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- Klimagipfel in Scharm El-Scheikh
Die Brücke zur Hölle steht noch
Der Klimagipfel COP im ägyptischen Scharm El-Scheikh bringt kaum Fortschritte, um die Erderwärmung aufzuhalten
Mit dem Flugzeug zum Klimagipfel? Die freundliche Airport-Mitarbeiterin am Berliner Flughafen hatte mich als COP-27-Reisenden ausgemacht. Die Ironie war unüberhörbar. Aber was soll man machen? Selbst die Klimabewegten von Fridays for Future mussten ab Istanbul das Flugzeug nach Scharm El-Scheikh nehmen.
Anders zum Konferenzort am Roten Meer zu kommen, ist praktisch unmöglich. Daran werden die rund 35 000 Gipfelbeteiligten, die Verhandlerinnen und Wissenschaftler, die Beobachter und Aktivistinnen, die Medienleute und Helfer auch jeden Tag erinnert – wenn die Jets, das Fahrwerk schon ausgefahren, im Landeanflug auf den Airport über das Konferenzgelände hinwegdonnern.
Wenigstens wackeln die Piloten nicht grüßend mit den Flügeln. Sie hätten allen Grund dazu. Das Flugwesen befindet sich nach dem Pandemie-Knick im Aufwind. Das sorgt wesentlich dafür, dass 2022 weltweit mehr als 40 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden – ein Rekordjahr, nur noch übertroffen von 2015.
Natürlich will auch der Flugverkehr – wie inzwischen jede Branche – bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden. Bei einem sogenannten Side Event, einer der zahlreichen Nebenveranstaltungen auf dem Gipfel, rief die internationale Zivilluftfahrtorganisation Icao eine »neue Ära grüner Innovationen« aus.
Die Ära sieht bei der Luftfahrtlobby so aus: effizientere Flugzeuge und »grünes« Kerosin, letzteres vor allem aus Biomasse und Abfall. Ein bisschen Flugsprit soll auch aus E-Fuels kommen, also synthetischen, aus erneuerbaren Energien erzeugten Kraftstoffen. Für »Net Zero«, also netto null Emissionen, reicht das nicht. Der Luftverkehr wird laut Icao-Szenario im Jahr 2050 noch bis zu 900 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Dieser »Rest« soll dann irgendwo anders ausgeglichen werden – durch Wälder oder durch CO2-Abscheidung und -Speicherung. Darüber redet die Luftfahrt aber nicht so gerne. Es ist ja auch noch lange hin bis zur Mitte des Jahrhunderts. Wer weiß schon, was dann sein wird.
Das weiß auch Ken Ofori-Atta nicht. Ghanas Finanzminister kennt aber die Tendenz: »Wir sind auf einem Highway in die Klimahölle«, zitierte er bei einem Pressetermin den Erfinder des Höllen-Bildes. Das ist UN-Generalsekretär António Guterres. Der hatte sich bildlich beim Song »Highway to Hell« der Band AC/DC bedient.
Wer mehr über die Klimahölle auf Erden wissen will, geht besser zu einem Side Event der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN.
Noch bei keinem Gipfel stand die Ernährung so sehr im Fokus. Derzeit haben mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt nicht genug zu essen. Hauptgründe sind die Klimakrise und ihre Folgen wie Dürren, aber auch monatelange Überflutungen. 27 der 35 am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder leiden schon heute unter extremer Ernährungsunsicherheit, sagen die Statistiken. Und das bei einer Erderwärmung von erst 1,2 Grad.
»Denken Sie daran, die Klimaänderungen betreffen die Menschen nicht nur physisch«, redet Johan Rockström, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, bei der FAO-Veranstaltung dem Publikum ins Gewissen. Der Bauer beispielsweise in Burkina Faso werde schon nervös, wenn sich die Regenzeit um zwei bis drei Wochen verzögert. Er mache sich Sorgen, dass ihm künftig die Mittel für Saatgut und Dünger fehlen.
Bevor klimatische Kipppunkte überschritten werden, seien die »sozialen Kipppunkte« schon erreicht, warnt Rockström. Anders gesagt: Noch bevor Hitze oder Dürre das Leben für die Menschen unmöglich machen, sind ihre sozialen Möglichkeiten, auf den Klimawandel zu reagieren, längst erschöpft.
Zuerst gingen für die Menschen Gerechtigkeit, Sicherheit und die Möglichkeit verloren, ein souveränes, selbstbestimmtes Leben zu führen, sagt Rockström. Damit wiederum stiegen die Risiken für Vertreibung und Konflikte. »Und dann stelle man sich vor, die Erderwärmung beträgt nicht wie heute 1,2 Grad, sondern 2,4 bis 2,8 Grad am Ende dieses Jahrhunderts.«
Das will man sich lieber nicht vorstellen. Noch befinden wir uns im Vorhof zur Klimahölle. Aber schon jetzt, das zeigt ein aktueller Bericht des bekannten britischen Ökonomen Nicholas Stern, würde der globale Süden 2,4 Billionen, also 2400 Milliarden Dollar für die Energiewende, die Anpassung an Dürren, Stürme und Starkregen und die Folgen von klimabedingten Naturkatastrophen benötigen.
Deshalb brauche es einen »Marshallplan gegen die Klimakrise«, meint auch der ghanaische Finanzminister Ofori-Atta. Warum die Industrieländer den nicht finanzieren wollen, findet er schwer nachvollziehbar. In der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energiekrise habe jedes der wirtschaftsstarken G7-Länder Dutzende Milliarden Dollar lockergemacht – aber zum Ausgleich der Klimaschäden soll nichts da sein?
Ofori-Atta richtete den Vorwurf in Scharm El-Scheikh direkt an die deutsche Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze anlässlich einer Präsentation des sogenannten »Global Shield«, des von Deutschland ins Leben gerufenen Schutzschirms gegen die Klimakrise. Für das Finanzinstrument stellt Deutschland 170 Millionen Euro als eine Art Startgeld bereit. Bei der Summe gerät die deutsche Ministerin und Sozialdemokratin angesichts der Schäden, die die Klimakrise mit sich bringt, ein bisschen in Erklärungsnot. Also deutet Schulze das Bild von der Klimahölle um. Statt auf dem »Highway« dorthin zu rasen, will sie lieber eine »Bridge Over Troubled Water« bauen, zitiert sie einen Folkrock-Hit von Simon and Garfunkel – eine Brücke zwischen Industrieländern und den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern.
Auf dem Klimagipfel fragt man sich aber ein ums andere Mal: An welcher Brücke baut Deutschland tatsächlich? Führt der jetzige Weg nicht eher zurück in die Zeiten, als fossiles Erdgas, das jetzt LNG heißt, noch als Brückentechnologie galt?
Deutschland, das ist jetzt schon klar, wird das eigene Klimaziel für 2030 verfehlen und hat praktisch keine Chance mehr, seinen Teil beizutragen, um das globale 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Deutschland gehört, ob man das wahrhaben will oder nicht, zu den Ländern, die weiterhin die Schnellstraße in die Klimahölle betonieren.
Denn am Entscheidenden fehlt es auch hier, und das ist der konsequente Ausstieg aus den fossilen Energien, allen voran der Kohle. »Über 95 Prozent des weltweiten Kohleverbrauchs findet in Ländern statt, die sich verpflichtet haben, ihre Emissionen auf netto null zu reduzieren«, sagt Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur IEA, diese Woche bei der Präsentation des »Coal Transition Exposure Index«, der die Fortschritte beim Kohleausstieg anzeigt. Es gebe zwar ermutigende Impulse für den Ausbau sauberer Energien, so Birol. Ein großes ungelöstes Problem sei aber, wie mit den riesigen weltweiten Kohlevorräten umgegangen werden soll. »Kohle ist sowohl die größte Einzelquelle für CO2-Emissionen aus dem Energiesektor als auch die größte Einzelquelle für die Stromerzeugung weltweit«, widerspricht Birol der landläufigen Meinung, der Klimakiller habe die beste Zeit schon hinter sich.
Experten erklären das so: Seit dem Pariser Klimagipfel 2015 ist der Klimawandel stets rascher fortgeschritten als die Klimapolitik Entschlüsse gefasst hat. Beim letztjährigen Gipfel in Glasgow hatte die internationale Gemeinschaft den Rückstand verkürzen wollen, vor allem mit den beschlossenen Zielen für einen weltweiten Kohleausstieg. Doch davon ist in Scharm El-Scheikh nicht mehr die Rede.
Einziger Lichtblick sind die 20 Milliarden Dollar, die Indonesien bekommen soll, damit es keine neuen Kohlekraftwerke mehr baut. Abbauen und exportieren darf das Land die Kohle aber weiterhin. Die Einigung wurde auch nicht auf dem Weltklimagipfel erreicht, sondern beim gleichzeitig stattfindenden G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali. Das zeigt, wer derzeit entscheidet, wo es weltpolitisch langgeht.
Auf dem Konferenzgelände in Scharm El-Scheikh wuselt es wie bei jedem Klimagipfel. Von morgens bis abends werden Initiativen, Projekte und Konzepte vorgestellt, wird debattiert und gestritten, wie die Welt klimaneutral werden kann: mehr erneuerbare Energie, CO₂-Senken, andere Ernährung. Niemand sagt mehr, der Klimawandel sei nicht so schlimm oder nicht so wichtig.
Diese Woche testeten ein paar wenige Fridays-for-Future-Aktive das offizielle Demonstrationsgelände in Scharm El-Scheikh – weit weg vom Konferenzzentrum und dem Ort selbst. Um auf diesen undemokratischen Zustand aufmerksam zu machen, so die Gruppe, habe sie ihr Privileg nutzen müssen, nämlich ihre europäischen Pässe. Ägyptische und andere besonders gefährdete Aktivistinnen und Aktivisten hätten nicht einfach an der Demonstration teilnehmen können.
Menschenrechte und Klimaschutz sind unteilbar – selten ist dieser Zusammenhang so augenfällig wie in Scharm El-Scheikh. Als neuer Star der Klimabewegten des Globalen Südens erweist sich dabei der neugewählte Präsident Brasiliens, Luiz Inácio Lula da Silva. Lula machte der COP 27 am Mittwoch seine Aufwartung – und sorgte für den ersten Flashmob des Klimagipfels. Stundenlang standen Klimagruppen vor dem Saal, in dem Lula auftrat, und versuchten, noch hineinzugelangen, initiierten Sprechchöre und tanzten sogar.
Auch für Adrián Martínez aus Costa Rica ist Lulas künftige Führungsrolle beim Klimaschutz sehr wichtig. Zu oft hätten die Industrieländer die Spaltung des globalen Südens für ihre Interessen ausgenutzt, sagte der Direktor von Ruta al Clima, einer Organisation, die die Bürgerbeteiligung in der Klimapolitik fördert.
Lula schlug für 2025 Brasilien als Gastgeber der Weltklimakonferenz vor. Stattfinden soll sie im symbolträchtigen Amazonasgebiet, dessen bedrohtes Ökosystem er in seiner Amtszeit besser schützen will. Er werde dafür kämpfen, sagte er nach seinem Wahlsieg, die Rodungen des Regenwaldes komplett zu stoppen. Mit dieser Ankündigung ist er für viele schon zum Hoffnungsträger geworden.
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