einem Duell zur Säuberung des Rings Salz gestreut wird und sich die Kontrahenten auch nach einem erbitterten Schlagabtausch noch höflich und emotionslos verbeugen, betrachtet Frauen wegen ihrer Regelblutung praktisch als unrein. In einem sakralen Bereich wie dem Ring, wo die Kämpfe stattfinden, ist ihnen das Betreten verboten.
Und die Regel wird in den berühmten Sumohallen der Profikämpfer in Tokio, Ōsaka, Nagoya und Fukuoka äußerst ernst genommen. Während etwa männliche Politiker regelmäßig nach Kämpfen in den Ring steigen, um die Sieger zu beglückwünschen, sieht man hohe weibliche Politikerinnen dort nicht. Als im Jahr 2018 ein Bürgermeister im Ring kollabierte und eine Sanitäterin herbeieilte, um Erste Hilfe zu leisten, wurde sie vom Schiedsrichter sogar weggeschickt.
Die Sache sorgte landesweit für Kritik, ging sogar einigen Traditionalisten zu weit. Nobuyoshi Hakkaku, der Präsident des Sumoverbands, bat um Verzeihung und gestand ein: »In einer lebensbedrohlichen Situation war diese Reaktion unangemessen.« Auch gelobte der Verband, fortan darüber nachzudenken, ob man nicht auch Frauen den Zutritt zum Ring gewähren sollte. Viel getan hat sich seitdem aber nicht. Diskriminierung und Ausschluss bestehen weiterhin.
Und dennoch gibt es eine steigende Zahl junger Frauen, die sich von dieser Benachteiligung nicht beeindrucken lassen. Wurde die Zahl aktiver Sportlerinnen in Japan im vergangenen Jahrzehnt noch auf rund 1000 geschätzt, sollen es mittlerweile dreimal so viele sein. »Das Tolle am Sumo ist, dass kleinere Ringer immer eine Chance haben, größere Ringer zu schlagen«, sagt Mayu Yanagihara. Alles hänge von der Taktik ab. Und die erwachsene Amateurringerin Hiyori Kon, über die 2019 die Netflix-Dokumentation »Little Miss Sumo« erschien, sagt: »Ich glaube, das Frauenverbot könnte man aufheben.«
Es sind Worte, die man beim Sumoverband mit Unbehagen wahrnimmt. Zwar müsste die wachsende Beliebtheit des Sports bei Mädchen die Verantwortlichen dort eigentlich erfreuen. Schließlich erlitt Sumo über die letzten Jahre inmitten diverser Skandale rund um Profiringer – von illegalem Glücksspiel über Drogenkonsum bis zu Gewalt in den Sumoställen – mehrere Imageschäden. Dies hat auch dazu geführt, dass Jungs heutzutage lieber Fußball oder Baseball spielen, als eine Karriere als Sumoringer anzustreben. Im Sumo mangelt es akut an Nachwuchs.
Zeit für einen Wertewandel
So stehen die Verantwortlichen des Sumoverbands vor einem Dilemma: Erkennt man den Frauensport offiziell an, um so dem Sport neues Leben einzuhauchen? Es scheint, als wäre der von älteren Männern gemanagte Verband noch nicht so weit. Bisher hat man immer wieder auf die Tradition verwiesen, die eben zur Identität und damit auch zur Begeisterungsfähigkeit beim Publikum gehöre. Und diese Identität sei eine rein männliche.
Kritiker halten dagegen, dass sich die Welt nun mal ändere und auch etablierte Institutionen sich einem Wertewandel womöglich anpassen müssen, sofern sie langfristig relevant bleiben wollen. Es ist nicht einmal so, dass es weibliche Ringerinnen nie gegeben hätte. Historische Dokumente zeigen sogar, dass am kaiserlichen Hof auch schon Frauen kämpften. So sieht der wiederkehrende Verweis auf Tradition beim genaueren Hinsehen doch wie bleibender Sexismus aus.
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