Zittau klagt gegen die Grube hinter der Grenze

Braunkohlentagebau im polnischen Turow gefährdet Gebäude und Wasserhaushalt in der sächsischen Stadt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Stadt Zittau klagt gegen die polnische Generaldirektion Umweltschutz – aus Sorge um ihren historischen Gebäudebestand. Die stolzen, oft denkmalgeschützten Händlerhäuser, Türme und Kirchen, die das Bild der Stadt in Ostsachsen prägen, sind durch einen Tagebau gefährdet, der wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt direkt hinter der Grenze in Polen liegt. Die Braunkohlengrube Turow ist schon 100 Meter tief; bis 2044 soll sie um weitere 20 Meter abgesenkt werden – und mit ihr auch der Grundwasserspiegel. Das könnte Studien zufolge dazu führen, dass sich der Boden mitten in Zittau um bis zu 72 Zentimeter senkt. Alte Mauern dürften das kaum unbeschadet überstehen.

Die Sorgen hatte Zittau immer wieder artikuliert, während in Polen eine Verlängerung der Betriebsgenehmigung für den Tagebau geprüft wurde. Diese war ursprünglich bis 2020 befristet; der mehrheitlich staatseigene Konzern PEG hatte aber beantragt, noch mehr als zwei Jahrzehnte weiter Kohle abbauen zu dürfen. Teil eines solchen Verfahrens ist eine Prüfung der Umweltverträglichkeit. Diese erfolgte zwar. Allerdings seien die Zittauer Einwände »überwiegend unberücksichtigt« geblieben, heißt es in einem Beschluss des Stadtrats von voriger Woche – und zwar sowohl bei der Regionaldirektion Umweltschutz in Wroclaw als auch bei der Generaldirektion in Warschau, bei der Zittau Widerspruch einlegte. Die Rede ist von einer »massiven Verletzung der legitimen Interessen der Stadt Zittau und ihrer Bewohner«. Einzige Möglichkeit, das zu korrigieren, sei nun eine Klage beim Verwaltungsgericht in Warschau, betont die Verwaltung. Weil dafür eine enge Frist galt, gab der Stadtrat seine Zustimmung in einer Sondersitzung. Ziel ist eine Wiederholung der Umweltverträglichkeitsprüfung.

Der polnische Tagebau liefert Kohle in ein zugehöriges Kraftwerk, das acht Prozent des polnischen Strombedarfs deckt. Beide Betriebe gelten zudem als wichtige Arbeitgeber im südwestlichsten Zipfel Polens. Für deren Nachbarn ist die Grube aber ein permanenter Stein des Anstoßes. In tschechischen Grenzdörfern gefährdet die Absenkung des Grundwassers die Trinkwasserversorgung; betroffen sind rund 10 000 Menschen. Zittau bezieht sein Trinkwasser zwar aus anderen Quellen. Befürchtet werden dort aber Gefahren für die Standsicherheit von Gebäuden und ein erheblicher Eintrag von Schadstoffen in den Grenzfluss Neiße. Auch Lärm und Staub ärgern die Anwohner. Umweltschützer verweisen zudem auf die CO2-Emissionen des Kraftwerks, die 2020 bei rund 5,8 Millionen Tonnen lagen.

Weil Einwände auch aus Tschechien nicht genügend berücksichtigt wurden, kam es zu einem beispiellosen Konflikt zwischen den Nachbarländern. Prag reichte im Herbst 2020 Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein und verklagte Warschau später vor dem Europäischen Gerichtshof. Dieser untersagte in einem spektakulären Urteil den Kohleabbau in Turow. Weil Polen die Aufforderung ignorierte, wurden Strafgelder von 500 000 Euro pro Tag verhängt und, nachdem eine Zahlung verweigert wurde, im Februar dieses Jahres europäische Fördergelder einbehalten. Allerdings hatte es zu dem Zeitpunkt bereits eine überraschende Einigung zwischen Tschechien und Polen gegeben. Vereinbart wurden Ausgleichszahlungen in Höhe von 45 Millionen Euro und der Bau eines Erdwalls. Im Oktober reichte der Umweltverband BUND zusammen mit europäischen Partnern Beschwerde gegen die Einigung ein.

In Zittau hatte man einerseits stets versucht, den Konflikt nicht auf die Spitze zu treiben. Es solle nicht der Eindruck entstehen, »dass wir unseren Nachbarn die Erwerbsgrundlage entziehen«, sagte Oberbürgermeister Thomas Zenker (parteilos) einst. Andererseits hoffte man, dass der Bund und der Freistaat Sachsen in Polen intervenieren. Das blieb aus; im jetzigen Ratsbeschluss ist die Rede von einer »unerklärlichen Untätigkeit des Freistaats«. Als Konsequenz zieht die Stadt nun selbst vor Gericht. Zur Begründung sagte Zenker dem Regionalsender Radio Lausitz: »Es gibt Regeln, die sind einzuhalten. Und eine davon ist: Man schadet nicht seinen Nachbarn.« Die grüne Europaabgeordnete Anna Cavazzini erklärte, Turow bleibe »ganz klar ein grenzüberschreitender Problemfall im Herzen Europas«.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.