Rechter Offenbarungseid

Union und AfD unisono gegen Bürgergeld-Reform

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Bundestag hat am Donnerstag das von der Ampel-Koalition geplante Bürgergeld auf den Weg gebracht. In namentlicher Abstimmung votierten 385 Abgeordnete dafür, 261 dagegen, 33 enthielten sich. Nach den Plänen der Regierung soll das Bürgergeld mit dem Jahreswechsel schrittweise das heutige Hartz-IV-System ablösen. Allerdings ist die dafür nötige Zustimmung im Bundesrat äußerst fraglich, da die Union nach wie vor droht, das Bürgergeld dort zu blockieren. Aus Sicht der Konservativen würde es die Menschen vom Arbeiten abhalten.

In der Aussprache vor der Abstimmung im Bundestag brachte der Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch die Debatte zum Bürgergeld auf den Begriff »Schmierentheater«. Die Union wolle das Milliardenvermögen der Superreichen schützen, aber das Schonvermögen von Menschen, die arbeitslos werden, angreifen, so Bartsch. Zuvor hatte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Hermann Gröhe (CDU), das im Gesetzentwurf ausgewiesene Schonvermögen von insgesamt 150 000 Euro für eine vierköpfige Familie zum Kern des Problems erklärt, das die Union mit dem Bürgergeld habe. »Es gefährdet die Fairness in diesem Land und es gefährdet auch die Vermittlung in Arbeit«, so Gröhe.

Dass die Union damit die Debatte von den Menschen, deren erarbeitete Ersparnisse im Falle der Arbeitslosigkeit beim Bürgergeld für zwei Jahre nicht angetastet werden sollen, hin zu einer Neiddebatte verschiebe, wurde ihr daraufhin auch von mehreren Rednerinnen und Rednern der Ampel-Koalition vorgehalten. So warf Johannes Vogel, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, der Union wiederholt vor, mit »alternativen Fakten« zu hantieren. Vogel hatte dies bereits bei der ersten Lesung zum Thema Mitte Oktober ins Feld geführt. An diesem Donnerstag sagte er in Reaktion auf die von der Union vorgebrachte Kritik, beim Bürgergeld würde das Fordern zugunsten eines reinen Förderns aufgegeben: »Es gibt keine sanktionsfreien Zeiten im Bürgergeld. Wer etwas anderes verbreitet, der verbreitet Fake News.«

Scharfe Kritik an der Union kam auch von der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Britta Hasselmann. »Wer keine Argumente in der Sache hat, verliert sich im Verfahren«, rief sie dem CDU-Abgeordneten Hermann Gröhe in Bezug auf dessen tatsächlich inhaltsschwache Rede zu. Den CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz griff sie ebenfalls an, indem sie ihm vorwarf, zwar in Interviews populistische Töne zu spucken, im Parlament aber zu kneifen. Es gebe verschiedene Lebenswirklichkeiten, so Hasselmann weiter. »Während die einen mit dem Privatjet zu Partys fliegen, weiß manche Alleinerziehende nicht, wie sie die Turnschuhe für ihr Kind bezahlen soll«, spielte sie auf Merz’ Reise zur Hochzeit Christian Lindners (FDP) im Juli auf Sylt an. »Sie haben keinen Respekt vor der Lebenswirklichkeit der Menschen«, sagte sie in Richtung Merz. Der hielt am Donnerstag keine Rede zum Bürgergeld.

Seine im Plenum redenden Parteikollegen gerieten auch so argumentativ unter die Räder. So wurde diesen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgehalten, einerseits zu behaupten, mit dem Bürgergeld würde sich Arbeit nicht mehr lohnen, andererseits aber allein eine Regelsatzerhöhung für Hartz-IV-Bezieher zu fordern. Das sei ein logischer Fehler. Heil verteidigte das Bürgergeld als »die größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren«, mit der Qualifizierung, Weiterbildung und Kooperation geschaffen werde. Die Reform werde es Menschen ermöglichen, auch nach langer Arbeitslosigkeit wieder eine berufliche Perspektive zu finden. Im System sei etwas falsch, wenn Menschen lediglich immer wieder in Hilfstätigkeiten vermittelt würden, statt dauerhaft Arbeit zu finden, so Heil.

Demgegenüber überboten sich Union und AfD in der Debatte mit die Lohnarbeit fetischisierenden Vokabeln. »Anstrengung« und »Leistungs- und Risikobereitschaft« wurden rhetorisch hier wie da gegen eine vermeintliche, durch das Bürgergeld angeblich noch geförderte Arbeitsverweigerung aufgefahren. Deshalb müssten »wir (…) unsere Arbeitslosen vor dieser Regierung schützen«, sagte zum Beispiel der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter mit gewohnt nationalistischem Unterton. Und Stephan Stracke von der Unionsfraktion machte deutlich, dass für ihn ein Sozialsystem dazu da sei, »den Menschen den Weg in die Arbeitsgesellschaft« zu ebnen.

Linke-Fraktionschef Bartsch machte indirekt die Ampel-Regierung für solcherart antisoziale Angriffe von rechts mitverantwortlich. Statt die Regelsätze rechtzeitig zu erhöhen und die betroffenen Menschen dadurch zu entlasten, reagiere sie immer erst viel zu spät und dann auch noch nicht angemessen, so Bartsch. »Sie mit Ihrer Bräsigkeit haben Friedrich Merz erst ermöglicht«, schleuderte er den Koalitionären entgegen. Zudem sei es mit höheren Sozialleistungen nicht getan. »Wir haben ein millionenfaches Lohnproblem«, machte der Linke-Fraktionschef deutlich.

Bereits am Mittwoch sagte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Susanne Ferschl, gegenüber »nd«: »Die CDU/CSU schämt sich nicht dafür, bei jeder noch so kleinen Verbesserung für Menschen im Grundsicherungsbezug den Untergang der Arbeitsgesellschaft an die Wand zu malen. Dabei ist das Bürgergeld noch nicht einmal eine Abkehr von Hartz IV.« Es sei gut, dass beim Bürgergeld Ausbildung und Qualifizierung Vorrang vor prekären Bullshit-Jobs hätten, sagte Ferschl weiter. Das sei auch mehr als überfällig, denn gut jeder vierte Grundsicherungsempfänger sei erwerbstätig, müsse aber trotz Arbeit zum Amt, um seinen kargen Lohn aufzustocken. »Notwendig ist beides: Eine armutsfeste soziale Grundsicherung im Falle von Bedürftigkeit – das heißt 200 Euro mehr – sowie gute, tarifgebundene Arbeit in der Fläche. Das rot-grün-gelbe Bürgergeld ist in diesem Sinne keine Abkehr vom Hartz-IV-System«, so Ferschl.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.