Israel sucht Ausweg aus dem Patt

Amtierender Regierungschef Lapid hofft bei Parlamentswahlen auf neue Mehrheit

  • Oliver Eberhardt. Tel Aviv
  • Lesedauer: 4 Min.

In den Medien prasselt ein Sperrfeuer aus Wahlwerbung und Interviews mit den aussichtsreichsten Spitzenkandidaten auf die Menschen herein. Diese reagieren darauf nicht nur gleichgültig, sondern ermüdet. Wie viele Wahlen waren das jetzt in wie vielen Jahren? Man muss erst einmal nachdenken und zählen.

Zum fünften Mal innerhalb von nur vier Jahren wird in Israel ein neues Parlament gewählt, aus dem heraus dann eine*r der Spitzenkandidat*innen in einem wochenlangen Verhandlungsmarathon eine neue Regierung bilden wird.

Der Weg dorthin hat viel mit Mathematik und mit der Bereitschaft zu tun, Tabus zu brechen. Eine niedrige Wahlbeteiligung bei einer Wählergruppe beeinflusst das Gesamtergebnis massiv. Dieses Mal wird damit gerechnet, dass die Wahlbeteiligung bei arabischen Wähler*innen sehr niedrig ausfallen könnte. Und das verbessert unter anderem die Chancen der »Religiösen Zionisten«. Bisher war das eine Kleinpartei, in der sich neben anderen ultrarechte Aktivisten aus dem Umfeld der als terroristisch eingestuften Kach-Bewegung zusammengefunden haben. Nun werden dieser Wahlliste bis zu 15 der 120 Parlamentssitze vorhergesagt.

Nicht nur eine mögliche niedrige Wahlbeteiligung im arabischen Sektor ebnet den »Religiösen Zionisten« den Weg nach oben: Viele der rechtsnationalen Wähler*innen in den Siedlungen im israelisch besetzten Westjordanland haben der eigentlichen Siedlerpartei »Jamina« übel genommen, dass sie nach der vergangenen Wahl in eine Koalition aus rechten und linken Parteien und sogar einer arabischen Fraktion eingetreten war. Parteichef Naftali Bennett war sogar für gut ein Jahr Regierungschef geworden. Nun droht die mittlerweile »Jüdisches Heim« genannte Partei an der 3,25-Prozent-Hürde zu scheitern.

Der Aufstieg der Ultrarechten könnte auch jene dazu bringen, zur Wahl zu gehen, die das normalerweise nicht täten. Denn die »Religiösen Zionisten« sind im Grunde gegen alles, was das Leben für säkulare Israeli*innen ausmacht. Und Benjamin Netanjahu, Chef des rechtskonservativen Likud, schließt zumindest eine Regierungsbildung mit den Rechten nicht aus – ein Tabubruch, der massive Auswirkungen auf die Innen- und Außenpolitik des Landes hätte. Wie würden die Staaten auf der arabischen Halbinsel reagieren, die erst vor wenigen Jahren diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen haben? Die »Religiösen Zionisten« halten für Araber*innen ein ganzes Repertoire an Abwertungen vor, wollen sie aus dem Land werfen. Würden sich westliche Politiker*innen mit Ministern dieser Partei in einen Raum setzen?

Bei der zentristischen Zukunftspartei des amtierenden Regierungschefs Jair Lapid hofft man darauf, dass es nicht dazu kommen wird. Unter dem Strich ergeben die Umfragen derzeit ein Patt zwischen den Parteien, die zu einer Koalition mit dem nach wie vor wegen Korruption angeklagten Netanjahu bereit sind, und allen anderen. Um an den »Religiösen Zionisten« vorbeizukommen, müsste Netanjahu entweder Lapid oder mindestens zwei andere Parteien überzeugen. Dass das passiert, ist unwahrscheinlich.

Lapid jedoch müsste dieses Mal auch die linke Chadasch, eine gemischte jüdisch-arabische Partei, überzeugen und gleichzeitig den rechten Avigdor Liebermann und seine Partei Jisrael Beitenu im Boot halten. Dass eine lagerübergreifende Koalition funktionieren kann, zeigte sich in den vergangenen eineinhalb Jahren: Man arbeitete zusammen und erledigte dabei mehr an Gesetzgebung, als es Netanjahus Regierungen je geschafft hatten. Schwachpunkt war allein Bennetts Fraktion: Mehrere Abgeordnete liefen zum Likud über und brachten damit die Regierung zu Fall. Doch das Problem dürfte sich nun an der Wahlhürde erledigen. Letztlich geht es also vor allem darum, genug Wähler*innen zu mobilisieren, damit es für insgesamt mehr als 60 Sitze reicht.

Doch auch in den Hochburgen des Likud gibt es kritische Stimmen. Eine Koalition mit einer rechtsextremen Partei lehnen viele ab, auch wenn Netanjahu in den armen Vierteln der Städte und in der Peripherie durchaus populär ist. Und so versucht der eher konservative Verteidigungsminister Benny Gantz, ein ehemaliger Generalstabschef, der nun eine eigene Kleinpartei anführt, um solche Wähler*innen zu werben.

Dass die Wahlen in eine stabile Regierung münden, ist alles andere als ausgemacht. In den Medien wird schon vor dem Urnengang über Neuwahlen spekuliert.

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