Sehnsucht nach der Feinkosttheke

Sachsens Linke fordert Ende der parteiinternen Querelen und ringt um Position zu Krieg in der Ukraine

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Linke kann in Sachsen noch gewinnen – auch Mitglieder. Der Kamenzer Richter Alex Theile, der als parteiloser Bündniskandidat bei der Landratswahl in Bautzen im Juni 25 Prozent geholt hatte, unterschrieb auf einem Parteitag in Löbau ein Aufnahmeformular. Die Linke habe seine Kampagne wesentlich getragen, zudem gebe es bei Wählern ein Bedürfnis nach linker, sozialer Politik, für die die Partei »die richtigen Rezepte« habe. Diese sei »nicht am Ende«, betonte er, fügte aber an: »Ihr steckt ziemlich tief in der Misere«.

Dass dies so ist und die politische Arbeit dadurch sehr erschwert wird, bestätigten viele Genossen auf dem Parteitag. Dieser sollte eigentlich erste Akzente für die Landtagswahl 2024 setzen. Ein Leitantrag zur Wirtschaftspolitik etwa könne »wegweisend« für eine Wahlstrategie sein, die den Schulterschluss mit Gewerkschaften suche, sagte Landeschef Stefan Hartmann. In dem Papier heißt es: »Wo staatliches Geld rein fließt, muss staatliches Eigentum, Belegschaftseigentum oder öffentliche Infrastruktur entstehen«. Wenn die Gesellschaft das Heft des Handelns zugunsten von Märkten aus der Hand gebe, sagte Ko-Vorsitzende Susanne Schaper, »wird die Demokratie handlungsunfähig«.

Erste Entscheidungen gab es auch mit Blick auf personelle Fragen. Der Parteitag beschloss, den oder die Spitzenkandidaten erneut per Mitgliederentscheid zu bestimmen, aber nur, wenn es, anders als 2019, mehr als einen Bewerber gibt. Hartmann nannte das eine »Mitgliederentscheidbremse«. Ein Vorstoß, die Basis auch über die Kandidaturen bis Platz 6 abstimmen zu lassen, wurde abgelehnt. Der Chemnitzer Kreischef Tim Detzner hatte sich davon »Kooperation und größtmögliche Kooperation« versprochen statt »Enttäuschungen und Verletzungen«. Die seien zuletzt das Ergebnis zunehmend härterer Kämpfe um Mandate gewesen, deren Zahl angesichts mieser Wahlergebnisse schrumpfte.

Die Frage danach, warum die Popularität der Linken so gelitten hat, bestimmte die Debatte. Das Niveau der Wahlergebnisse sei »früher Feinkosttheke gewesen und ist jetzt Discounter«, sagte der jugendpolitische Sprecher Frederic Beck. Einst für sie prägende Themen habe die Partei anderen überlassen, meinte die Europaabgeordnete Conny Ernst: »Wir sind als Gerechtigkeitsmotor im Osten nicht mehr präsent.« Folge der Misere seien viele Austritte. Die Zahl habe sich gegenüber früheren Jahren verdoppelt, sagte Bernd Spolwig aus dem Kreis Bautzen. Zudem wurde auf verbreitete Verunsicherung und Entmutigung an der Basis verwiesen.

Die Ursachen der Probleme seien nicht in der Arbeit vor Ort zu suchen, hieß es mehrfach. Statt dessen habe die Partei zahlreiche programmatische Widersprüche mit Verweis auf vermeintlich nötige Geschlossenheit über Jahre nicht gelöst, sagte Luise Neuhaus-Wartenberg, Kreischefin in Nordsachsen. Die Basis erwarte »Klarheit«, betonte sie: »Es ist ihnen inzwischen völlig egal, in welche Richtung.« Beck fügte an, die beste Basisarbeit nütze wenig, »wenn die Reife in der Führungsebene postpubertär wirkt«. Schaper verlangte, mit dem »unsäglichen linken Trend zu brechen, den Feind zuerst in den eigenen Reihen zu suchen«. Der Leipziger Dirk Apitz mahnte »die Störenfriede in der Partei: Weniger Talkshow wagen!«, was als Anspielung auf Sahra Wagenknecht zu verstehen war.

Bundesparteichef Martin Schirdewan appellierte angesichts der spürbaren Frustration dazu, nicht das Handtuch zu werfen: »Bleibt, und bleibt vor allem aktiv!« Er stellte eine Schärfung des politischen Profils in Aussicht und erklärte, man wolle »den Respekt gegenüber demokratischen Entscheidungen wieder herstellen«. Wagenknecht etwa wurde wiederholt vorgeworfen, ihre öffentlich geäußerten Positionen widersprächen Parteibeschlüssen. Angeblich in ihrem Lager erwogenen Plänen für eine Neugründung erteilte Schirdewan eine Absage: »Das verunsichert viele und schadet uns.«

Schirdewan ging in seiner Rede auch auf den Krieg Russlands in der Ukraine ein – auf ausdrücklichen Wunsch Hartmanns. Der sächsische Landeschef weiß, dass die Frage, wie sich die Linke dazu verhält, auch in seinem Verband für Verunsicherung sorgt. Das zeigt ein Blick auf Anträge. Der Kreisverband Zwickau forderte, die Linke als »treibende Kraft der Friedensbewegung aufzustellen«, und erklärte zur Begründung, der Krieg sei Ausdruck von »Bestrebungen zu einer politischen und geostrategischen Neuaufteilung der Welt unter alte und neue, in jedem Falle aber menschenverachtende Imperien«. Die Linksjugend wiederum drängt auf Auflösung der Landesarbeitsgemeinschaft Deutsch-Russische Freundschaft, weil vor allem deren Vorsitzende die Rolle Russlands im Krieg relativiert und dabei den politischen Schulterschluss mit Rechtsextremen gesucht habe. Schirdewan betonte, die Linke werde »auf dem Primat der Diplomatie beharren, auch wenn sich die anderen Parteien dem Primat des Krieges zugewandt haben«. Sie tue das aber, »ohne Ursache und Wirkung zu verdrehen«. Die Leipziger Landtagsabgeordnete Jule Nagel mahnte, man müsse bei der Forderung nach Verhandlungen »klar die territoriale Integrität der Ukraine im Auge behalten«. Sie warnte davor, sich mit rechten Leugnern der russischen Kriegsschuld gemein zu machen: »Da braucht es Abgrenzung.« Generell, fügte sie an, sei es bei diesem Thema »schwierig mit einfachen Antworten«.

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