Auf zur nächsten Medaillenjagd

Zwei Jahre vor Olympia wollen sich die deutschen Bahnradsportler an der Weltspitze festsetzen

  • Thomas Juschus, St. Quentin-en-Yvelines
  • Lesedauer: 4 Min.
Emma Hinze (l.) und Pauline Grabosch (r.) wollen mit Lea-Sophie Friedrich wieder im Team zu WM-Gold sprinten.
Emma Hinze (l.) und Pauline Grabosch (r.) wollen mit Lea-Sophie Friedrich wieder im Team zu WM-Gold sprinten.

Von einem Abschneiden wie bei den Bahnradsportlern können die einst ebenso erfolgsverwöhnten Verbände der deutschen Leichtathleten oder Ruderer derzeit nur träumen. Für deren Welttitelkämpfe in diesem Jahr in Eugene und Racice reichen die Finger nur einer Hand, um alle Medaillen zu zählen – beide Fachverbände zusammengenommen. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) dagegen bestimmt auf der Bahn seit Jahren das Weltniveau und stand vor zwölf Monaten nach den Weltmeisterschaften in Roubaix an der Spitze der Nationenwertung. Elf Medaillen (6-2-3) standen zu Buche. Bei den European Championships im August in München bestätigten Emma Hinze, Roger Kluge & Co. auf dem Holzoval diesen Eindruck und wollen jetzt bei den Weltmeisterschaften in St. Quentin-en-Yvelines ab Mittwoch erneut nachlegen.

»Wir zählen uns zur Weltspitze und bestimmen diese in Teilbereichen mit«, sagt der Sportdirektor des BDR, Patrick Moster, selbstbewusst. 20 Monate vor den Olympischen Spielen von Paris in derselben Halle dominieren vor allem die deutschen Frauen die Szenerie. Die Sprinterinnen Emma Hinze, Lea Sophie Friedrich und Pauline Grabosch, die alle am Bundesstützpunkt in Cottbus trainieren, haben 2020 bei der WM in Berlin und vor einem Jahr in Roubaix alle Goldmedaillen abgeräumt, die in ihren Disziplinen vergeben wurden. »Wir haben auch in diesem Jahr die Chance, überall vorn dabei zu sein«, sagt Jan van Eijden, der zu Jahresbeginn Erfolgscoach Detlef Uibel als Bundestrainer abgelöst hat. Konkreter wird Hinze. »Mit einer Bronzemedaille wäre ich sicher nicht zufrieden«, erklärt die 25-Jährige, die im Vorjahr neben dem Teamsprint auch im Sprint triumphierte.

Während Friedrich und Hinze bei den Olympischen Spielen in Tokio als Zweite im Teamsprint den ganz großen Wurf um 0,085 Sekunden verpassten, raste der Frauen-Vierer um Lisa Brennauer nach jahrelanger Aufbauarbeit 2021 in der Verfolgung zu Olympiagold – und das auch noch in Weltrekordzeit. Später im Jahr folgten noch EM- und WM-Siege. Die Titelverteidigung im »Velodrome National« dürfte nun jedoch eine fast unlösbare Aufgabe werden. Brennauer hat sich vom Leistungssport zurückgezogen, und mit Lisa Klein (Erfurt) sowie Laura Süßemilch (Aulendorf) fehlen aus Form- und Verletzungsgründen zwei weitere Top-Fahrerinnen in Frankreich. »Ich glaube aber nicht, dass wir vor einem Umbruch stehen. Wir haben weiter vier schlagkräftige Frauen, die es uns erlauben, in zwei Jahren bei den Olympischen Spielen um die Medaillen zu kämpfen«, sagt Moster.

Ob auch die deutschen Männer in zwei Jahren die olympische Medaillenbilanz aufbessern können, ist aus heutiger Sicht unsicherer. Die Sprinter bestimmten viele Jahre das Niveau und sammelten in schöner Regelmäßigkeit Teamsprint-Edelmetall, haben aber seit einiger Zeit den Anschluss an die absolute Weltspitze verloren. »Vor 2012 waren die Männer im Kurzzeitbereich die tragende Säule, jetzt sind es die Frauen. Wir befinden uns in einer normalen Wellenbewegung und brauchen da etwas Zeit«, erklärt Moster und hofft hier auch auf positive Effekte durch die Verpflichtung von van Eijden. Der ehemalige Weltmeister machte schließlich zuvor schon die Briten Chris Hoy, Jason Kenny und Victoria Pendleton zu Olympiasiegern.

»Es ist ein neuer Spirit im Team. Alle Sportler sind hochmotiviert und sehen ihre Chance in Richtung 2024. Insbesondere jüngere Athleten fühlen sich angesprochen«, sagt Moster und denkt bei diesem Satz auch an Tim Zühlke. Der Erfurter, zuvor erfolgreicher Junioren-Coach, soll den Männer-Vierer flott machen und bei Olympia in Medaillennähe führen. Das ehemalige »Flaggschiff«, bei den Spielen allerdings seit 2000 ohne Medaille, hat zwar eine deutliche Entwicklung hingelegt, konnte den Rückstand auf die absolute Spitze aber noch nicht endgültig aufholen. Helfen sollen ehemalige Top-Junioren wie Nicolas Heinrich (Zwickau) und Tobias Buck-Gramcko (Göttingen), die auch bei der WM in der nichtolympischen Einerverfolgung in die Medaillen fahren können.

Im August 2024 in Paris will der BDR viermal Edelmetall holen – über alle Teildisziplinen verteilt, also auf der Bahn (zwölf Entscheidungen), Straße (vier), BMX (vier) und Mountainbike (zwei). Da die Athleten der anderen Disziplinen zumeist etwa ähnlich weit weg von der Weltspitze sind wie die deutschen Leichtathleten und Ruderer, sollen und können die Bahnradasse für den Löwenanteil der Medaillenvorgabe sorgen. »Hier haben wir die meisten Disziplinen, aber auch die beste Struktur, die meisten Trainer, das größte Know-how und die stärksten Steuerungsmöglichkeiten unserer Sportler«, sagt Moster. Diese Potenziale gilt es zunächst bei der WM in St. Quentin-en-Yvelines erfolgreich zu nutzen – 2024 ist doch noch ein Stück entfernt. »Die Spiele sind nicht wirklich präsent, jetzt ist erst mal die WM«, sagt auch Hinze.

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