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Wachsamer Blick nach Moskau
Die Nato bekräftigt ihre Hilfe für die Ukraine. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie man mit Putins atomaren Drohungen umgehen soll
Die Wahrheit sei, dass die russischen Truppen auf dem Schlachtfeld keinen Boden gutmachen können, weil sie nicht über die richtigen Fähigkeiten verfügen, um die ukrainischen Streitkräfte zu stoppen, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Gerade deshalb solle die Ukraine »alle Unterstützung erhalten, die sie braucht. So lange das nötig ist«.
Mit diesem Satz hatte der Chef der weltgrößten Militärallianz die Marschrichtung vorgegeben für das in dieser Woche in Brüssel abgehaltene Treffen der 30 Nato-Verteidigungsminister mit 20 Partnerstaaten. Zum sechsten Mal, seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat, traf sich am Mittwoch diese sogenannte Ramstein-Gruppe unter Vorsitz des US-Verteidigungsministers. »Wir haben jetzt die Aufgabe, der Ukraine bei ihrer Verteidigung beständig zu helfen, in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren«, sagte Lloyd Austin. Man werde noch mehr Artillerie mit höherer Reichweite liefern, versprach er. Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin dieser Tage den Beschuss der Ukraine mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen intensiviert habe, ging es aktuell vor allem um Mittel zur Abwehr solcher Attacken.
Doch nachdem der Westen die Ukraine monatelang mit Waffen und Nachschub beliefert hat, ist man in vielen Nato-Staaten besorgt über die eigenen, sich erschöpfenden Bestände. Daher wurde in Brüssel überlegt, wie die eigenen Depots aufgefüllt werden können – parallel zu den Lieferungen nach Kiew.
Noch bevor die Verteidigungsministerinnen und -minister am Donnerstag zusammentrafen, ließ ihnen die russische Regierung – via Tass – eine kleine Aufmerksamkeit zukommen. Die staatliche russische Nachrichtenagentur veröffentlichte ein Interview mit dem Vizesekretär des russischen Sicherheitsrats, Alexander Wenediktow. Darin äußert er sich zum von Kiew beantragten und von mehreren Nato-Mitgliedern befürworteten beschleunigten Nato-Beitritt der Ukraine. Das wäre »eine garantierte Eskalation bis hin zum Dritten Weltkrieg«, warnte Wenediktow. Natürlich wisse man in Moskau – egal was die westliche Allianz auch erklärt –, dass die Nato in der Ukraine de facto längst eine »direkte Konfliktpartei« sei. Doch würde eine direkte Aufnahme der Ukraine in die Nato automatisch den Beistandsartikel 5 des Bündnisvertrages in Kraft setzen. Jeder würde wissen, »welche Konsequenzen das für die Menschheit hätte«.
Nicht nur wegen dieser unverhohlenen Nukleardrohung ging kein vernünftiger Mensch davon aus, dass die Ukraine beim Nato-Treffen in dieser Woche Bündnismitglied werden könnte. Dennoch: Die Drohung zeigt – wie zuvor bereits nukleare Warnungen von Sicherheitsrat-Vize Dmitri Medwedew und von Präsident Wladimir Putin selbst –, dass Moskau der Nato alles zutraut. Die Nato wiederum betrachtet die in Russland Verantwortlichen als Hasardeure, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Einen Gesprächsfaden zwischen Moskau und Brüssel zu suchen, gilt dennoch auf beiden Seiten als Verrat.
Es sei, so meinte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Donnerstag in Brüssel, »ganz wichtig, dass wir die Drohungen, die seitens Russlands ausgestoßen werden, sehr wohl ernst nehmen und dass wir uns eben auch darauf entsprechend einstellen«. Wer stellt sich wie worauf ein? Lambrecht verweigerte eine Antwort. Solche Abstimmungen treffe man »in geheimen Gremien«.
Gemeint ist die Nukleare Planungsgruppe. An ihren Beratungen sind mit Ausnahme von Frankreich alle Nato-Staaten beteiligt. Die derzeit einzige Atommacht unter den EU-Staaten setzt seit Jahrzehnten auf das Prinzip der »nuklearen Unabhängigkeit«.
»Wir haben den Russen ganz direkt gesagt, dass jeder Einsatz von Atomwaffen beispiellose Konsequenzen nach sich ziehen würde«, betonte die ständige Vertreterin der USA bei der Nato, Julianne Smith. Im Moment jedoch »sehen wir keine Anzeichen dafür, dass Russland den Einsatz von Atomwaffen vorbereitet«. Ähnlich, fast deeskalierend, äußerte sich Nato-Generalsekretär Stoltenberg: »Präsident Putins verschleierte nukleare Drohungen sind gefährlich und unverantwortlich.« Russland wisse jedoch, dass ein Atomkrieg niemals gewonnen werden könne und niemals passieren dürfe.
Immerhin: Die Nato bleibe »wachsam«. Dazu gehört das Manöver »Steadfast Noon«. Es beginnt in der kommenden Woche als »Routineübung, die jedes Jahr stattfindet, um unsere Abschreckung sicher und effektiv zu halten«, wiegelte Stoltenberg ab. Auf die Frage, ob jetzt nicht ein falscher Zeitpunkt für eine solche Übung sei, meinte er: »Es wäre ein sehr falsches Signal, wenn wir jetzt plötzlich eine seit langem geplante Routineübung wegen des Krieges in der Ukraine absagen würden.« Also werden Soldaten aus 14 Nato-Staaten »ins Feld ziehen« und einen Atomkrieg simulieren.
Im Vorfeld der Nato-Tagung, bei der die Nukleare Planungsgruppe auch über Logistikfragen beriet, hatte Polens Präsident Andrzej Duda für Aufmerksamkeit gesorgt. In einem Interview mit der »Gazeta Polska« sagte er, dass Warschau »mit den USA über die Möglichkeit gesprochen hat, unser Land in den nuklearen Schirm der Nato aufzunehmen«. Polen hatte bereits an »Steadfast Noon«-Übungen teilgenommen. Das kann Duda also nicht gemeint haben. Sprach der erste Mann Polens etwa über einen neuen Stationierungsort für US-Atombomben? Will er, dass polnische Kampfjets – so wie deutsche – im Ernstfall US-Atombomben ins Ziel fliegen?
Das Warschauer Außenministerium habe keine direkten Gespräche über die Stationierung von Atomwaffen in Polen geführt, erklärte Vizeamtschef Marcin Przydacz. Er deutete jedoch an, dass »sowohl im Nato-Hauptquartier als auch auf polnisch-amerikanischen Linien« darüber gesprochen werde, »wie wir effektiv vor möglichen Provokationen aus Russland geschützt werden können«. Das Weiße Haus und das US-Außenamt dementierten einschlägige Gespräche. Allerdings so eilig, dass sich der Verdacht über ein neues Atomwaffenlager nahe der russischen Grenze verstärkte. Dazu trug auch der Chef der Nationalen Verteidigungskommission des polnischen Parlaments bei, Michał Jach. Der PiS-Mann meinte, es gebe echte Chancen für Polen, am Programm der nuklearen Teilhabe teilzunehmen. Die Amerikaner würden nicht »nein« sagen, sondern sehen, »dass unser Land eine immer wichtigere Rolle« bei der Stabilisierung der Region spiele.
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