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Kritik an einseitiger Ermittlungsarbeit
Der Prozess um die »NSU 2.0«-Drohschreiben steht kurz vor dem Abschluss
Kurz vor Schluss des Prozesses um die Drohschreibenserie des »NSU 2.0« konnte Alexander M. vor dem Frankfurter Landgericht doch noch einen Erfolg verbuchen. Der Angeklagte, der mit seinen aggressiven Anträgen und Unschuldsbeteuerungen, seinen Verbalausfällen und Wutausbrüchen an den nunmehr fast 30 Verhandlungstagen eher selten auf offene Ohren gestoßen war, erreichte am Donnerstag zumindest etwas: Er durfte sein Plädoyer im Sitzen halten, obwohl die Strafkammervorsitzende zunächst darauf bestehen wollte, dass er sich wie im Gerichtssaal üblich erhob. »Das diskutiere ich nicht mit Ihnen«, sagte Corinna Distler. »Aber ich diskutiere mit Ihnen«, konterte der 54-Jährige. Er setzte sich schließlich durch.
Der arbeitslose Computernerd aus dem Berliner Wedding übernahm das Plädieren in eigener Sache, weil seine beiden Verteidiger, die die Übernahme des Mandats bereits seit Prozessbeginn zu bereuen schienen, für ihn offenbar nicht so in die Bresche springen mochten, wie er das gerne gehabt hätte. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist Alexander M. als Einzeltäter verantwortlich für die Serie rechter Mord- und Bombendrohungen, rassistischer Schmähungen und sexistischer Beleidigungen, die unter dem Label »NSU 2.0« zwischen August 2018 und März 2021 zu Dutzenden vor allem bei in der Öffentlichkeit stehenden Frauen eingegangen waren – und die für besondere Beunruhigung sorgten, weil sie oftmals private Daten der Betroffenen enthielten.
»Ich bestreite jede Tatbeteiligung und beantrage deshalb Freispruch«, erklärte Alexander M. und bemühte sich, die auf seinem Computer gefundenen Fragmente von Drohschreiben sowie von Log-in-Daten für das vom »NSU 2.0« genutzte Mailkonto irgendwie mit der Geschichte in Einklang zu bringen, die er schon beim Prozessauftakt präsentiert hatte: Dass hinter der Drohserie eine unter anderem aus Polizisten bestehende Chatgruppe im Darknet stecke, der er nur als eine Art teilnehmender Beobachter angehört habe. »Da wollten mich einige ans Messer liefern, ganz großes Kino.« Zugleich verharmloste er die Drohserie als »Rumtrollerei auf hohem Niveau« und machte sich über die Ängste der Empfänger*innen lustig: »Wer den Quatsch ernst nimmt, ist mehr oder weniger selber schuld.«
Seine Verteidiger hingegen beschränkten sich in ihren Schlussvorträgen auf Kritik an der Anklagebehörde. Die am Montag von der Staatsanwaltschaft verlangte Gefängnisstrafe von siebeneinhalb Jahren nannte Rechtsanwalt Marcus Steffel einen »unverantwortungsvoll hohen Strafantrag«. Derlei Strafen würden sonst nur bei schwerster Kriminalität verhängt, bei Drogenhandel oder Totschlag. »Die geforderte Strafe ist Ausdruck einer einseitigen Ermittlungsarbeit«, befand Steffel und kritisierte wie sein Kollege Ulrich Baumann, dass die Staatsanwaltschaft von einer Beteiligung Frankfurter Polizeibeamter am Komplex »NSU 2.0« nichts mehr habe wissen wollen.
Dabei verweisen etliche Indizien darauf, dass zumindest das erste Drohfax an die Anwältin Seda Başay-Yıldız, mit dem die Serie im August 2018 begann, auch von einem offensichtlich rechtsradikalen Polizisten des 1. Frankfurter Polizeireviers verschickt worden sein könnte. Nach der Rechtsanwältin und ihren Angehörigen war dort kurz zuvor ausführlich in polizeilichen Datenbanken gesucht worden. »Warum ist dieser Beamte bezüglich seiner rechtsextremen Einstellungen nicht früher aufgefallen?«, fragte Baumann. »Warum ist er nicht mit auf die Anklagebank gesetzt worden?«
Es sind dieselben Fragen, die in einer ungewöhnlichen Allianz auch für die Nebenklage im Vordergrund stehen. Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, die die Linke-Bundestagsabgeordnete und vielfache Drohschreibenadressatin Martina Renner vertritt, lenkte das Augenmerk in ihrem Plädoyer noch auf etwas anderes. »Ziel der Drohschreiben war es, durch Beleidigung, Bedrohung und die Veröffentlichung personenbezogener Daten die Betroffenen dazu zu bringen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, ihr berufliches Engagement zurückzufahren oder ganz aufzugeben oder das Land zu verlassen«, sagte Pietrzyk. »Insgesamt ist die Drohserie als Angriff auf einige tragfähige Säulen unserer Demokratie zu begreifen«, sagte die Nebenklageanwältin und verlangte eine Verurteilung auch wegen besonders schwerer Nötigung. Ein konkretes Strafmaß nannte sie jedoch nicht. Das Urteil soll am 17. November verkündet werden.
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