- Berlin
- Thälmann-Park
Freie Fahrt für den Investor
Beim Güterbahnhof am Berliner Thälmann-Park hat der Bezirk Pankow kaum eine Handhabe mehr
Am Freitagabend haben sich rund 30 Interessierte am Zeiss-Großplanetarium an der Prenzlauer Allee eingefunden. Das Gebiet des Thälmann-Parks hat eine lange städtebauliche Geschichte. Ursprünglich stand hier ein Gaswerk. In den 80er Jahren bauten DDR-Stadtplaner auf der Industriefläche dann eine Großsiedlung, zusammen mit Kulturangeboten wie dem Planetarium, einer Schule und einer Schwimmhalle. Für jeden Bewohner wurde ein Baum gepflanzt, so die Erzählung.
Eigentlich hätte diese in der Gegenwart so weitergehen sollen, dass der Bezirk hier nun einen neuen Schulbau und zusätzlichen Grünstreifen errichtet. So weit, so einleuchtend – nicht zuletzt angesichts des Mangels an Schulplätzen in Pankow. Doch mittlerweile droht für einen Teil des Areals das genaue Gegenteil einer bedarfsgerechten Entwicklung.
»Es gibt das Bedürfnis eines Investors nach einer großformatigen Bebauung«, sagt Fred Bordfeld zu Beginn des gut besuchten Rundgangs des Linke-Bezirksverbandes. Bordfeld ist stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow. Der Investor, den er meint, heißt Christian Gérôme, und hat 2011 eine 28 000 Quadratmeter große Brachfläche an den S-Bahn-Gleisen aus dem ehemaligen Bahnbesitz erworben. Er will hier sowohl Wohnungen als auch Gewerbeflächen bauen. Lange hat er sich mit dem Bezirk gestritten. Mittlerweile sitzt er am längeren Hebel.
Um hier eine Schule sowie eine öffentliche Grünfläche entstehen zu lassen, will der Bezirk einen Bebauungsplan aufstellen. Damit der Investor bis zum Festsetzen des B-Plans keine Tatsachen schafft, wurde eine sogenannte Veränderungssperre verabschiedet. Anfang Mai hätte diese noch einmal verlängert werden müssen. Doch zu dieser Verlängerung kam es nicht mehr.
Noch im Stadtentwicklungsausschuss habe es ein einstimmiges Votum für die Verlängerung der Sperre gegeben, sagt Fred Bordfeld. In der BVV wäre deshalb auch keine Debatte dazu angesetzt worden. »Die Grünen haben dann aber ohne Ankündigung zusammen mit CDU, FDP und AfD gegen eine Verlängerung gestimmt«, so Bordfeld. Nicht nur bei der Linksfraktion schlugen die Wogen hoch.
Auch die SPD-Fraktion war deutlich in ihrem Urteil: »Dass die Grünen rücksichtslos in Kauf nehmen, dass Schulen zum Spielball von Verhandlungen werden und der Investor den Bezirk erpressen kann, den Forderungen nur dann nachzukommen, wenn das Bezirksamt beim Bau seiner Luxuswohnungen einwilligt, ist aber an Widerwärtigkeit nicht zu überbieten«, hieß es damals.
Mit dem Auslaufen der Veränderungssperre hat der Bezirk kaum eine Handhabe mehr gegen die Pläne des Investors. Dieser kann nun Bauanträge stellen. Noch ist kein Antrag eingegangen, bestätigt die zuständige Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD) »nd«. Man habe stattdessen eine Steuerungsrunde bestehend aus Bezirksverordneten, dem Bezirksamt sowie dem Investor einberufen, die im August das erste Mal zusammengekommen ist. Diese soll sich damit befassen, ob – und falls ja, wie – die Planungen des Investors mit den Bedarfen des Bezirks zusammengebracht werden können.
»Wir sind gerade in einer Zwischensituation«, sagt Bordfeld. Zwar hätte der Investor erklärt, bis die Steuerungsrunde abgeschlossen ist, auf Bauanträge zu verzichten. »Die Haltung, mit der er in die Verhandlung gegangen ist, läuft aber darauf hinaus, eine maximale Bebauung zu bekommen.« Falls der Investor seinen Willen für den Bebauungsplan nicht durchsetzen kann, wird er vermutlich Bauanträge stellen. Sein Vorhaben müsste sich dann lediglich in die Bebauung der näheren Umgebung einfügen.
Bereits 2018 hatte das Verwaltungsgericht im Zuge einer Klage argumentiert, dass der Bau zweier 17-geschossiger Hochhäuser für das Grundstück des Investors genehmigt werden müsse, sofern der Bezirk keinen Bebauungsplan für das Areal festsetzt. Denn diese Hochpunkte würden sich in die Umgebung des Thälmann-Parks einfügen, der in den 80er Jahren nicht nur mit achtgeschossigen Plattenbauten, sondern auch mit bis zu 18-geschossigen Hochhäusern bebaut wurde.
Hinter den DDR-Hochhäusern macht die Gruppe beim Rundgang halt. »Wir erleben gerade, dass Investoren in die Vollen gehen und überall in Berlin ihre Hochhausprojekte durchziehen wollen«, sagt Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Angesichts der aktuellen Krise würden die Hochhausplanungen Investoren auch dazu dienen, ihre Bilanzen aufzubessern und so »frisches Geld« zu bekommen. »Parks sind für Investoren perfekte Orte, um ihre teuren Immobilienprojekte zu entwickeln«, so Gennburg. Gleichzeitig wachse allerorts in Berlin auch der Widerstand, ist sie überzeugt. »Die Menschen haben keinen Bock mehr, dass ihnen die ganze Zeit Hochhausprojekte vor die Nase gepflanzt werden sollen.«
Doch der Rundgang im Thälmann-Park hat am Ende auch gezeigt, dass es bei den Anwohnern unterschiedliche Vorstellungen für die Zukunft des Areals gibt. Die einen sind gegen eine Bebauung, die anderen halten eine öffentliche Grünfläche am Standort für unattraktiv. Und nicht wenigen ist wichtig, dass nach vielen Jahren des Stillstands endlich etwas geschieht. »Es gibt noch keine Lösung, bei der wir alle mit einem blauen Auge davonkommen«, sagt Fred Bordfeld.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.