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Schleichende Deregulierung?
Bei Impfstoffen wird seit der Corona-Pandemie bei der Zulassung weniger genau hingesehen
Ebola ist zurück. Seit Ende September breitet sich das tödliche Virus in Uganda aus. Maximilian Gertler, Tropenmediziner an der Berliner Charité, findet es »durchaus besorgniserregend«, dass zuletzt eine relevante Zunahme neuer Fälle gemeldet wurde und Ebola auch die dicht besiedelte Millionenmetropole Kampala erreicht hat. Das ostafrikanische Land meldete bis Anfang November 128 bestätigte Fälle, 34 Menschen starben.
Das Virus verursacht schwere Fiebererkrankungen, die mit Blutungen einhergehen. Bei der bisher schlimmsten Epidemie mit der Zaire-Variante starben 2014/15 in Westafrika mehr als 11 000 Menschen. Ob Ugandas Behörden, unterstützt von der Weltgesundheitsorganisation und Ärzte ohne Grenzen, den aktuellen Ausbruch mittels Kontaktnachverfolgung und Isolation sowie Behandlung von Verdachtsfällen zeitnah in den Griff bekommen, ist unklar. Es gibt aktuell weder ein zugelassenes Medikament noch einen Impfstoff gegen die hier zirkulierende Sudan-Variante des Virus. Die Erprobung befindet sich in ganz frühem Stadium.
Vor wenigen Tagen meldete sich nun der US-Pharmakonzern Merck zu Wort: Man könne bis Ende des Jahres etwa 50 000 Dosen eines experimentellen Impfstoffs liefern, die in Pennsylvania seit 2015/16 tiefgefroren lagerten. Damals startete Merck keine klinische Studie, die aufwendig und teuer ist, denn es kam zu keiner großen Epidemie mit dem Sudan-Stamm. Sprich: Absatz- und Gewinnaussichten waren für Merck zu schlecht. Für die ugandische Regierung stellt sich nun die schwierige Frage, ob diese Dosen einen Beitrag zur Bekämpfung des Ebola-Ausbruchs leisten sollen. Einerseits wurde der Impfstoff bisher nur an Affen getestet, und die Ergebnisse lassen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen. Andererseits ist der Merck-Impfstoff laut Tropenmediziner Gertler »vermutlich der heißeste Kandidat, da im Grunde auf das bewährte Verfahren des zugelassenen Zaire-Impfstoffs Ervebo zurückgegriffen wird«.
Das aktuelle Beispiel aus Ostafrika zeigt nicht nur eindrücklich, dass Impfstoffe für Krankheiten im globalen Süden oft nicht vorliegen, da sie wenig rentabel erscheinen. Es macht auch eine bedenkliche Entwicklung deutlich: Es droht eine schleichende Deregulierung bei Zulassungsverfahren von Impfstoffen, was vor allem durch die Covid-19-Pandemie einen Schub bekommen hat. Erinnern wir uns zurück: Als das neuartige Coronavirus weltweit Menschen noch zu Hunderttausenden dahinraffte, erschien die Entwicklung von Impfstoffen als das Licht am Ende des Tunnels. Die in Rekordtempo bereitgestellten Vakzine erfüllten dann auch, zumindest im globalen Norden, die Hoffnungen und retteten eine riesige Anzahl an Menschenleben.
In der EU lief die Zulassung zunächst korrekt ab, obwohl Eile geboten war und viele Politiker massiven Druck auf die Arzneimittelbehörde EMA ausübten. Diese führte das für Notfälle gedachte beschleunigte Verfahren durch, bei dem Daten zu klinischen Studien und zur Impfstoffqualität fortlaufend geprüft werden, auch wenn sie noch nicht vollständig sind. So war es auch bei den mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19: Sie erhielten im Dezember 2020 eine für ein Jahr gültige, bedingte Marktzulassung unter der Auflage, dass bestimmte Unterlagen später nachgereicht werden. Diese betrafen vor allem Qualitätssicherungsmaßnahmen an den Herstellungsstandorten.
Der Hallenser Virologe Alexander Kekulé kritisierte im MDR, dass die bedingte Zulassung danach stillschweigend um ein Jahr verlängert wurde, obwohl die Hersteller Fristen verstreichen ließen und ihre Hausaufgaben nicht erledigt hätten. Er vermutete, insbesondere Biontech wolle möglichst lange nur immer weitere Booster ihres »alten Zeugs« verkaufen. Später lieferten Biontech und Moderna aber offenbar die Unterlagen, und so empfahl die EMA im September 2022 die dauerhafte Zulassung.
Was hier nur unsauber lief, wurde bei der Zulassung der insgesamt vier an die Omikron-Varianten angepassten Impfstoffe richtig problematisch. Während für drei von vier wenigstens Daten zu Tests mit einigen Hundert Probanden vorlagen, gab es für das BA.4/BA.5-Vakzin von Biontech/Pfizer lediglich Antikörperbestimmungen an Labormäusen. Als die EMA die Zulassung empfahl, ist »einigen Fachleuten regelrecht der Unterkiefer runtergefallen«, sagte Kekulé. »Da hat sich einfach die Industrie durchgesetzt.«
Biontech-Chef Ugur Sahin hatte im Juni in der »Financial Times« in ungewöhnlich scharfer Form für die Zulassung angepasster Impfstoffe den Verzicht auf die üblichen zusätzlichen klinischen Studien am Menschen gefordert. Diese seien nicht nötig, da gegenüber dem ursprünglichen Impfstoff nur »eine Anzahl an Aminosäuren des Spike-Proteins verändert worden« sei. Er forderte eine schnelle Entscheidung über die Zulassung, zumal neue Omikron-Varianten für stark steigende Infektionszahlen sorgten. Böse Zungen behaupten, hier ging es mehr um Geschäftsinteressen, da Biontech befürchtete, gegenüber dem Konkurrenten Moderna ins Hintertreffen zu geraten.
Die EMA erfüllte den Wunsch – möglicherweise auch, weil erneut wichtige Politiker zur Eile drängten. Dies ist umso erstaunlicher, als Biontech nur einen Monat nach der Zulassung erste Ergebnisse von Blutuntersuchungen an einigen Dutzend Menschen vorlegte. »Diese zeigen einen wesentlichen Anstieg der neutralisierenden Antikörperantwort, die sich gegen die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 richtet«, sagte Sahin dazu.
Eine Aufweichung beim Zulassungsprocedere aber ist erreicht. Selbst aus der Ständigen Impfkommission in Deutschland wurden Warnungen vor einem gefährlichen Präzedenzfall für künftige Impfstoffe laut. Dennoch sprach das Gremium eine Empfehlung auch für das BA.4/BA.5-Vakzin aus.
Die Anerkennung der Leistungen der Hersteller bei der Corona-Bekämpfung zusammen mit dem Druck von »Team Vorsicht« und von Politikern, die bei nicht-pharmakologischen Maßnahmen versagten, könnten also zu einem lockereren Umgang mit Impfstoffen führen. Wie man in Uganda sieht, könnte die Zukunft so aussehen: Erst verschleppen Hersteller mangels Gewinnaussicht die Markteinführung, dann schauen Behörden im Falle einer Epidemie bei der Zulassung nicht genau hin, oder es werden sogar ungeprüfte Vakzine geimpft, die so ihre Zulassung erlangen. Das wäre keine gute Lehre aus der Corona-Pandemie.
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