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»Rassismus spielt überall eine Rolle«
Der Forscher Karim Fereidooni fordert unabhängige Untersuchungen zu dem Thema auch bei der Polizei
Rechtsextreme Chat-Protokolle, tödliche Schüsse aus einer Maschinenpistole auf einen schwarzen Jungen im August in Dortmund: Hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen ein Rassismusproblem?
Karim Fereidooni ist Juniorprofessor an der Ruhr-Universität in Bochum. Er promovierte 2016 über Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen von Lehrer*innen mit Migrationshintergrund. Mit ihm sprach David Bieber über Rassismus in der NRW-Polizei.
Ich würde es nicht als Problem bezeichnen, es ist eher ein Strukturierungsmerkmal der Polizei und unserer Gesellschaft. Rassismus sollte nicht als Problem verhandelt werden, das auf Vorfälle reduziert wird. Überall da, wo Menschen einander begegnen, spielt Rassismus eine Rolle. Die Polizei hat genauso ein Rassismusproblem wie die Schule, die Politik und die Medien. Nur die Polizei weigert sich, dass wir als Wissenschaftler*innen Studien über Rassismus in der Polizei durchführen. Einige Innenministerien und einige Polizeigewerkschaften wollen sich nicht mit Rassismus bei der Polizei beschäftigen. Ich würde mir wünschen, dass die Polizei offener wäre – und zwar nicht, um die Bedürfnisse der Wissenschaft zu befriedigen, sondern im Sinne aller Bürger*innen unseres Landes. Rassismus darf kein Teil der Polizeiarbeit sein.
Wie erklären Sie sich den immer wieder von mehreren Stellen formulierten harschen Vorwurf des Rassismus bei der Polizei von Nordrhein-Westfalen?
Es ist kein harscher Vorwurf. Ich bezeichne es als Tatsache. Damit Veränderungen stattfinden können, müssen in der Aus- und Fortbildung von Polizisten rassismuskritische Elemente eingefügt werden, und Polizist*innen, Innenministerien und Gewerkschaften der Polizei müssen sensibler mit diesem Thema umgehen. Rassismus verschwindet nicht einfach, nur weil Menschen bezweifeln, dass es ihn gibt.
Rassismus kommt leider in vielen Teilen der Gesellschaft vor. Denken Polizist*innen tatsächlich extremer als der Rest der Bevölkerung in Deutschland? Wenn ja, woran liegt das dann?
Polizist*innen dürfen kein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Wir wissen aus unterschiedlichen Studien, dass etwa zehn Prozent der Bundesbürger ein geschlossenes rassistisches Weltbild besitzen. Ich möchte nicht, dass zehn Prozent der Polizisten ein geschlossenes rassistisches Weltbild besitzen. Sie repräsentieren unseren Staat. Sie haben eine besondere Aufgabe, das Grundgesetz zu verteidigen. Und das Grundgesetz ist explizit antirassistisch. Deswegen müssten Polizist*innen auch Antirassisten sein. Sie sind kein x-beliebiger Teil unserer Gesellschaft. Es ist zentral, dass Polizist*innen rassismuskritisch fortgebildet werden, weil sie das Gewaltmonopol unseres Staates repräsentieren. Sie müssen ergo ganz besonders sensibel sein in Bezug auf Rassismus.
Wenn Polizist*innen immer wieder auch Erfahrungen machen, schlechte Begegnungen etwa mit muslimischen und nicht weißen Personen haben, ist es da nicht verständlich, dass sie diesen gegenüber auch anders, aggressiver und entschlossener, auftreten?
Rassismus hat nichts mit dem Verhalten von Menschen zu tun. Rassismus hat etwas mit rassismusrelevanten Fantasien zu tun. Eine Polizistin, die wir in unserer Studie befragten, hat uns gesagt, dass sie, wenn sie zu einem Einsatz fahre und dort muslimische Männer sehe, dann ganz besonders laut spreche, weil ja muslimische Männer keine Frauen respektierten. Wenn ich mit dieser rassistisch-aggressiven Haltung als Polizistin in eine derartige Situation gehe, weil ich anscheinend weiß, wie muslimische Männer sind, naja, was soll denn am Ende dabei rauskommen? Wenn ich aggressiv in eine Situation hineingehe, kann die Situation nur noch aggressiver werden. Wenn ich etwa Menschen of Color und schwarze Menschen immer wieder kontrolliere, dann ist doch klar, dass ich etwas herausfinde. Wenn ich als Lehrer*in nur bei spezifischen Schüler*innen die Hausaufgaben kontrolliere, finde ich natürlich mehr Fehler als bei den anderen, die ich eben nicht kontrolliere. Ich glaube nicht, dass Polizist*innen jeden Tag schlechte Erfahrungen mit Muslimen oder schwarzen Menschen machen, aber wenn doch, dann kommt es oft zu Generalisierungen. Bei weißen Deutschen wird die Individualität betont, indem man etwa sagt, der ist ein Blödmann. Wenn das aber ein Muslim ist, dann geschieht eine Kollektivierung, eine Übertragung auf die Gesamtheit, indem von Polizist*innen behauptet wird: »Die sind so, weil ihre Kultur beziehungsweise Religion so ist.«
Wieso braucht es Ihrer Ansicht nach einen unabhängigen Polizeibeauftragten sowie eine umfassende Studie über Rassismus und Gewalt bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen? Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) hat doch eine Stabsstelle, die sich mit rechtsextremen Tendenzen in der Polizei beschäftigt, erst einrichten lassen?
Wir brauchen multiprofessionelle Teams, die Teil einer unabhängigen Ermittlungsarbeit sind, wenn Polizist*innen (unrechtmäßige) Gewalt anwenden. Oder wenn der Vorwurf von Rassismus laut wird, dann müssen nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft aktiv werden, sondern auch andere Personen, die nicht im Polizeiapparat tätig sind. Die Stabsstelle wird betrieben von Polizist*innen und die sind nicht unabhängig. Die Stabsstelle ist kein großer Wurf. Es braucht eine unabhängige Kontrollinstanz, die nicht bei der Polizei angesiedelt ist.
Was könnte eine Studie erbringen und zutage fördern?
Wir brauchen regelmäßige Studien – nicht um die Polizeiarbeit schlecht zu reden. Rassismus macht die Arbeit der Polizei ungerechter und daher schlechter. Studien helfen, rassismuskritische Maßnahmen zu entwickeln und implementieren zu können.
Haben Ihrer Ansicht nach Menschen, die nicht als deutsch wahrgenommen werden, einen schlechteren Stand bei der Polizei von Nordrhein-Westfalen?
Ja, ich kenne viele Menschen, die Angst haben, die Polizei zu rufen. Das kann nicht sein. Die Polizei muss für alle Bürger*innen unseres Landes da sein. Leider ist das noch nicht der Fall.
Glauben Sie, dass die Polizei im Dortmunder Fall vor rund zwei Monaten auch auf einen weißen Jugendlichen geschossen hätte?
Die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass schwarze Jugendliche von der Polizei als aggressiver wahrgenommen werden als weiße Jugendliche. Wir müssen über Wahrscheinlichkeiten reden. Weil unsere rassistische Denkweise uns beibringt, schwarze Jugendliche sind eine Gefahr, ist die Angst bei Polizist*innen größer.
Wie kann es sein, dass gerade ein Ermittlungsverfahren just von der Polizeibehörde läuft, gegen die ermittelt wird?
Daran können Sie sehen, dass die bestehende Praxis der Ermittlungsverfahren innerhalb von Polizeibehörden nicht funktionieren kann, weil die gegenseitigen Abhängigkeiten sehr groß sind. So wie das System jetzt funktioniert, kann es keine unabhängige Aufklärung geben.
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