- Wirtschaft und Umwelt
- Schienengüterverkehr
Klimaschädlicher Jobkiller
Die Bahn-Gewerkschaft EVG demonstrierte vorm Bundesverkehrsministerium gegen Kürzungen im Schienengüterverkehr
Für viele Teilnehmer des 3. Ordentlichen Gewerkschaftstages der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der an diesem Donnerstag in Berlin zu Ende geht, war es sicherlich eine willkommene Abwechslung: Sie versammelten sich am Mittwoch gemeinsam mit Betriebsräten und einigen Beschäftigten von DB Cargo, der Schienengüterverkehrstochter der Deutschen Bahn, vor dem Bundesverkehrsministerium in Berlin-Mitte. Auch Kollegen aus anderen Bahnsparten schlossen sich ihnen an. Sie protestierten dort gegen die geplanten Kürzungen bei der Trassen- und Anlagenpreisförderung.
Diese Kürzungen summieren sich nach Berechnungen der EVG bis 2026 auf mehrere Hundert Millionen Euro. Bereits am Montag hatte sich die EVG auf ihre Weise bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) »bedankt« und ihm auf dem Gewerkschaftstag den »Goldenen Hemmschuh« überreicht. Besonders betroffen von den Kürzungen wäre der Einzelwagenverkehr, bei dem Güter bei mehreren Versendern eingesammelt und gemeinsam mit anderen Güterwagen zunächst zu einem Rangierbahnhof gebracht und dort in die Güterzüge der entsprechenden Transportrichtungen integriert werden.
Jörg Hensel, Gesamtbetriebsrat-Vorsitzender der DB Cargo AG, warf der Bundesregierung in seiner Rede vor, mit den jetzigen Finanzplanungen die eigenen, im Koalitionsvertrag festgelegten Mobilitäts- und Klimaziele zu torpedieren. Demnach soll der Marktanteil des Schienengüterverkehrs an der Gesamttransportleistung bis 2030 von derzeit 19 auf 25 Prozent steigen. Die Ampel nehme in Kauf, auch in den kommenden Jahren erhebliche Ausgleichszahlungen wegen der deutlich verfehlten Emissionsziele im Verkehrssektor leisten zu müssen, so Hensel. Laut standardisierten Berechnungen benötigen Gütertransporte auf der Straße rund 5,5-mal so viel Energie wie auf der Schiene. Noch wesentlich dramatischer ist der Unterschied bei den CO2-Emissionen, denn während der Schienengüterverkehr zunehmend auf elektrifizierten Strecken läuft, fahren Lkw fast ausschließlich mit Diesel.
Hensel warnte vor den Folgen dieser Politik: »Sie werden das Klima verschlechtern, sie werden Lieferketten zerstören und ganzen Industriezweigen die Grundlage entziehen.« Das betreffe besonders die Stahlindustrie, die ohne einen funktionierenden, preisgünstigen Schienengüterverkehr nicht mehr marktfähig wäre. Betroffen wären also nicht nur die rund 10 000 Kollegen, die bei DB Cargo im Einzelwagensystem arbeiten, sondern auch andere Jobs in der gesamten Bahn-Logistik und Infrastruktur sowie zahlreiche industrielle Arbeitsplätze. Hensel kündigte energischen Widerstand seiner Gewerkschaft an. Wenn die Bundesregierung an den Plänen festhalte, »dann werden wir eben mal ein paar Tage nicht mehr fahren«, denn es gehe »um unsere Jobs und unsere Zukunft«.
Mit Alexander Naujoks, dem Geschäftsführer des Stahlkonzerns Georgsmarienhütte-Holding (GMH), ergriff auch ein Unternehmensvertreter das Wort: »Ohne euch steht die deutsche Industrie still«, rief er den versammelten Eisenbahnern zu. Pro Jahr würden über 60 Millionen Tonnen Stahl in Deutschland auf der Schiene transportiert. Die GMH stelle Stahl zu 100 Prozent aus Schrott her, der ausschließlich über die Schiene angeliefert werde. Komme der nicht mehr »just in time« an, »stehen wir still und können die Kollegen nach Hause schicken«, so Naujoks. Ohne den Einzelwagenverkehr der vielen Zulieferer wäre die gesamte Produktionskette nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Naujoks kann nicht nachvollziehen, dass in diesem Bereich gespart werden soll. Im Gegenteil: Man bräuchte nach Jahrzehnten der Vernachlässigung und teilweisem Rückbau der Schienengüterinfrastruktur erhebliche zusätzliche Investitionen. Die Regellaufzeiten der Transporte seien aufgrund fehlender und maroder Schieneninfrastruktur viel zu lange und würden teilweise erheblich überschritten. »Doch die Schiffe im Hamburger Hafen warten nicht ein paar Tage auf den Stahl von der GMH.« Anderen Unternehmen gehe es ähnlich.
Die Mittel für den Schienengüterverkehr sind jetzt Bestandteil der Haushaltsberatungen. Nicht nur bei der EVG wird man gespannt sein, was dabei herauskommt. Und nicht nur die EVG meldet sich derzeit lautstark zu Wort, wenn es darum geht, aus gewerkschaftlicher Sicht vor katastrophalen Entwicklungen für die Wirtschaft und für das soziale Gefüge zu warnen.
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