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Ideen gegen die Verwahrlosung

Scharfe Töne zum Altern in Deutschland trotz festlichen Rahmens

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach einem zugeschalteten warmen Grußwort von Bundespräsident Walter Steinmeier (SPD) wurde der Ton zum Teil ziemlich rau. Vor allem der Sozialforscher und Altersexperte Frank Schulz-Nieswandt hatte auf dem vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) zu seinem 60-jährigen Bestehen organisierten Podium offenbar wenig Lust auf zurückhaltendes Festaktsgeplänkel. »Die Würde gerade von pflegebedürftigen Alten beginnt beim Körper«, stellte er klar. Um hinzuzufügen: »Es gibt in Pflegeheimen Fälle, da haben Menschen Maden unter dem Gebiss, weil dieses vier Wochen lang nicht gereinigt wurde.« Es war nur eines von mehreren drastischen Beispielen, mit denen Schulz-Nieswandt die Gesamtsituation pflege- beziehungsweise betreuungsbedürftiger alter Menschen in Deutschland kritisierte.

Dass die Pflege durch einen mittlerweile verstetigten Fachkräftemangel und steigende Kosten längst am Limit oder bereits darüber sei, bekräftigte auch die Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), Christine Vogler. Sie brachte zudem ganz grundsätzliche Forderungen in die Diskussion ein. »Die Pflegenden in Deutschland haben den niedrigsten Bildungsstandard in ganz Europa. Wir müssen zum Beispiel Gesundheit und Pflege schon als Schulfächer einführen«, regte sie an.

An der aktuellen Entwicklung kritisierte Vogler unter anderem den Entzug sozialer Teilhabe in Pflegeheimen unter der Corona-Pandemie, starre Finanzierungssysteme in der Bedürftigkeit und eben immer wieder den Pflegefachkräftemangel. »All das ergibt ein Bild von einer sich entsolidarisierenden und dabei fast ahnungslos erscheinenden Gesellschaft«, machte sie deutlich. Das Ringen um und Einfordern von Teilhabe, Selbstbestimmung und Würde im Alter(n), wie es das KDA seit nunmehr 60 Jahren betreibe, sei keine Selbstverständlichkeit, sondern müsse stärker als je zuvor fortgesetzt werden, so Vogler.

Die Diskutantinnen und Diskutanten hoben allesamt hervor, dass der demografische Wandel und also die alternde Gesellschaft etwas Gutes und eine Chance für eine Demokratisierung sei. Auf den Punkt brachte diesen Gedanken der Pflegewissenschaftler Hartmut Remmers: »Wir müssen uns auf eine neue Generation von Alten einstellen – nämlich die Alt-68er mit ihrem Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung.« In diesem Sinne argumentierte auch Schulz-Nieswandt, indem er monierte, dass in der Pflege noch heute größtenteils das Prinzip »sicher, sauber, satt« gelte, das völlig aus der Zeit gefallen sei – zudem ja nicht einmal das garantiert sei, wie er zuvor mit seinem drastischen Beispiel verdeutlicht hatte.

Darüber hinaus machte der offenbar gern auch provozierende Sozialforscher aus seinen weitreichenden Visionen keinen Hehl. »Unsere Wohnlandschaft ist total primitiv«, kritisierte er die von ihm ausgemachte schlichte Dichotomie von entweder Häuslichkeit oder Heim im Alter. »Was wir brauchen, ist eine fantasievolle Wohnlandschaft«, forderte er und nahm damit indirekt wieder Bezug auf die zuvor von Remmers angeführte, sich aus den Alt-68ern zusammensetzende nächste Generation der Alten.

Wie Schulz-Nieswandt, der eine »gestaltende Gesellschaftspolitik für gelingende Lebensläufe vor dem Hintergrund von Artikel 1 des Grundgesetzes« einforderte, bekräftigte auch DPR-Präsidentin Vogler, dass es beim Thema Altern um alle gehe. »Wir müssen aufhören, immer in Kategorien von Jung und Alt zu denken und die Menschen stattdessen zusammenbringen«, sagte sie fast ein bisschen pathetisch.

Die bisherige Altenpolitik in Deutschland sondere die Zielgruppe aus und definiere sie als Problem, monierte auch die stellvetretende Aufsichtsratsvorsitzende des KDA, Lale Akgün. Namentlich kritisierte sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der bisher keinen grundsätzlichen Änderungswillen in dieser existenziellen Frage erkennen lasse. Dabei sei es höchste Zeit für eine Umkehr in der sogenannten Altenpolitik. Denn die Alten hätten noch Ressourcen, um etwas zu bewegen, und das müsse ihnen endlich ermöglicht werden. »Wir müssen die Gesellschaft und die Heime öffnen«, so Akgün programmatisch.

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