- Wirtschaft und Umwelt
- Energiekrise in Frankreich
Erst das Wetter, dann die Energielage
Die französische Regierung empfiehlt und ordnet drastische Sparmaßnahmen an
»Nur eine Mobilisierung aller Franzosen wird die nötigen Ergebnisse bringen.« Mit diesen Worten präsentierte die französische Premierministerin Elisabeth Borne Ende vergangener Woche zusammen mit neun Ministern vor der Presse den Energiesparplan der Regierung. Er soll innerhalb der nächsten zwei Jahre zu einer Senkung des Gas- und Stromverbrauchs um zehn Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 führen.
Um die Bürger zu informieren und zu motivieren, wird laut Borne künftig im Fernsehen nach dem täglichen Wetterbericht ein Lagebericht über die Energieversorgung mit den Hauptverbrauchszeiten und Hinweisen für das Verhalten der Haushalte gesendet. Wöchentlich gibt es eine Bilanz über die landesweit verzeichneten Einsparungen. Den Bürgern würden Empfehlungen für einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch gegeben, und man sei überzeugt, dass sie freiwillig entsprechend verantwortungsbewusst handeln, versicherte die Regierungschefin. Dagegen bekommen die Unternehmen und die öffentlichen Einrichtungen von staatlicher Seite verbindliche Vorgaben und sie müssen bei Nichteinhaltung mit Sanktionen rechnen. Frankreichs Verbrauch war im vergangenen Jahr halb so hoch wie der in Deutschland.
Mit Blick auf die Gasversorgung versicherte die Ministerin für den Energiewandel, Agnès Pannier-Runacher, dass es für den kommenden Winter ausreichend Lagerbestände und Reserven gäbe. Für die Zeit danach handle man mit den USA, Algerien und anderen Ländern Verträge über die Lieferung von Flüssiggas aus. Dafür werde gegenwärtig zu den vier vorhandenen Gasterminals in den Seehäfen im Norden, Süden und Südwesten des Landes ein weiteres in Le Havre gebaut und in Kürze in Betrieb genommen.
Angespannter hingegen ist die Lage bei der Stromversorgung. Noch immer ist etwa die Hälfte der Kernkraftwerke wegen Wartungsarbeiten oder der Reparatur von Defekten abgeschaltet. Etliche von ihnen sollen in den nächsten Wochen und Monaten wieder ans Netz gehen. Bis dahin muss ein Teil des Strombedarfs importiert werden. An die Bürger wird daher appelliert, »Maßnahmen des gesunden Menschenverstands« zu ergreifen, also beispielsweise die Raumtemperatur auf 19°C zu drosseln und sich dafür etwas wärmer anzuziehen, die Waschmaschinen außerhalb der Hauptbelastungszeiten zu betreiben und bei anderen Elektrogeräten den Standby-Modus abzuschalten. »Das sind Kleinigkeiten, aber sie summieren sich für jeden Haushalt und für uns alle«, meinte Ministerin Pannier-Runacher, die gleichzeitig versicherte, dass es keine »Temperatur-Polizei« geben werde, die kontrollieren und Strafen verhängen werde. Eigenheimbesitzer, die ihre Öl- oder Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzen, erhalten einen staatlichen Zuschuss von 9000 Euro. Wer statt des eigenen Autos regelmäßig eine Mitfahrzentrale nutzt, zahlt einen vergünstigten Tarif. Die Differenz trägt der Staat, wobei über die Höhe des Rabatts noch entschieden werden muss. Und wer für den Weg zur Arbeit die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt, kann künftig einen Teil der Kosten von der Steuer absetzen. Dies gilt auch für Unternehmen, die ihren Mitarbeitern einen Teil dieser Kosten erstatten.
Um öffentliche Einrichtungen beim Energiesparen zu unterstützen, stellt die Regierung 800 Millionen Euro bereit, die vor allem für die Dämmung von Gebäuden eingesetzt werden sollen. In diesen Gebäuden darf die Temperatur 19°C nicht überschreiten, und im Sommer darf die Klimatisierung sie nicht unter 26°C absenken. In Sporthallen muss die Temperatur um zwei Grad und in Schwimmbädern die Wassertemperatur um ein Grad gesenkt werden. Außer der Drosselung von Heizung und Klimatisierung soll im öffentlichen Bereich und in der Wirtschaft vor allem auch Strom für Beleuchtung eingespart werden. So ist die Beleuchtung von Bürohäusern, Läden, Schaufenstern und Werbetafeln nach Mitternacht verboten. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, werden öffentliche Gebäude und Baudenkmäler wie beispielsweise in Paris der Eiffelturm und der Louvre nach Mitternacht nicht mehr angestrahlt. Die Straßenbeleuchtung wird vielerorts in der Stärke gedrosselt oder auf die Hälfte der Strahler reduziert.
Xavier Bertrand, der rechtskonservative Ratspräsident der nordfranzösischen Region Haut de France, bezweifelt indes, dass Frankreich mit diesen Maßnahmen »ohne Stromabschaltungen und ohne Explosion der Energiepreise über den Winter kommt«. Der Umweltverband Négawatt steht auch auf dem Standpunkt, dass es die Franzosen in großem Maße selbst in der Hand haben, ob es zu Versorgungsengpässen kommt oder nicht. Er glaubt jedoch nicht, dass dafür Empfehlungen der Regierung ausreichen werden: »Bindende Verpflichtungen und Kontrollen dürften leider unerlässlich sein«, ist die Organisation überzeugt.
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