- Politik
- Parteitag der Grünen
Habeck und Baerbock müssen sich warm anziehen
Die Grünen-Politikerin Canan Bayram unterstützt auf dem Bonner Parteitag Anträge zur Umwelt- und Friedenspolitik
Für den Parteitag der Grünen am Wochenende liegen Anträge vor, welche die Entscheidungen kritisieren, Kernkraftwerke am Netz zu halten, das Dorf Lützerath abzubaggern und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu genehmigen. Wie optimistisch sind Sie, dass sich die Kritiker der Regierungsentscheidungen durchsetzen werden?
Ich unterstütze diese Anträge oder bin selber Antragstellerin. Insgesamt bin ich sehr optimistisch, dass es Erfolge in unserem Sinne geben wird. So hat die Forderung, Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien einzustellen, viele Unterstützer aus unterschiedlichen Flügeln in der Bundestagsfraktion.
Allerdings wird der Parteitag von den Grünen in Regierungsverantwortung nichts verlangen, was zum Bruch einer Koalition führen könnte. Setzen Sie auf Kompromisse oder soll die Parteiführung unter Druck gesetzt werden?
Ich sehe darin keinen Widerspruch. In Bezug auf die Kernenergie liegt das Problem nicht bei den Grünen, sondern bei der FDP. Sie will eine deutliche Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken, obwohl die Partei mit dieser Forderung eine Klatsche bei der Landtagswahl in Niedersachsen erlitten hat und wir deutlich hinzugewonnen haben. Wir vertreten in unseren Anträgen zum Teil die Linie unserer Parteikollegen in Regierungsverantwortung. An dem Grundsatz, dass es keine Laufzeitverlängerung geben soll, rüttelt keiner bei den Grünen. Die Atomkraftbetreiber wollen hingegen die Ängste in der Bevölkerung vor Energieengpässen nutzen, um die Meiler länger am Netz zu halten. Für uns Grüne ist das ein No-Go und wir sollten in der Regierung standhaft bleiben.
Ist also die Entscheidung, hinter der SPD und Grüne stehen, bis April zwei Meiler als Reserve am Netz zu halten, richtig oder falsch?
Faktisch werden sie nicht als Reserve am Netz gehalten, wenn man sich die Diskussionen der Versorgungsunternehmen ansieht. Deswegen wird es einen Atomausstieg geben, so wie er bis zum Jahresende geplant war. Dieser würde sich nur im schlimmsten Fall um zwei Monate hinauszögern.
Heftige Debatten könnte es zum Antrag in Bezug auf Saudi-Arabien geben. Die Parteispitze der Grünen meint, dass die Rüstungsexporte auf Altverträge der Großen Koalition zurückgehen. Was sagen Sie dazu?
Diese Aussage wirft Fragen auf und wir hätten dazu gerne noch ein paar Informationen. Bei diesem Punkt werden sich alle etwas wärmer anziehen müssen. Das gilt sowohl für die Außenministerin als auch für den Wirtschaftsminister. Der Konflikt wird nicht so schnell ausgestanden sein, wie sie es sich vielleicht vorstellen. Denn es geht auch um die Seele der Fraktion und der Partei.
Bundeskanzler Olaf Scholz war Ende September in Saudi-Arabien. Das Land plant, der weltweit größte Wasserstoffproduzent zu werden und davon will die Bundesregierung profitieren. Reicht denn der Stopp von Rüstungsexporten oder sollten auch die Wirtschafts- und Energiekooperationen mit diesem Land beendet werden, das im Jemen Krieg führt?
Dieses Abhängigkeitsverhältnis ist sehr unbefriedigend. Aber eine solche Forderung würde an der Realität vorbeigehen. Denn unsere Verantwortung in der Welt, insbesondere in der Klimakrise, zwingt uns dazu, auch mit Ländern wie Saudi-Arabien Kooperationen suchen zu müssen. Es gibt leider einen Gegensatz zwischen Ideal und Interesse.
Im Haus von Wirtschaftsminister Robert Habeck soll ein Gesetz zu Rüstungsexporten erarbeitet werden. Was muss da drin stehen?
Wir haben diesbezüglich als Grüne eine klare Agenda. Es sollen keine Waffen an Kriegsparteien geliefert werden. Die feministische Außenpolitik besagt, dass auch die Situation von Mädchen und Frauen in den Blick genommen werden soll. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit unserer Fraktion und vielen Leuten aus dem linken Flügel, zu dem ich auch gehöre, ein gutes Gesetz auf den Weg bringen. Dazu wird die Debatte auf dem Parteitag beitragen.
Wenn Rüstungsexporte und Waffenlieferungen an Kriegsparteien ausgeschlossen werden sollen, was bedeutet das dann für die weitere Unterstützung der Ukraine?
Die Ukraine ist von Russland völkerrechtswidrig angegriffen worden und befindet sich in einer Verteidigungsposition. Deswegen ist das ein anderer Fall als Saudi-Arabien, das im Jemen ein Aggressor ist. Allerdings bin ich grundsätzlich kritisch, was Waffenlieferungen anbelangt.
Die Parteiführung der Grünen meint, dass der Krieg in der Ukraine nur enden kann, wenn Russland militärisch verloren hat. Teilen Sie diese Einschätzung oder gibt es Ansätze für eine Verhandlungslösung?
Ich bin eine Delegierte der Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE-PV) für meine Fraktion. In der OSZE-PV sind wir uns einig, dass wir mit allen reden müssen. Deswegen sind Bemühungen wichtig, Gesprächskanäle zu öffnen, wobei man aber auch bedenken muss, dass die Fronten sehr verhärtet sind. In der OSZE-PV gibt es verschiedene Meinungen zu einem möglichen Ende des Krieges. Ich teile nicht die Auffassung, dass dieser Krieg nur beendet werden kann, wenn die Ukraine gewonnen hat.
Sie vertreten oft Minderheitenpositionen in der Grünen-Fraktion und haben gegen Auslandseinsätze gestimmt sowie gegen das Sondervermögen für die Bundeswehr. Hadern Sie manchmal mit den Grünen?
Ich diskutiere mit meiner Fraktion und Partei und habe in diesen Fragen andere Ansichten. In der Nachfolge von Hans-Christian Ströbele fühle ich mich seiner Friedenspolitik und meinem Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost gegenüber verpflichtet. In der Fraktion wird das respektiert. Denn für diese Politik haben mich die Menschen gewählt. Ich hadere schon, weil ich mir manchmal Sorgen mache um die Diskursräume. Aber selbstverständlich hoffe ich auch, dass sich in der Partei die eine oder andere Position noch in meinem Sinne verändert.
Ist es für die Grünen strategisch klug, stärker auf linke Positionen zu setzen? Seit der Flügelproporz aufgegeben wurde und die Realos Annalena Baerbock und Robert Habeck das Sagen haben, eilen die Grünen von einem Wahl-Rekordergebnis zum nächsten und haben so viele Mitglieder wie nie zuvor.
Das sehe ich anders. Wir haben einen nach Flügelproporz besetzten Partei- und Fraktionsvorstand. Außerdem ist der erweiterte Fraktionsvorstand eher links dominiert. Im Unterschied zu früher führen wir unsere Debatten in geschützten Räumen und vertreten dann diese Positionen gemeinsam nach außen. Das macht die neue Stärke der Grünen aus.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.