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Gefangen in den Städten
Die progressive Linke ist zum Machtblock bei den Demokraten geworden – Fluch und Segen zugleich
Ein ganz neuer Kongress sollte es werden. 2016 gründete eine Handvoll junger Aktivist*innen aus dem Umfeld von Bernie Sanders »Brand New Congress«, eine politische Initiative, die den politischen Betrieb in Washington aufmischen sollte. Durch die Unterstützung von Außenseiter*innen, die von Unternehmensspenden und Lobbyeinflüssen unabhängig waren, sollten Senat und Repräsentantenhaus erneuert und für die Belange der einfachen Bevölkerung empfänglicher werden. Das Besondere an dem Plan: Quereinsteiger*innen aus beiden politischen Lagern waren willkommen. Die Unterstützung der Initiative sollte auch Republikanern zugutekommen, solange sie sich zu bestimmten politischen Zielen, etwa einer allgemeinen öffentlichen Krankenversicherung, bekannten. Auf dem Land und in konservativen Staaten, wo die Demokratische Partei verhasst ist, sollten Republikaner mit unkonventionellem Profil Mehrheiten für progressive Politik holen.
Für die Zwischenwahlen von 2018 verbündete sich die Initiative mit gleichgesinnten Organisationen, wie etwa den »Justice Democrats«. Gemeinsam gelang es ihnen tatsächlich, gegen das Parteiestablishment der Demokraten eine Reihe spektakulärer Erfolge zu erzielen. Die größte Aufmerksamkeit erreichte die 28-jährige Barkeeperin und Aktivistin Alexandria Ocasio-Cortez mit ihrem Sieg über eine alteingesessene New Yorker Parteigröße in Queens. Allerdings handelte es sich bei den Gewählten allesamt um Demokraten – die Strategie, Republikaner in das Projekt einzubinden, scheiterte.
Mit Summer Lee aus Pennsylvania und Becca Balint aus Vermont werden dieses Jahr mindestens zwei weitere linke Abgeordnete ins Repräsentantenhaus einziehen. Allerdings gibt es auch Warnsignale: Ilhan Omar aus Minneapolis konnte ihren Sitz bei den parteiinternen Vorwahlen der Demokraten nur knapp verteidigen – ihr wurde eine zu polizeikritische Haltung vorgeworfen. Marie Newman aus Illinois unterlag haushoch und muss den Kongress verlassen.
Mit den Democratic Socialists of America gibt es in den USA nun sogar eine explizit sozialistische Organisation mit fast 100 000 Mitgliedern, die mehrere Kongressabgeordnete stellt, alle von ihnen Demokraten, was nicht unumstritten ist. Die Tage, in denen Linke wie Bernie Sanders in Washington Exoten darstellten, sind gezählt. Die Progressiven bilden inzwischen einen ernstzunehmenden Machtblock innerhalb der Partei. Doch die Hoffnung, durch ein schärferes klassenpolitisches Profil könnten die Demokraten auch außerhalb der großen Städte und linksliberalen Hochburgen wie Vermont neue Wähler*innengruppen erschließen, hat sich größtenteils zerschlagen. 2020 scheiterte Paula Jean Swearengin bei der Senatswahl in West Virginia ebenso wie Kara Eastman bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus in Nebraska. Der linke Kandidat für den Senat Charles Booker bleibt auch dieses Jahr am 8. November in Kentucky chancenlos. In konservativ geprägten Bundesstaaten verfängt die politische Botschaft der Progressiven bei der großen Mehrheit weiterhin nicht.
Die US-amerikanische parlamentarische Linke steht vor einer zweifachen Herausforderung: Als Teil der demokratischen Koalition wird sie zunehmend mit der Regierungspolitik von Präsident Biden statt mit einer Rebellion gegen das Establishment assoziiert. Angesichts einer zunehmend autoritären Rechten ist der Anspruch, Biden von links unter Druck zu setzen, größtenteils verflogen – die Partei steht geschlossen hinter dem Präsidenten. Gleichzeitig ist ihre Basis weiterhin jung und urban – linke Demokraten gewinnen vor allem dort, wo die Partei ohnehin stark ist. Dies macht es zwar einfach, einmal gewonnene Wahlkreise zu halten, doch um ihre Vorhaben umzusetzen, brauchen die Demokraten Mehrheiten, die nur auf dem Land gewonnen werden können. Dem progressiven Parteiflügel der Demokraten droht das Schicksal, zur Mehrheit unter der Minderheit zu werden.
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