Bestürzende Hellsichtigkeit

Los Angeles und die globalisierte Welt: Der Stadtsoziologe Mike Davis ist gestorben

  • Niko Daniel
  • Lesedauer: 3 Min.
Undogmatischer Marxist, Soziologe und Trucker: Mike Davis
Undogmatischer Marxist, Soziologe und Trucker: Mike Davis

Der US-amerikanische Schriftsteller und Sozialhistoriker Mike Davis ist tot. Der undogmatische Marxist starb am vergangenen Dienstag im Alter von 76 Jahren in San Diego, Kalifornien. Sein Hauptinteresse galt lange Zeit der Stadtentwicklung und insbesondere der kalifornischen Metropole Los Angeles. International bekannt wurde er 1990 mit seinem Bestseller »City of Quartz«, einer faszinierenden Sozialgeschichte und einem Zukunftsszenario der »City of Angels«, seiner Geburtsstadt. 

Es folgten weitere Bücher, unter anderem »Ökologie der Angst« (1999) und »The Monster at Our Door« (2005), eine Untersuchung über die Vogelgrippe, deren bestürzende Hellsichtigkeit über die gesellschaftliche Produktion von Pandemien einem erst in der Covid-Krise klar wurde. Ein Jahr später erschien mit »Planet der Slums« ein Werk, in dem Davis seine urbanistischen Studien auf den Globalen Süden ausdehnte und in der globalen Verstädterung eine »kopernikanische Wende« in der menschlichen Siedlungsgeschichte konstatierte.

Mike Davis wurde 1946 in Fontana, einem Vorort von Los Angeles geboren. Im Alter von 16 Jahren unterbrach er den Besuch der High School, um als Arbeiter in einer Fleischfabrik zum Unterhalt seiner Familie beizutragen. Anfang der 1960er-Jahre studierte er kurze Zeit in Oregon, wurde Mitglied der Students for a Democratic Society (SDS), trat der Kommunistischen Partei bei und leitete deren Buchladen in Los Angeles, bis er 1969 vom regionalen Parteivorsitz gefeuert wurde, weil er den russischen Kulturattaché aus dem Laden verwiesen hatte. 

In den folgenden vier Jahren arbeitete er als LKW-Fahrer an der Westküste, bis er sich entschied, seine akademische Ausbildung an der University of California Los Angeles (UCLA) fortzusetzen. Neben Geschichte und Wirtschaft an der UCLA studierte er irische Geschichte in London, Edinburgh und Belfast und setzte sich für die nordirische Unabhängigkeit ein. Von 1980 bis 1986 arbeitete Davis im Londoner Büro der Zeitschrift »New Left Review« und gründete die »Haymarket Series« des Verso Verlags, die sich auf Studien über die nordamerikanische Politik und Kultur spezialisierten. 1986 veröffentlichte er sein erstes Buch »Prisoners of the American Dream« (deutsch: Phönix im Sturzflug, Rotbuch, 1986) über die US-amerikanische Arbeiterklasse.

1987 kehrte er nach Los Angeles zurück, wo er zunächst erneut als Trucker, später u.a. als freier Autor und Dozent am Southern Institute of Architecture arbeitete und sich für ein Friedensabkommen zwischen den verfeindeten Jugendgangs einsetzte. Später verkaufte er sein Haus in Pasadena und zog sich mehrere Jahre auf Papa’aloa (Hawaii) zurück, um dort seine Arbeiten für das Buch »Geburt der Dritten Welt«, das 2019 in deutscher Übersetzung bei Assoziation A erschien, abzuschließen. 

Im Dezember 2008 wurde Mike Davis als »einer der interessantesten und vielseitigsten Urbanisten unserer Zeit« mit dem erstmals verliehenen Kulturpreis der Universitätsgesellschaft in München ausgezeichnet. Die Rede des Preisträgers, in der er sich selbst als einen »in die Jahre gekommenen Sozialisten, der nach wie vor mit derselben Inbrunst an die Selbstemanzipation der Arbeiter glaubt wie Gouverneurin Sarah Palin an die Karibujagd«, bezeichnet, ist unter dem Titel »Wer wird die Arche bauen« bei Telepolis nachzulesen.

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