• Politik
  • Uni-Streik in Großbritannien

Kampf gegen prekäre Verhältnisse

Mit einem Streik fordern britische Hochschullehrer bessere Arbeitsbedingungen und Renten

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach der Bahn und der Post ist die Streikwelle nun an den Universitäten angelangt. Klassische Vertreter des Proletariats sind die 70 000 Lehrkräfte an Großbritanniens Hochschulen nicht. Stattdessen gehören die meisten von ihnen zu einem neuen Prekariat. Den ihnen anvertrauten 2,5 Millionen Studierenden wollen die Mitglieder ihrer Gewerkschaft University and College Union (UCU) mit ihrer am Freitag begonnenen und bis zum Dienstag dauernden Arbeitsniederlegung nicht schaden. Aber die Streikenden sehen keine andere Möglichkeit, um auf unsichere Arbeitsplätze, sinkende Reallöhne und Rentenklau aufmerksam zu machen und Verbesserungen einzufordern. Bei durchschnittlichen Preissteigerungen von derzeit 11 Prozent ist das Drei-Prozent-Angebot der Arbeitgeber ein Hohn. Das behauptet UCU-Generalsekretärin Jo Grady, und die vorangegangene Abstimmung unter den Mitgliedern gab ihr mit einer deutlichen Mehrheit von 81 Prozent recht.

Die Probleme an den britischen Hochschulen fingen bereits unter der Labour-Regierung von Tony Blair an. Seine Generation hatte noch von Studienstipendien profitiert und kannte keine Semestergebühren. Nun wollte man die Zahl der Studenten erhöhen, aber die Kosten des Bildungswesens in Grenzen halten. Dafür wurden die früheren Vergünstigungen gestrichen: Aus Stipendien wurden rückzahlbare Darlehen. Nach einem dreijährigen Bachelor-Studium hat der typische Studierende heute Bankschulden von umgerechnet mehr als 40 000 Euro – und eine enge Berufswahl, wenn er der finanziellen Misere rasch wieder entkommen will.

Einen Beamtenstatus haben die Uni-Lehrer nicht, der Arbeitskampf ist also ganz legal. Die Streikenden können zudem auf die Solidarität der meisten Studierenden bauen. Zurückzuführen ist der Arbeitskampf vor allem auf den Marktfetischismus der Tories, die der Ansicht sind, Hochschulen seien wie Firmen, Studierende eben Konsumenten und Lehrende leider unvermeidliche Vermittler von wirtschaftlich nutzbarem Wissen. Schließlich konnte ja auch nur eine höhere Tochter Kunstgeschichte studieren und dann den Königssohn William Windsor heiraten. So kommen selbstständiges Denken zu lernen und das Lernen an sich heute zu kurz; musische Fächer sind aus den Angeboten mancher Institute ganz verschwunden. Dabei beschwören auch die Tories immer wieder die Bedeutung der kreativen Industrien, von denen Hunderttausende Arbeitsplätze im Land abhängen.

Der Marktfetischismus im Bildungswesen hat noch weitere negative Konsequenzen. Während Uni-Rektoren sich selbst wie erfolgreiche Unternehmer bezahlen lassen, sehen sie in vielen Fällen die Gehälter ihrer unterrichtenden Untergebenen – sowie auch die der Bibliothekare, Projektmanager und anderen Angestellten – als Möglichkeit, die Kosten der ihnen anvertrauten Bildungsstätte zu drücken. Die Zahl der Teilzeitkräfte und befristeten Verträge steigt daher unaufhörlich, Karrierechancen schwinden. Für eine halbwegs sichere Lebensplanung, geschweige denn erstklassige Forschung sind das katastrophale Voraussetzungen. Häufig führen diese Bedingungen zu Stress und Depressionen, wie der aktive Gewerkschafter Stephen Bellas gegenüber »nd« betont, der selbst als Teilzeitkraft an einer neuen Universität in London unterrichtet. Dabei sei »mehr als genug Geld da, um den Streik zu vermeiden«. Doch bei den Arbeitgebern fehle es am guten Willen.

Zumindest konnten Uni-Lehrer bislang mit sicheren Renten rechnen, die aus Beiträgen vom eigenen Gehalt sowie der Arbeitgeber finanziert werden. Doch auch hier könnte es nun ans Eingemachte gehen. Statt nach dem Endgehalt soll der Rentenbetrag künftig nach dem geringeren Durchschnittsgehalt während gesamten Karriere berechnet werden. UCU-Chef Jo Grady spricht deshalb von »Rentendiebstahl«. Die Zeichen an den britischen Hochschulen stehen auf Sturm; weitere Streiks dürften folgen, und das nicht nur an den Universitäten. Die Gewerkschaft PCS rief ihre Mitglieder im Innen-, Verkehrs- und Umweltministerium sowie beim Grenzschutz dazu auf, von Mitte Dezember an für einen Monat die Arbeit niederzulegen.

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