Der Landhunger des Wasserkraftwerkes

Vietnamesische Kleinbauernfamilien müssen weichen

  • Sarah Grieß, INKOTA
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Wasserkraftwerk macht in Zentralvietnam den Wasserbüffeln das Land streitig.
Das Wasserkraftwerk macht in Zentralvietnam den Wasserbüffeln das Land streitig.

Der Landhunger eines Wasserkraftwerkes ist gigantisch. Allein für den Bau des Ban-Ve-Kraftwerks in Zentralvietnam mussten fast 4300 Hektar fruchtbares Ackerland und saftig grüne Wälder geopfert werden. Dort, wo einst seltene Pflanzen wuchsen und sich eine Vielzahl an Tieren tummelte, schlugen zu Beginn dieses Jahrtausends plötzlich Bulldozer hässliche Schneisen in die Landschaft. Sie machten Platz für ein riesiges Ungetüm aus Beton, das das Leben unzähliger Kleinbäuerinnen und -bauern maßgeblich verändern sollte.

Eine von ihnen ist Loung Thi Lan. Heute 70 Jahre alt, lebt sie mit ihrer fünfköpfigen Familie in einer ärmlichen Hütte gleich neben dem Staubecken. Lan erinnert sich noch gut an die feierliche Eröffnungszeremonie im Mai 2010. Ban Ve war das erste Wasserkraftwerk, das vollständig unter vietnamesischer Leitung erbaut wurde. Entsprechend stolz zeigten sich damals die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft. Mit einer jährlichen Leistung von 1,76 Milliarden Kilowattstunden würde Ban Ve einen wichtigen Beitrag leisten, den stetig wachsenden Energiebedarf Vietnams zu decken. Über die hohen sozialen und ökologischen Kosten dieses Mammutprojekts hingegen sprach niemand.

Wertvoller Lebensraum ging verloren, das ökologische Gleichgewicht im Flusslauf wurde durch die Stauung empfindlich gestört. Mehrere Hundert Familien verloren ihr Zuhause und mussten in andere, weit entfernt gelegene Gebiete umgesiedelt werden, ob sie wollten oder nicht. Von einem solchen Schicksal ist Lan zwar verschont geblieben, doch die nahezu zehn Hektar Wald, die sie mit ihrer Familie seit Generationen bewirtschaftet hatte, wurden ihr genommen. Sie liegen begraben unter den Wassermassen im Staubecken, auf das sie nun jeden Tag blickt.

Wegen fehlerhafter Dokumente hat Lan nicht einmal eine angemessene Entschädigung erhalten. Denn das kleine »Rote Heft«, das ihr ein Nutzungsrecht an dem Land bescheinigen sollte, wies falsche Koordinaten aus und war somit wertlos. Von einem Tag auf den anderen war sie ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Loung Thi Lans Sohn hat einen schlecht bezahlten Job in einer anderen Provinz annehmen müssen. Seine Frau verdient etwas hinzu, indem sie ein paar Hühner und Schweine züchtet. Doch der Ertrag ist gering. Umgerechnet gerade mal 77 Euro konnte sie im letzten Jahr damit einnehmen.

Vielen im Dorf geht es ähnlich. Umso größer war die Freude, als die INKOTA-Partnerorganisation Chiase eine Möglichkeit auftat, neue Landflächen zu erschließen – Flächen, die zuvor von staatseigenen Betrieben verwaltet wurden und nun an besonders bedürftige Haushalte übergeben werden.

Lan und ihre Familie können jetzt vier Hektar Wald langfristig nutzen. In diesem können sie wie früher ihre Tiere grasen lassen, Heilkräuter und Beeren sammeln oder kleinere Mengen Gemüse anbauen. Im Gegenzug werden sie sich um den Schutz des Waldes kümmern.

»Wir sind Chiase wirklich sehr dankbar«, sagt Lan. Nach all den Jahren haben sie endlich wieder eine Perspektive. Eine, die über die Mauer des Wasserkraftwerks hinausreicht.

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