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Knast, Kultur und Klischees
Die Aktionstage Gefängnis lenken Aufmerksamkeit auf die Belange der Betroffenen
„Gefängnis/Kultur/Gefängniskultur» – so lautet das Motto der diesjährigen Aktionstage Gefängnis. Manche werden sich fragen, was Gefängnisse mit Kultur zu tun haben. Doch dabei wird vergessen, dass es mittlerweile in vielen Haftanstalten unterschiedliche kulturelle Aktivitäten gibt, bei denen Gefangene als Künstler*innen eine wichtige Rolle spielen. Sehr bekannt ist das unabhängige Gefängnistheaterprojekt Aufbruch in Berlin, das zahlreiche vielbeachtete Theateraufführungen realisiert hat. Die Schauspieler*innen sind ausschließlich Gefangene. Das Theater befasst sich dabei kritisch mit der Institution Gefängnis. »Indem sie den Gefangenen aus der Gesellschaft ausschließt, schafft sie innerhalb ihrer Mauern selbige unter Ausschluss der Öffentlichkeit neu«, heißt es auf der Homepage von Aufbruch. Es ist ein Beispiel für eine Kulturarbeit, die das Ziel hat, den Blick der Gesellschaft auf Gefängnisse zu erweitern und verbreitete Klischees zu hinterfragen. Dazu gehört die Vorstellung, dass Gefängnisse nichts mit der übrigen Gesellschaft zu tun haben.
Klischees über Gefängnisse und Gefangene wollen die Aktionstage Gefängnis seit nunmehr sieben Jahren überwinden. Im November 2016 war das Bündnis anlässlich der damals in Berlin tagenden Konferenz der Justizminister*innen der Länder erstmals an die Öffentlichkeit getreten und setzte sich für den Rentenanspruch und den Mindestlohn für Gefangene ein. Diese Forderungen hatte damals die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) auf die Tagesordnung gesetzt. Die Gewerkschaft wurde von Gefangenen gegründet, weil sie nicht mehr hinnehmen wollten, dass Gefängnisse Niedriglohnzonen sind. Mittlerweile hat sich aber gezeigt, dass es schwierig ist, die Institution Gefängnis zu verändern.
Die heutigen GG/BO-Strukturen sind Teil des breiten Bündnisses, das die Aktionstage Gefängnis vorbereitet. Es reicht von humanistischen Initiativen wie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Straffälligenhilfe, der Europäischen Konferenz für Gefängnisseelsorge, der Aidshilfe und der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Gefängnisseelsorge bis zu explizit linkspolitischen Gruppen wie dem Autorinnenkollektiv »Wege aus dem Knast«, dem Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte und eben der GG/BO. Damit handelt es sich um eine heute selten gewordene Kooperation von liberalen, humanitären und linksautonomen Gruppen. Während die Gefangenenseelsorge und ähnliche Organisationen das Gefängnissystem reformieren wollen, fordern linksautonome Antirepressionsgruppen eine Gesellschaft ohne Knäste.
Für Sven-Uwe Burkhardt vom Bündnis Aktionstage Gefängnis ist die gesellschaftliche Breite des Bündnisses eine besondere Qualität. »Einig sind sich wohl alle Beteiligten, dass der jetzige Zustand zu verändern ist. Mehrere Beteiligte sind auch für eine Abschaffung von Gefängnissen. Diese Sichtweise lässt sich jedoch nicht zur Grundvoraussetzung für eine Beteiligung machen, da es dann kein so breites Bündnis mehr geben würde«, begründet Burkhardt, dass es im Bündnis über die Forderung nach Abschaffung der Gefängnisse keine einheitliche Position gibt.
Tatsächlich wird die Forderung nach einer Gesellschaft ohne Gefängnisse längst nicht mehr nur von kleinen anarchistischen Gruppen formuliert. Erst kürzlich haben Vanessa E. Thompson und Daniel Loikim im Suhrkamp-Verlag einen Sammelband mit Grundlagentexten des Abolitionismus herausbegeben, wie die politische Bewegung zur Überwindung von Gefängnis und Polizei genannt wird. Die Aktionstage Gefängnis laufen noch bis zum 10. November.
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