Streit unter Palmen

Beim G20-Gipfel treffen viele Länder mit großen Differenzen aufeinander

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

Eingeschränkter Flugverkehr auf dem Airport Denpasar von drei Tagen vor dem Gipfel bis zwei Tage danach: Nur in eng bemessenen Zeitfenstern dürfen Linienflüge noch starten und landen, damit die Staatsgäste bei Eintreffen und Abreise freie Bahn haben. Üblicherweise ist Bali ein Urlauberparadies, Ferienziel für Erholungssuche nicht nur aus dem benachbarten Australien, sondern auch aus Europa und von anderswo. Für einige Tage nun verwandelt sich die Insel in eine Hochsicherheitszone. Für die Sicherheit der politischen Spitzen der G20 bietet das südostasiatische Gastgeberland gleich 14 000 Soldaten auf, wie Indonesiens Armeechef General Andika Perkasa vor der Presse bekannt gab. Sie sind nicht nur auf der Insel selbst im Einsatz, sondern kreuzen auch auf 14 Kriegsschiffen vor dessen Küsten, während neun Flugzeuge der Luftwaffe und 15 Helikopter jederzeit zum Aufsteigen bereitstehen.

Indonesien führt derzeit den Vorsitz im Bündnis der 20 größten Industrie- und Schwellenländer, das – obwohl nicht demokratisch legitimiert – neben dem geballten politischen Gewicht auch als Wirtschaftsmacht rund 85 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und 75 Prozent des Handels repräsentiert. Das Land will sich bei der Gipfelausrichtung nicht lumpen lassen: Allein der Mobilfunkriese Telkomsel hat rund um den Tagungsort noch 35 Basisstationen des neuesten Standards 5G installiert, dazu 320 vom Typ 4G. Damit soll den Gästen höchste Verbindungsqualität geboten werden.

Für Präsident Joko Widodo alias Jokowi, der nicht für eine dritte Legislaturperiode antreten darf und somit seinen letzten Monaten im Amt entgegensieht, ist es eine ebenso prestigeträchtige wie schwierige Rolle als Gastgeber: Schien die Weltgemeinschaft vor einer Weile etwas enger zusammenzurücken, um die großen globalen Herausforderungen anzugehen, haben sich zuletzt nicht nur die Spannungen zwischen den USA, Großbritannien sowie Australien auf der einen Seite und China auf der anderen in alarmierender Weise zugespitzt. Infolge Putins Angriffskriegs auf die Ukraine herrscht seit Monaten Eiszeit zwischen dem politischen Westen und Russland. Von 17 Staats- und Regierungschefs habe er die Zusage ihres Erscheinens, hatte Widodo verkündet. Indiens Premier Narendra Modi und andere reisten schon Montag an. Bedeutsam ist das erste Zusammentreffen von US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping. Russlands Präsident Wladimir Putin entsendet wie kurz zuvor zum Ostasien-Gipfel in Kambodscha nur Außenminister Sergej Lawrow.

Dabei stehen die globalen ökonomischen Turbulenzen, die der Ukraine-Krieg mit erhöhten Energiekosten und Grundnahrungsmittelpreisen ausgelöst hat, bei den G20-Beratungen zwangsläufig auf der Agenda. Um Ernährungs- und Energiesicherheit geht es als Themenkomplex ebenso wie um die globale Gesundheitsarchitektur vor dem Hintergrund leidvoller Erfahrungen aus der Coronakrise. Widodo gab am Sonntag bekannt, inzwischen 1,4 Milliarden Dollar für einen globalen Pandemiefonds zur Unterstützung ärmerer Länder eingeworben zu haben, unter anderem bei den USA und der EU. Dieser Fonds soll bei der Weltbank angesiedelt und von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) begleitet werden; weitere Mittel seien noch nötig. Ein drittes Thema ist die digitale Transformation. Diese drei Schwerpunkte werden am ersten Tag in den Arbeitsgruppen behandelt, abends soll es ein Dinner samt Kulturprogramm geben. Für den zweiten Gipfeltag, an dessen Ende Widodo den G20-Vorsitz an Indien weitergeben wird, ist vor der Abschlussrunde noch eine Mangrovenpflanzung geplant.

Es dürfe auf Bali nicht nur bei Symbolpolitik bleiben, fordert Tobias Hauschild, Referent für soziale Gerechtigkeit bei Oxfam Deutschland. »Es gibt eine riesige Schere zwischen steigender Armut und Hunger in der Welt sowie Milliardären, die immer reicher werden. Auch viele Konzerne schütten Rekorddividenden aus«, macht er gegenüber »nd« das Missverhältnis deutlich, das es zu adressieren gelte. Oxfam verweist in einer Erklärung zum Gipfel auf 828 Millionen von Hunger Betroffene weltweit, während im Gegenzug allein das Vermögen der Milliardär*innen in den G20-Staaten seit 2020 um stolze 1,8 Billionen auf jetzt 10 Billionen Dollar gestiegen sei. Schuldenerlass für die ärmsten Länder, gerade unter Einbeziehung der privaten Gläubiger, müsse deshalb ein Thema sein, fordert Hauschild: »Derzeit geben sie im Schnitt 27,5 Prozent allein für den Schuldendienst aus – das ist untragbar.« Die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherungssysteme stagnierten im besten Fall, seien eher noch rückläufig. Neben Entlastung beim Schuldenberg brauche es frische finanzielle Unterstützung. Nachdem es zuletzt auf dem G7-Gipfel keine expliziten Zusagen im Kampf gegen die Hungerkrise gab, die sich mit Dürren wie in Ostafrika rapide zuspitze, erwarte man von den G20 mehr Ergebnisse. »Das sind die Staaten, die Einfluss haben und etwas bewegen können«, betont Hauschild. Das gelte auch im Hinblick auf Übergewinn- und höhere Vermögenssteuer, die Oxfam gerade schon zur Weltklimakonferenz COP27 gefordert hatte.

Indonesien selbst, mit 276 Millionen Einwohner*innen weltgrößte muslimische Nation und größte Volkswirtschaft Südostasiens, profitiert ökonomisch durchaus vom Gipfel. Bali allein habe im dritten Quartal vor allem darum ein Wirtschaftswachstum von 8,09 Prozent verzeichnet, meldete die Zeitung »Tempo«. Landesweit waren es 5,72 Prozent. Das Land ist dabei, sich von der coronabedingten Delle zu erholen, verzeichnete gegenüber 2021 dieses Jahr (Januar bis September) 2,27 Millionen Besucher*innen, im Vorjahr waren es nur 86 240. Zum G20-Meeting sind jedoch nicht alle gleichermaßen willkommen: Eine Gruppe Radfahr-Aktivist*innen der Umweltgruppe Greenpeace, die zum Gipfel radeln wollte, musste ihr Vorhaben nach Störungen bereits kurz vor dem Ziel abbrechen.

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