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Der Libanon ist kopflos

Vakantes Präsidentenamt führt zu einem Machtvakuum und der nächsten politischen Krise

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine der letzten Amtshandlungen von Michel Aoun war die Unterzeichnung der Vereinbarung mit Israel über die Markierung der jeweiligen exklusiven maritimen Wirtschaftszonen am 27. Oktober 2022. Damit wurde ein Streit um den Zugang zu den zwei Gasfeldern Karish und Qana im östlichen Mittelmeer beigelegt. Der Libanon hatte bereits im Februar 2018 Abkommen zur Erkundung und Förderung von Gas im östlichen Mittelmeer mit den Ölkonzernen Total (Frankreich), Eni (Italien) und Novatec (Russland) unterzeichnet. Nun hofft man im Libanon, bald mit der Gasförderung beginnen zu können.

Doch zunächst muss ein neuer Präsident gefunden werden. Bis dahin übernimmt Interims-Ministerpräsident Najib Mikati mit seiner Regierung die Amtsgeschäfte. Das entspricht der libanesischen Verfassung. Aoun hatte zwar an seinem letzten Amtstag per Dekret die Regierung von Ministerpräsident Najib Mikati für aufgelöst erklärt, doch die Verfassung steht über einem Präsidentschaftsdekret. Gegenüber der Tageszeitung »L’Orient-Le Jour« erklärte Mikati, sofern das Parlament zustimme, werde er mit seiner Regierung weiterhin vorübergehend »alle verfassungsmäßigen Aufgaben ausüben«. Die Entlassung der Mikati-Regierung war darauf zurückzuführen, dass Aoun sich mit Mikati nicht über seinen Nachfolger an der Staatsspitze einigen konnte.

Uneinigkeit und Konkurrenz sind Kennzeichen der politischen Eliten im Libanon, die sich wesentlich aus reichen Großgrundbesitzern und Geschäftsleuten zusammensetzen. Diese haben im Laufe von Generationen ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit ausländischen Regierungen in Frankreich, USA, Saudi-Arabien und Syrien gefestigt. Hinzu kommen diejenigen, die sich im Bürgerkrieg (1975–1990) militärisch durchsetzen und ihren Einfluss ausbauen konnten – auch mit Hilfe der arabischen Nachbarstaaten und ausländischer Akteure wie Frankreich, USA, Israel, Saudi-Arabien und Iran.

Instrument der politischen Eliten ist das konfessionelle System, das Frankreich mit dem Ende seiner Mandatszeit 1946 dem Libanon hinterließ. Danach werden die höchsten politischen Ämter unter maronitischen Christen (Präsident), sunnitischen Muslimen (Ministerpräsident) und schiitischen Muslimen (Parlamentspräsident) aufgeteilt. Das Amt des libanesischen Präsidenten ist seit der französischen Mandatszeit (1923–1946) einem Angehörigen der maronitischen Christen vorbehalten, die damals von Paris zahlreiche Privilegien erhalten hatten.

Die 128 Sitze im Parlament werden je zur Hälfte von Christen und von Muslimen besetzt. Allerdings entspricht diese Aufteilung seit Langem nicht mehr den realen Mehrheitsverhältnissen religiöser Zugehörigkeit im Libanon. Die christliche Bevölkerung, die sich in mindestens sechs Kirchen aufteilt, schrumpft seit Jahrzehnten; mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind heute Muslime.

Obwohl es seit den 50er Jahren eine starke gesellschaftliche Bewegung für die Trennung von Religion und Politik gibt, wurde die konfessionelle Machtaufteilung nach dem Bürgerkrieg mit dem Abkommen von Taif (Saudi-Arabien) 1989 erneut bestätigt. Die nur für einen Übergang gedachte Regelung galt als »Abkommen der Nationalen Versöhnung«.

Der Libanon wurde als »Land mit einer arabischen Identität und Zugehörigkeit« definiert. Die Machtverteilung auf die drei größten Religionsgruppen im Land – maronitische Christen, sunnitische und schiitische Muslime – sollte deren Koexistenz durch »angemessene politische Vertretung« sicherstellen. Tatsächlich ist das Land heute politisch tief gespalten. Das konfessionelle System erweist sich als Rezept für Stagnation und macht den Zedernstaat zu einem Spielball ausländischer Akteure.

Die Wahl eines neuen Präsidenten scheiterte im Parlament bereits vier Mal. An diesem Donnerstag soll erneut über einen Kandidaten abgestimmt werden.

Die englischsprachige Internetzeitung »Al-Nahar« berichtete derweil unter Berufung auf namentlich nicht benannte »Quellen, die der Hisbollah nahestehen«, die Organisation wolle den Vorsitzenden der Marada-Partei, Suleyman Franjieh, für das Präsidentenamt vorschlagen und sei darüber im Gespräch mit der Freien Patriotischen Bewegung, der Progressiven Sozialistischen Partei und einigen sunnitisch-muslimischen Abgeordneten. In der Zeitung »Al-Jumhuria« hieß es unter Berufung auf »Quellen, die in der Sache des Präsidenten informiert« seien, die »regionale und internationale Lage« sei derzeit »nicht günstig für die Wahl eines Präsidenten«.

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