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  • Berlin
  • Bauprojekt "Neulichterfelde"

Neben der Baracke der Neubau

Eine Ausstellung befasst sich mit dem Gefangenenlager Lichterfelde-Süd und dem aktuellen Bauprojekt

  • Nina Süßmilch
  • Lesedauer: 4 Min.

Tritt man auf das Gelände des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Schöneweide, steht man zwischen flachen, langgezogenen Baracken. Daneben wachsen Kiefern und Linden, darüber hängt ein blauer Herbsthimmel. Es ist ein milder Oktobertag und es wirkt friedlich hier im Südosten der Stadt. Eine Gruppe Touristen läuft in Richtung einer renovierten Baracke, wo die Dauerausstellung zu Zwangsarbeiter*innen in der NS-Zeit gezeigt wird. An der Information tummeln sich mehrere Jugendliche, die offensichtlich zu einer Führung gekommen sind. Workshops, Führungen und Bildungsangebote sind ein wichtiger Aspekt des Dokumentationszentrums. Denn heute weitgehend unbekannt wurden während des Zweiten Weltkrieges nicht nur in Berlin, sondern überall im Land Zwangsarbeiter*innen ausgebeutet. Dazu gehörten Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und aus den besetzten Gebieten verschleppte Zivilist*innen, darunter auch Kinder. Die Zivilist*innen stellten mit 8,4 Millionen Menschen die größte Gruppe. Hier in Schöneweide befindet sich das fast noch vollständig erhaltene ehemalige Zwangsarbeitslager GBI 75/76.

In einer Baracke etwas weiter hinten wird die Wechselausstellung »Vergessen und vorbei?« über das Kriegsgefangenenlager Lichterfelde-Süd vorbereitet. Am 27. Oktober wird sie eröffnet. Das Gelände, das früher der Deutschen Reichsbahn und dann der Deutschen Bahn gehörte, war das größte Kriegsgefangenenlager in Berlin. Historiker*innen war das schon lange bekannt, auch als das Gelände 2012 an den Berliner Großinvestor, die Groth Gruppe, verkauft wurde. Das neu zu erschließende Wohngebiet »Neulichterfelde«, das hier entstehen soll, ist größtes Bauprojekt der Stadt. 2500 neue Wohnungen, Kindergärten, eine Schule und einen Sportplatz will man bauen. Was man beim Verkauf nicht wusste: Es existierten fünf noch teilweise erhaltene Original-Baracken aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

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Die drei Bürger*innen-Initiativen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Aktionsbündnis Lichterfelde-Süd und Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde Süd machten das Landesdenkmalamt im Jahr 2017 auf den Originalbestand aufmerksam und forderten, am Ende erfolgreich, einen Gedenk- und Lernort zu errichten. Es war offensichtlich nicht einfach, einen Kompromiss zu finden, denn fast alle noch bestehenden Gebäuderuinen kollidierten mit dem Bauplan. Nun bleibt eine Baracke erhalten, die vom Bauherren, der Groth Gruppe, zudem saniert werden soll. Das war der Minimalkonsens, auf den man sich einigen konnte. Wer hingegen Träger des historischen Ortes wird und den Lernort als solchen entwickelt und umsetzt, steht noch nicht fest. Nach dem Abriss der Baracken finden außerdem archäologische Grabungen statt. »Die Ausstellung ist deshalb nicht ausrecherchiert«, erklärt Kurator Roland Borchers. Aber man wollte die Debatte während des Entstehungsprozesses am Standort in Gang bringen: Was soll und kann mit historischen Orten in der Stadt geschehen? Zumal in einer Stadt, in der es wahrscheinlich ist, auf historische Funde zu stoßen und in der zugleich Wohnungsnot herrscht.

Im Eingangsbereich der Ausstellung hängt eine Karte, auf der man sehen kann, wie weit verbreitet Kriegsgefangenenlager in Berlin waren. Den Prozess der Wiederentdeckung der Baracken und die Auseinandersetzung mit dem Ort als solchen wolle die Ausstellung im ersten Teil zeigen, erzählt Borchers. So sieht man neben aktuellen Fotos des Geländes auch Zeitungsnachrichten, die über das ehemalige Lager und das Gelände berichten.

Im Kriegsgefangenenlager Lichterfelde-Süd lebten vor allem französische Kriegsgefangene, zugleich fungierte es als »Durchlaufstation«. Viele Gefangene wurden weiter verlegt, »hin und her geschoben«. Lebende Zeitzeugen habe man nicht mehr gefunden, dafür zwei Nachkommen. Die Tochter des ehemaligen französischen Kriegsgefangenen Joseph Baby spricht auch zur Ausstellungseröffnung am Donnerstag. Einige wenige Biografien, die gesichert sind, kann man in der Ausstellung finden. Dazu gibt es das Tagebuch eines ehemaligen Kriegsgefangenen, der über den Alltag im Lager berichtet. Viele Kriegsgefangene wollten arbeiten, um der quälenden Langeweile und den Lagern zu entkommen. Nach den Genfer Konventionen ist es durchaus legal, dass Kriegsgefangene bestimmte Arbeiten verrichten. Zwangsarbeit hingegen ist verboten. Dazu gehört beispielsweise das Arbeiten in der Rüstungsindustrie. Diese Exkurse und Erklärungen sind ebenfalls in die Ausstellung integriert. Sie verbinden den Standort und die Biografien mit dem historischen und juristischen Kontext.

Was geschah nach dem Krieg mit dem Gelände? Alte Fotos zeigen ein verwildertes, weitläufiges Gebiet. Die Besucher*innen haben hier am Ende der Ausstellung die Möglichkeit, eigene Gedanken zu Fragen wie: »Würden Sie auf einem ehemaligen Lagergelände wohnen wollen?« zu formulieren. Wie komplex die Diskussionen rund um den Standort sind, beleuchtet außerdem ein Film von TU-Student*innen, bei dem alle Seiten interviewt wurden. Er zeigt nicht nur das Interesse einerseits an der Schaffung notwendigen Wohnraums und andererseits der Erhaltung historischer Bauten, sondern auch eine wilde und teilweise schützenswerte Flora und Fauna, die über viele Jahrzehnte in Lichterfelde-Süd entstand.

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