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Die Statue im Kurpark
In Bad Lauterberg im Harz steht das letzte Wissmann-Denkmal in Deutschland. Dagegen regt sich seit 40 Jahren Widerstand, aber Stadt und Bewohner halten bis heute an ihrem Wahrzeichen fest
Mitten in der Bundesrepublik, in Niedersachsen, dicht an der Grenze zu Thüringen, liegt Bad Lauterberg im Harz. Seit 2016 gehört die Kurstadt, deren Einwohnerzahl stetig sinkend sich der 10 000er-Marke nähert, zum Landkreis Göttingen. Von der ortsansässigen Industrie ist fast nichts geblieben. Eine Besonderheit weist die Harzstadt allerdings auf: Ihr Wahrzeichen ist das Denkmal des Afrikaforschers, Kolonialkriegshelden und ehemaligen Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, Hermann von Wissmann.
»Deutschlands größter Afrikaner«, wie er seinerzeit bezeichnet wurde, stammte zwar nicht aus dem Harz, aber seine Mutter und Schwester lebten dort. Der regelmäßige, prominente Besucher war ein Aushängeschild für die Stadt und sollte seine Werbewirksamkeit auch über seinen Tod hinaus behalten. Nachdem Wissmann im Jahr 1905 durch einen Kopfschuss, den er sich selbst bei einem Jagdunfall zugefügt hatte, ums Leben kam, wollte man ihm in Bad Lauterberg sogleich ein Denkmal errichten. Bereits 1908 kam die Bronzeplastik des Bildhauers Johannes Götz im Kurpark zur Aufstellung. Seitdem steht der etwa 2,20 Meter große Bronze-Wissmann vis-à-vis des Kurhauses auf einem großen Findling am Ententeich. Alles in allem dürfte das Denkmal 4,50 Meter in der Höhe messen.
Millionenfach ging er auf Postkarten um die Welt. Am Denkmal, das schon zu Kaiserzeiten als Treffpunkt für Veteranenverbände und Kolonialvereine gedient hatte, fanden auch noch in der Bundesrepublik einschlägige Veranstaltungen statt. Die Bronzeplastik erinnerte an große Zeiten, die viele wiederhaben wollten. Gern schmückte sich die Stadt mit dem Namen des »Afrikaforschers« und unterlag damit einer rechtsradikalen Geschichtsverdrehung. Denn bereits in der Kaiserzeit gab es vehementen Widerstand gegen die Kolonialpolitik. Die Sozialdemokratische Partei lehnte grundsätzlich jedes koloniale Engagement ab. Auch auf Liberale wie Ludwig Bamberger, Reichstagsabgeordneter der Nationalliberalen Partei, traf das zu. Und selbst bei den Konservativen – bis hin zum Reichskanzler Otto von Bismarck – war der Gedanke kolonialer Ausbreitung zunächst nicht populär.
Gouverneur in Deutsch-Ostafrika
Das Deutsche Kaiserreich, als letzter großer Nationalstaat in Europa 1871 entstanden, besaß Anfangs keine Kolonien. Die Entwicklung ging nicht von der Reichsregierung aus, sondern von deutschen Kaufleuten und Abenteurern, die sich auf eigene Faust Gebiete in Afrika und Asien unter den Nagel rissen und dann, konfrontiert mit Aufständen, um militärische Hilfe baten. Erst im Jahr 1884 trat das Deutsche Kaiserreich durch die Entsendung der Marine zum Schutz deutscher Handelsgesellschaften in die Kolonialgeschichte ein. Daraus leiteten sich die Begriffe »Schutzgebiete« bzw. »Schutztruppe« ab.
Im Jahr 1885 entstand die Kolonie Deutsch-Ostafrika. An deren Küste brach 1888 ein Aufstand los, angeführt von arabischen Sklavenhändlern und Plantagenbesitzern. Das politische Mandat und die finanziellen Mittel für ein Eingreifen in Ostafrika bekam Bismarck vom Reichstag nur bewilligt, weil der Einsatz als Mission im Kampf gegen die Sklaverei galt. Durch ein Gesetz vom 30. Januar 1889 wurde für die Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutze der deutschen Interessen in Ostafrika ein Betrag von zwei Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Die Ausführung der erforderlichen Maßregeln wurde Hermann Wissmann als Reichskommissar übertragen.
Qualifiziert hatte sich der junge Offizier durch zwei Afrika-Expeditionen für den belgischen König Leopold II. Mit seiner Berufung erfolgte die Beförderung zum Hauptmann. Als Führungskader der Wissmann-Truppe traten 88 deutsche Offiziere, Unteroffiziere, Ärzte und Beamte in seine persönlichen Dienste. Die Freiwilligen mussten zuvor ihren Dienst beim Heer quittieren.
Aufgrund seiner Erfahrungen mit den klimatischen Verhältnissen ließ der frisch gebackene Reichskommissar als Gros der Truppe schwarze Söldner, die zuvor in der britischen Armee gekämpft hatten, in Ägypten anwerben. Die sogenannten Askaris waren ein Novum in der deutschen Militärgeschichte. Mit seiner gut ausgebildeten und ausgerüsteten Streitmacht von etwa 1000 Soldaten konnte Wissmann den Aufstand bis 1890 niedergeschlagen, 1891 wurde Deutsch-Ostafrika offiziell der Verwaltung des Deutschen Kaiserreiches unterstellt. Mit diesem Feldzug begründete Wissmann seinen militärischen Ruf und wurde vom Kaiser in den Adelsstand erhoben.
Von Vietnam nach Afrika
In der Nachkriegsgesellschaft der Bundesrepublik blickte man zunächst ohne Scheu auf die deutsche Kolonialvergangenheit zurück. Die Mythen des Kaiserreiches wirkten ungebrochen weiter. Schließlich hatten alle europäischen Großmächte Kolonien besessen. In der kolonialen Erzählung blieben rassistische Ausbeutung und Unterdrückung sowie Völkermord zu vernachlässigende Fakten, und niemand fand etwas dabei, als im Jahr 1949 ein durch Bombentreffer beschädigtes Wissmann-Denkmal in Hamburg wiederaufgestellt wurde.
Die deutsche Kolonialgeschichte wurde zu einem Anknüpfungspunkt für rechtsgerichtete Geschichtsverklärung. Ehemalige Kolonialsoldaten aus der Kaiserzeit organisierten sich in örtlichen Kameradschaften. Diese schlossen sich 1956 zum Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen zusammen.
Erst mit dem politischen Aufbruch in den 60er Jahren begann eine kritische Auseinandersetzung. In diese Zeit fielen auch der Vietnam-Krieg, revolutionäre Aufstände in Lateinamerika und verschiedene antikoloniale Befreiungskämpfe in Afrika. In antiimperialistischer Solidarität fühlte sich die entstehende Studentenbewegung mit den Befreiungsbewegungen in aller Welt verbunden.
Während nach Protesten 1968 das Wissmann-Denkmal in Hamburg endgültig fiel, lag Bad Lauterberg am Ende der Welt, nur wenige Kilometer vom Grenzzaun der DDR entfernt, im Zonenrandgebiet. Von den Revolten in den großen Städten blieb die Harzstadt unberührt. Aus diesem Grund hielt der Traditionsverband seit 1969 seine jährliche Jahreshauptversammlung in der Kneippstadt ab, stets offiziell vom Bürgermeister begrüßt, egal ob dieser von der SPD oder CDU war. Den Höhepunkt bildete die Kranzniederlegung am Wissmann-Denkmal. Alte Kameraden traten dazu mit schwarz-weiß-roter Kolonialfahne, der Petersflagge, und ordensgeschmückter Brust an. Die Lokalpresse berichtete ausführlich und positiv über die Veranstaltung. Überhaupt fanden sich ab und an Artikel über Wissmann in der Lokalzeitung. Dafür sorgte Max Walsleben, Mitglied der städtischen Archivgemeinschaft, anerkannter Fachmann zum Thema Hermann von Wissmann und Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Osterode.
Lokale Antifa
Doch ewig währte die Ruhe für den Traditionsverband und das Wissmann-Jubelgedenken nicht. Im Jahr 1978 gründete sich der Antifaschistische Arbeitskreis Bad Lauterberg, der den Traditionsverband in eigenen Publikationen und in Leserbriefen an die örtlichen Zeitungen thematisierte. Wer den Traditionsverband und damit Wissmann angriff, kratzte allerdings am Allerheiligsten. Überhaupt galt Antifaschismus als kommunistischer Kampfbegriff, und der Arbeitskreis wühlte in der Vergangenheit herum, die man so gern verdrängte.
Der Arbeitskreis ging noch einen Schritt weiter und meldete für den 23. Oktober 1982 die erste Nachkriegsdemonstration in Bad Lauterberg an. Es war die erste Demo überhaupt, die sich gegen den deutschen Kolonialismus richtete. »Kein Kolonialtruppentreffen in Bad Lauterberg und anderswo! Schluss mit der Verherrlichung der deutschen Kolonialverbrechen und der Pflege rassistischer und imperialistischer Tradition«, lautete die programmatische Parole. Dreizehn Gruppen aus der Region stellten sich hinter den Aufruf. Antiimperialismus war der Kernbegriff, man verstand sich als Teil eines größeren Prozesses. Es ging darum, die Gesellschaft aus ihren überkommenen Traditionen und Strukturen zu reißen. Eine revolutionäre, avantgardistische Position in Konfrontation zum Bestehenden.
Die Stadt versuchte alles, um den Protest zu unterbinden. Die Route wurde untersagt und musste juristisch durchgesetzt werden. Am Ende waren es nicht mehr als 120 Personen, die an der Demonstration teilnahmen. Ein Artikel in der »Frankfurter Rundschau« beschrieb die Stimmung: »Über eintausend Schaulustige säumten ›wie bei einem Schützenumzug‹ (so ein Polizeisprecher) die Straßen der Kleinstadt, als die Demonstranten durch den Ort zogen und anschließend an einem Kolonialdenkmal einen Kranz für die Opfer des deutschen Kolonialismus in Afrika und Asien niederlegten. Bereits in der folgenden Nacht wurde der Kranz von unbekannten Tätern beiseite geschafft.« Hämisch berichtete das »Bad Lauterberger Tageblatt«, dass die Demonstrierenden keinen Beifall fanden: »Auch die Teilnahme von Professoren in der hundertköpfigen Schar der vom Antifaschistischen Arbeitskreis Bad Lauterberg mobilisierten Hilfstruppen konnte die Qualität der Gegendemonstration gegen das Kameradentreffen in Bad Lauterberg nicht aufwerten. – Es dauerte lange, ehe sich der Zug am Stadthaus formierte; denn es gab für die Teilnehmer zum Teil lange Anmarschwege.« Das antikoloniale Engagement des Arbeitskreises ging in den nächsten Jahren trotzdem weiter. Doch Bad Lauterberg war als Abwanderungsgebiet bekannt, und auch der Arbeitskreis schrumpfte und hörte 1985 auf zu existieren.
In jenem Jahr durchkreuzte noch ein vorgetäuschter Sprengstoffanschlag das Jahrestreffen des Traditionsverbandes. Danach wurde es ruhig um das Thema, ohne dass es je ganz in Vergessenheit geriet. In den 90er Jahren ist der Wissmann-Kult samt Traditionsverband bei diversen Veranstaltungen und antifaschistischen Stadtführungen, die von Göttingen aus organisiert wurden, immer wieder angesprochen worden.
Eine Antifa-Demo im Januar 1994, die sich gegen den immer stärker aufkommenden Neonazismus in der Stadt richtete, machte auch am Wissmann-Denkmal Zwischenstation. Bereits im Vorfeld der Demonstration war die Kurstadt in alter Tradition dagegen vorgegangen. Ein ehemaliger NPD-Funktionär hatte ein Schreiben an die Geschäftswelt gerichtet. »Zur Vermeidung antifaschistischen Terrors mit einhergehender gnadenloser Gewalt« empfahl er den Geschäftsleuten, ihre Schaufenster zu verbarrikadieren. Das Gewaltszenario wurde aufgegriffen, die Stadtverwaltung wappnete sich und stand in direktem Kontakt mit der Polizei. Trotz starker Polizeipräsenz verlief die Demo friedfertig. Aber die Hysterie war so groß, dass ein geplantes Antifa-Konzert am Abend abgesagt werden musste, weil der Wirt den Veranstaltungsraum nicht mehr zur Verfügung stellen wollte und sich gegenüber der Presse mit dem Satz entschuldigte »Ich will kein Unruhestifter sein«. Bad Lauterberg verwandelte sich weiter zu einem braunen Nest. Im Jahr 2007 waren rund 50 Personen in der Stadt der rechtsradikalen Szene zuzuordnen. Die NPD stellte einen Stadtratsabgeordneten, und Neonazis betrieben Geschäfte wie den Tattoo-Laden »Zettel am Zeh«. Als Reaktion hatte sich im Frühjahr 2007 ein Präventionsrat aus Mitgliedern der Grünen bis hin zur CDU gebildet. Nach eigenem Bekunden war es ein Vorschlag aus diesem Gremium, das den Rat der Stadt veranlasste, den Traditionsverband nicht mehr offiziell zu begrüßen.
Korrektur der Geschichtsschreibung
Erstmals seit 1969 war im Jahr 2007 kein Vertreter von Rat und Verwaltung mehr bei der Eröffnung der Jahreshauptversammlung im Kursaal anwesend. Das letzte Mal berichtete die regionale Presse 2009 über das Treffen. Seitdem ist nichts mehr über die Aktivitäten des Verbandes in Bad Lauterberg bekannt geworden. Die koloniale Erzählung hatte einen entscheidenden Dämpfer erhalten. Auch die Propaganda vom hehren Afrikaforscher Wissmann, der gegen den arabischen Sklavenhandel kämpfte und zum geachteten Gouverneur von Deutsch-Ostafrika aufstieg, ließ sich nicht aufrechterhalten. Der gesellschaftliche Druck, überkommene Bilder des Kolonialismus, die jahrelang nicht angetastet worden waren, zu revidieren, nahm ständig zu. In der globalisierten Welt bedurfte es einer neuen Geschichtsauffassung. Dabei ging es nicht um einen antiimperialistischen Systemsturz, sondern um eine Korrektur bürgerlicher Überlieferung. Ausdruck dieser Veränderung waren etliche Umbenennungen von nach Wissmann benannten Straßen, beispielsweise in Bochum, Hannover, Stuttgart und Berlin, sowie Diskussionen zu Ausstellungen in europäischen Museen und die Restitution afrikanischer Kunst wie die Benin-Bronzen oder das Luf-Boot des Ethnologischen Museums in Berlin. Gleichzeitig entstand in den USA die Black-Lives-Matter-Bewegung, die nach Europa ausstrahlte und Rassismus und postkoloniale Strukturen auf die Tagesordnung setzte. Auch gegen den Wissmann-Kult in Bad Lauterberg regt sich in den vergangenen Monaten neuer Widerstand zivilgesellschaftlicher Gruppen. Eine Tafel, die der Traditionsverband am Wissmann-Denkmal angebracht hatte, wurde im Dezember 2021 von der Stadt entfernt und dafür eine neue Infotafel aufgestellt. Ebenso verschwand ein Gedenkstein des Traditionsverbandes am Grab von Wissmanns Mutter. An den Straßenschildern der Wissmannstraße ist die beschönigende Bezeichnung »Afrikaforscher« abmontiert. Doch immer noch steht in Bad Lauterberg im Harz das letzte Wissmann-Denkmal Deutschlands.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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