Die Utopie und die steinige Praxis

Vergesellschaftungskonferenz diskutiert über demokratisches Wirtschaften

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Dreiklang als Antwort auf die Krise? In Berlin finden viele: Ja!
Der Dreiklang als Antwort auf die Krise? In Berlin finden viele: Ja!

Am Samstag ist kaum noch ein Platz zu kriegen an der Technischen Universität (TU) Berlin. Drei Tage wird hier bei der Vergesellschaftungskonferenz diskutiert, ob Verstaatlichung die Antwort auf viele drängende Fragen ist. Und das treibt offensichtlich viele um: Rund 800 Teilnehmer*innen waren zur Konferenz gekommen, die linke Theoretiker*innen, fachpolitische Expert*innen und nicht zuletzt erfahrene Aktivist*innen zusammengebracht hat.

Eine Verbindung verschiedener Kämpfe und ein neues tiefgreifendes linkes Projekt zu finden, lautete die Losung, die die Organisator*innen bereits zur Eröffnung ausgaben. Ob Vergesellschaftung eben das sein kann, lässt sich am Beispiel des Volksentscheids zur Rekommunalisierung großer privater Wohnungskonzerne gut illustrieren. Denn mit dem Erfolg, den die Kampagne Deutsche Wohnen und Co enteignen vergangenes Jahr an der Wahlurne hatte, ist die Hoffnung aufgekeimt, dass auch über die Grenzen der Stadt und den Bereich des Wohnens hinaus der Kampf für Vergesellschaftungen zu einem neuen politischen Gegenstand werden könnte. Denn: Was als soziale Infrastruktur unabdingbar für die Daseinsvorsorge ist, gehört nicht in private Hand und stattdessen unter demokratische Kontrolle. Dies, so heißt es, sei ein roter Faden, den schon 2012 die Interventionistische Linke in einer Broschüre begonnen hätte, zu spinnen. Er wurde an diesem Wochenende wieder aufgenommen.

Oft ging es während der drei Konferenztage um den Unterschied zwischen Vergesellschaftung und Enteignung. Einig war man sich, dass staatlicher Besitz, der oft weiterhin marktwirtschaftlich organisiert ist und der Gefahr der Reprivatisierung ausgesetzt bleibt, nicht die Lösung sein könne. Vielmehr müsse es darum gehen, demokratische Gestaltungsmöglichkeiten für öffentliche Güter zu erkämpfen. Dafür gibt es ganz konkrete Ideen: Deutsche Wohnen und Co enteignen will bis Anfang des nächsten Jahres ausarbeiten, wie die Anstalt des öffentlichen Rechts auszusehen habe, die nach dem Willen der Initiative die zu vergesellschaftenden Wohnungsbestände künftig verwalten soll. Mieter*innen und Stadtgesellschaft würden dann in einer Rätestruktur mit mehreren Ebenen selbst über die Wohnungsbestände entscheiden.

Schon zum Auftakt der Konferenz wurde die Frage diskutiert, wie erreicht werden kann, dass am Ende auch alle mitentscheiden angesichts unterschiedlicher Bedürfnisse, Wissensstände und zeitlicher Ressourcen. Trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten gelte es, Wirtschaft vom Expertenthema zur gestaltbaren Sphäre werden zu lassen. Diese Idee hat zweifelsohne bei vielen Teilnehmer*innen verfangen.

»Wir können nicht überall die Auseinandersetzung um die Eigentümerschaft zur zentralen politischen Frage machen«, sagte dann aber auch Kalle Kunkel in der Debatte am Samstagabend. Kunkel ist sowohl bei Deutsche Wohnen und Co enteignen als auch in der Krankenhausbewegung aktiv. Diese bezieht sich aber gerade auf die Krankenhäuser, die in öffentlicher Hand sind. Die Frage der Verstaatlichung stellt sich hier zunächst nicht. »Wichtig ist bei Krankenhäusern die Frage der Finanzierung. Ob privat oder öffentlich ist nicht entscheidend, weil für alle die Zwänge gelten, die dazu führen, dass die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern.«

Kunkel stimmte auch skeptische Töne an, obwohl auf der Konferenz sehr viel Euphorie über eine neue Vergesellschaftungsbewegung zu spüren war. »In Berlin ist die Vergesellschaftung noch nicht durch«, erinnerte er an die vor allem juristische Kommission, die über die Vergesellschaftung beraten soll und mit der die SPD das Votum des Volksentscheids aussitzen wolle.

Doch die Spielregeln hätten sich verändert. Jene, die ein Jahr lang die Entscheidung der Berliner*innen ignoriert hätten, ständen Anfang nächsten Jahres wieder zur Wahl, erklärte Kunkel zu der wahrscheinlich gewordenen Wiederholungswahl in Berlin. »Die sollen nicht glauben, dass nur, weil wir nicht auf dem Wahlzettel stehen, wir keinen Wahlkampf machen werden«, kündigte er an. Auch in den nächsten Monaten müsse man wieder das machen, was die Vergesellschaftungsinitiative so erfolgreich gemacht habe: Das Gespräch an den Haustüren suchen.

Die Stärke der Berliner Mietenbewegung hätte schon immer darin bestanden, für konkrete Probleme utopische und zugleich umsetzbare Lösungen zu formulieren, zeigte sich Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins und Mitbegründerin der Mieterinitiative Kotti & Co, auf der Konferenz überzeugt. »Durch Deutsche Wohnen und Co enteignen haben viele das Gefühl bekommen, dass sie die Macht haben, selbst etwas gestalten zu können«, sagte Hamann.

Auch in der Berliner Linkspartei hat die Vergesellschaftungsinitiative einiges verändert, berichtete Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Die Vergesellschaftungsinitiative hätte dabei geholfen, sich wieder daran zu erinnern, dass man als Linkspartei den Kapitalismus ja überwinden will. Eigentlich gäbe es in der Koalition auch eine Mehrheit für die Vergesellschaftung, nur in Regierungsverantwortung wären jene, die dezidiert einen anderen Kurs fahren würden. »Wir müssen dahin kommen, dass, wenn das Führungspersonal nicht ausgewechselt wird, wir diese Koalition verlassen«, war Gennburg überzeugt.

Und wer weiß: Vielleicht wird nach einer Wahlwiederholung zum ersten Mal eine Vergesellschaftung über Artikel 15 des Grundgesetzes versucht. Wenn diese vor Gericht besteht und künftig Mieter*innen über 240 000 Wohnungen in einer Rätestruktur selbst verwalten, wer sollte die Stadtgesellschaft dann noch aufhalten, andere Bereiche der Daseinsfürsorge der Kontrolle durch Markt und Staat zu entziehen? Die Stimmung war danach an diesem Wochenende.

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