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Bewährungsstrafe gefordert
Prozess gegen Sekretärin im KZ Stutthof vor dem Abschluss
Einer der letzten NS-Kriegsverbrecher-Prozesse biegt auf seiner Zielgeraden ein. Im Stutthof-Prozess vor der Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe hat die Staatsanwaltschaft am Dienstag für die damalige KZ-Sekretärin Irmgard F. eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung gefordert.
Am mittlerweile 37. Verhandlungstag konnte der Vorsitzende Richter Dominik Groß die Beweisaufnahme schließen. Zuvor lehnte das Gericht einen Befangenheitsantrag von Verteidiger Wolf Molkentin gegen den historischen Sachverständigen Stefan Hördler ab, dem Molkentin vorhielt, eine unzulässige Doppelrolle als Gutachter und zugleich Ermittler wahrgenommen zu haben. Die 97-jährige Angeklagte blieb sich zudem treu und schwieg wie im gesamten bisherigen Prozess auch auf die Richterfragen zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen.
Staatsanwältin Maxi Wantzen startete ihr knapp 90-minütiges Plädoyer mit einem anerkennenden Lob für die in einem Seniorenheim in Quickborn lebende Angeklagte. Sie wollte sich zum Auftakt im Herbst des vergangenen Jahres noch durch Flucht dem Prozess entziehen. Doch dabei war sie in Hamburg von der Polizei aufgegriffen worden. Sie habe sich fortan dem Gerichtsauftritt gestellt und nicht den zumindest denkbaren Ausweg einer Verhandlungsunfähigkeit gesucht. In der Folge zeigte Wantzen aber auf, dass sie die damalige Lager-Stenotypistin für schuldig hält, Beihilfe am heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10 000 Fällen geleistet zu haben. Ihr Beitrag zu den Abläufen im Konzentrationslager bei Danzig sei »wesentlich« gewesen. Da mache es keinen Unterschied, ob jemand in dem Lager SS-Wachmann oder Schreibkraft gewesen sei.
Ausflüchte und Ausreden, von dem durchorganisierten Tötungsapparat womöglich nichts wahrgenommen zu haben, nannte die Anklagevertreterin »lebensfremd«. Sie habe sich ja nicht durchgehend in der Lagerkommandantur aufgehalten, hatte auch Pausen und Freizeit. Auch ohne beispielsweise das Krematorium je zu betreten, war der von den dortigen Schloten aufsteigende Rauch unübersehbar.
Irmgard F. arbeitete auf eigene Bewerbung hin von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Lagerkommandantur. Sie war da erst 18 und 19 Jahre alt. Dementsprechend hält es Staatsanwältin Wantzen auch für angemessen, F. damals noch fehlende Reife zu attestieren und sie nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln.
In Stutthof bei Gdańsk wurden insgesamt mehr als 100 000 Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangengehalten, darunter besonders viele Juden. Historiker sprechen davon, dass ungefähr 65 000 Menschen den dortigen Aufenthalt nicht überlebten. Der Prozess wird am 29. November mit den plädierenden Schlussworten der Nebenklageanwälte fortgesetzt. Ein Urteil könnte am 20. Dezember verkündet werden. In den vergangenen Jahren waren mehrere NS-Täter im Alter von über 90 zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
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