Großspurige Standstreifen

Am Dreieck Havelland sollen Staus der Vergangenheit angehören – die ausgebaute Autobahn ist freigegeben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit dem heutigen Tage sei im Verkehrsfunk die vertraute Nachricht »Sperrung und Stau auf der A10 zwischen Birkenwerder und Mühlenbeck« Geschichte, verheißt am Freitagmorgen Thomas Stütze, Geschäftsführer der Havellandautobahn GmbH & Co. KG. Denn die rund 30 Kilometer lange Strecke des Berliner Autobahnrings A10 vom Dreieck Pankow bis zum Dreieck Havelland ist im Prinzip fertig ausgebaut. Die sich anschließenden 30 Kilometer der A24 vom Dreieck Havelland bis Neuruppin sind erneuert.

Mitten auf der noch nicht freigegebenen Fahrbahn am Bernsteinsee bei Velten schneidet Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Freitag ein schwarz-rot-goldenes Band durch und gibt den Abschnitt damit symbolisch frei. Tatsächlich dauert es aber noch ein paar Wochen, bis der Verkehr genau so rollen kann, wie er rollen soll. Denn die Arbeiter müssen erst die Baustelle auflösen, die Baken und gelben Streifen entfernen. Und sie müssen an den Stellen, an denen Pkw und Lastwagen während der Bauzeit über den Mittelstreifen auf die andere Fahrbahn abgeleitet wurden, noch die fehlenden Leitplanken installieren. Das seien die üblichen Restarbeiten, heißt es. Bis Jahresende soll es geschafft sein. So lange gilt noch ein Limit von 60 oder 80 Stundenkilometern auf den verengten Fahrbahnen. Streckenweise ist aber jetzt schon Tempo 120 erlaubt.

Der 200 Kilometer lange Berliner Ring ist nun mit Ausnahme seines weniger stark befahrenen westlichen Teils durchgängig sechsspurig. Es sind auf dem am Freitag offiziell freigegebenen Stück auch extra breite Standstreifen angelegt. Das eröffnet die Möglichkeit, bei besonders dichtem Verkehr diese Spuren als zusätzliche Fahrbahnen freizugeben und so Staus zu vermeiden. Besonders zu Beginn und zum Ende der Sommerferien dürfte es dazu kommen. Denn dann geht es für die Urlauber hier entlang zur Ostsee und zur Mecklenburgischen Seenplatte beziehungsweise zurück nach Hause. Im Schnitt passieren 80 000 Fahrzeuge täglich. Auf dem südlichen Berliner Ring, wo die Laster von Polen bis ins Ruhrgebiet und weiter rollen, sind es sogar 100 000 Fahrzeuge am Tag. Doch mit 80 000 Fahrzeugen gehört auch die nördliche Stecke zu den am stärksten frequentierten Straßen in Berlin und Brandenburg. Schließlich geht es an Neuruppin vorbei nicht allein an die Ostsee, sondern auch zum Hamburger Hafen. Ein relativ hoher Anteil von Lastkraftwagen von 30 Prozent ist die Folge.

Am 4. Juli 2018 wurde neun Kilometer vom Bernsteinsee entfernt an der Anschlussstelle Oberkrämer der symbolische erste Spatenstich für den Ausbau der A10/A24 gesetzt. Seitdem ereigneten sich einige Unfälle. Ende August beispielsweise verunglückte ein Motorradfahrer tödlich. Leider habe sich in den vergangenen fünf Jahren mancher Unfall ereignet, bedauert Dirk Brandenburger, Technischer Geschäftsführer der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges). Es sollen aber weniger Unfälle gewesen sein als bei vergleichbaren Baumaßnahmen. Weil die Arbeiten zügig voranschritten, sind die Gefahrenstellen bald restlos beseitigt.

Bundesverkehrsminister Wissing nennt die Autobahnen am Freitag »Lebensadern für Gesellschaft und Wirtschaft«. Auch bei der Aufzählung der Dimensionen des Projekts A10/A24 wird er pathetisch. Es wurden 4,5 Millionen Tonnen Erde bewegt und 6,1 Millionen Tonnen Beton eingesetzt. Der Untergrund stammte noch aus den 1970er Jahren und wurde ausgetauscht. Es entstanden 39 Brücken, darunter zehn neue. Die übrigen Brücken ersetzten alte Bauwerke. Eine Brücke wurde ersatzlos abgebrochen. Lärmschutzwände wurden auf einer Länge von 20 Kilometern errichtet. Für den Minister sind das »beeindruckende Werte«.

Er betont in seiner Rede: »Der Zeit- und Kostenrahmen wurde bei diesem Projekt eingehalten. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber Ihnen fallen sicherlich Projekte ein, bei denen das nicht der Fall war.« Zur Realisierung bediente sich Wissings Ressort einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Dabei bauen private Firmen Infrastruktur wie das Potsdamer Landtagsschloss. Der Staat mietet die Objekte dann auf Jahrzehnte und bekommt sie nach Fristablauf automatisch übereignet.

So war es auch bei Erneuerung und Ausbau der A10/A24. Als Auftraggeber fungierte die bundeseigene Autobahngesellschaft im Zusammenspiel mit der Deges. Die private Havellandautobahn GmbH gewann die Ausschreibung. Sie gehört zu 70 Prozent dem niederländischen Baukonzern Invesis und ihrem Investmentfonds PGGM und zu 30 Prozent der deutschen Baufirma Habau. Banken aus beiden Ländern liehen Geld, der Staat spendierte mehr als eine Milliarde Euro. Insgesamt beläuft sich das Investitionsvolumen auf 1,4 Milliarden Euro. Auf 30 Jahre sind die Verträge geschlossen, von denen fünf inzwischen schon abgelaufen sind. Die Havellandautobahn war nicht nur für den Bau zuständig, sondern muss sich in den nächsten 25 Jahren um den Betrieb und die Erhaltung der Strecke kümmern. Käme es wegen Mängeln zu Einschränkungen, würde die Bundesrepublik ihre Zahlungen bis zur Behebung reduzieren. Die öffentlich-privaten Partnerschaften sind nicht unumstritten. Ihnen haftet der Vorwurf an, vor allem den privaten Partnern auf Kosten der Steuerzahler zum Vorteil zu gereichen. FDP-Mann Wissing versichert: Hätte sich der Staat selbst um alles gekümmert, hätte er die Autobahn nur Stück für Stück erneuern können und dies hätte länger gedauert und mehr gekostet.

Nach Ansicht von Brandenburgs Verkehrsminister Guido Beermann (CDU) war es höchste Zeit. Die Strecke sei in seinem »sichtbar schlechten Zustand« gewesen. Brandenburg werde in den kommenden Jahren Radwege bauen, Stichwort: Verkehrswende. Aber Straßen seien ebenso wichtig. Autobahnen würden auch künftig gebraucht, zeigte sich Beermann überzeugt.

Gerade erst hat der Bund für Umwelt und Naturschutz kritisiert, trotz einiger Nachbesserungen am Doppelhaushalt 2023/2024 wolle Brandenburg zu wenig in Radwege, Busse und Bahnen investieren. So werde das Land seine Klimaziele verfehlen. »Eine Verkehrswende sieht anders aus«, sagt die Landesvorsitzende Franziska Sperfeld.

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