Schlagabtausch in Manhattan

Die UN-Vollversammlung berät derzeit über die völkerrechtswidrigen Annexionen von Teilen der Ukraine durch Russland

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.

In die Vollversammlung werden die jeweiligen Tagungsthemen per Resolutionsentwurf eingebracht und infolgedessen diskutiert, wenn sie nicht schon im Sicherheitsrat zur Diskussion gebracht wurden. Für gewöhnlich werden die Entscheidungen der Vollversammlung im Konsens, das heißt einstimmig, getroffen. Allerdings sind diese nicht völkerrechtlich bindend. Aufgrund der Annexionen Russlands im Osten der Ukraine wurde eine sogenannte Dringlichkeitssitzung einberufen. Zuvor stimmte der UN-Sicherheitsrat am 30. September 2022 über eine Resolution ab. Wie zu erwarten war, legte Russland allerdings ein Veto ein und blockierte somit die Resolution.

Ziel der aktuellen Sitzung ist es, dass das mit 193 Mitgliedstaaten größte UN-Gremium über eine Resolution zur Verurteilung Moskaus abstimmen wird. In einem Resolutionsentwurf, der schon vorliegt, wird Moskaus Vorgehensweise als Aggression und »Verletzung der Souveränität, politischen Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Ukraine« gebrandmarkt. Die Referenden seien illegal, hätten »keine völkerrechtliche Gültigkeit und bilden keine Grundlage für eine Änderung des Status dieser Regionen der Ukraine«, heißt es weiter.

Ob die Mehrheit der Staaten der Welt diesem Narrativ folgen wird, ist unklar. Indien unterhält beste Beziehungen zu Russland und kauft dort weiter Waffen. Nimmt man nur die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde, China und Indien, dann stellen sich allein damit schon mal die Regierungen von mehr als einem Drittel der Weltbevölkerung nicht gegen Russland, ähnlich schaut es in vielen Staaten Afrikas aus. Erst vor einigen Tagen hatte Russlands Präsident Wladimir Putin die Annexionen der teils besetzten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson mit seiner Unterschrift besiegelt. Die Ukraine forderte daher die Weltgemeinschaft zur Verurteilung der Annexionen Russlands auf.

Die Dringlichkeitssitzung der UN-Vollversammlung in New York wurde überschattet von den russischen Raketenangriffen auf mehrere ukrainische Städte am Montag, welche von Moskau als Vergeltungsschläge für den Terroranschlag auf die Krim-Brücke bezeichnet werden. Russlands UN-Botschafter konterte seinen ukrainischen Amtskollegen: »Ein solcher Zynismus, eine solche Konfrontation und gefährliche Polarisierung wie heute haben wir in der Geschichte der Vereinten Nationen noch nicht erlebt. Diese ganze politisierte Sitzung hat nur das Ziel, das Narrativ gegen ein Land weiter voranzutreiben: die Russische Föderation.«

Was die Frage der Annexion angeht, so ist diese völkerrechtlich wie folgt geregelt: Die Charta der Vereinten Nationen erlaubt Gewalt zwischen Staaten nur in zwei Fällen – zur Selbstverteidigung und nach einer Billigung durch den Sicherheitsrat. Annexionen sind völkerrechtswidrig. Sie verstoßen gegen das Gewaltverbot der Vereinten Nationen und die Grundsätze der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit von Staaten.

Allerdings muss in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass das Völkerrecht politisch von einigen Staaten missbraucht werden könnte und auch in der Vergangenheit schon missbraucht wurde, um geopolitische Interessen durchzusetzen. In der Theorie müssen sich zwar alle Staaten an das Völkerrecht halten. Die Umsetzung dieses Prinzips in die Praxis erweist sich oft als sehr schwer, wie es zum Beispiel im Verlauf des Irak-Krieges erkennbar ist , als die Bundesregierung erklären ließ, dass Deutschland daran nicht teilnehmen wird. Um dann aber doch den USA die Erlaubnis zu erteilen, ihre Basen in der Bundesrepublik zu nutzen, um von dort militärisch den Irak anzugreifen. Dadurch geriet Deutschland doch in die Position eines Angreiferstaates im Sinne der Aggressionsdefinition durch die UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1974.

Hier zeigt sich, wie das Völkerrecht in der Praxis aufgeweicht wird, zum Beispiel durch Bündnisverpflichtungen. Außenministerin Baerbock scheint diesbezüglich unter einer Art historischer Amnesie zu leiden, denn ihre werteeorientierte Außenpolitik, der sie sich ja verpflichtet fühlt, kann in einem Kriegsfall einen Friedensschluss verhindern. Dies geschah auch im Verhältnis der Ukraine zu den Regionen in der Ostukraine, wo im Minsker Abkommen aus dem Jahr 2015 ausdrücklich geregelt war, dass alle an den militärischen Auseinandersetzungen beteiligten Personen nicht strafrechtlich belangt werden konnten. Dies wurde von der Ukraine aber nicht akzeptiert, was der Auslöser dafür war, dass sich die Kämpfe in diesem Gebiet seit 2015 fortsetzten, bis zur heutigen Tragödie.

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